BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 

 

 

WALTHER ARNDT

1891 - 1944

Professor Dr. Walther Arndt, geboren am 8. Januar 1891 in Landeshut/Schlesien, Kustos am Zoologischen Museum in Berlin, wurde aus einem arbeits- und segensreichen Leben durch zwei Denunzianten, eine Jugendfreundin und einen Kollegen, herausgerissen. „Meine Schwester, meine Heimat und meine Wissenschaft waren die Liebe und der Inhalt meines Lebens", sagte er dem ihn betreuenden Geistlichen. Dieser berichtet weiter: „Er war ganz ruhig und gefaßt, ja, ich möchte fast sagen: heiter abgeklärt, als er den letzten Gang antrat.
Er brachte zum Aus
druck, daß er zum Christenglauben hindurchgefunden habe und in jener Welt von einem Wiedersehen überzeugt sei." Wegen „Defaitismus" wurde er zum Tode verurteilt und am 26. Juni
1944 in Brandenburg/Görden hingerichtet.

 

Briefe an die Schwester

Strafanstalt Berlin-Alt Moabit, 22. April 1944

Mein liebstes, liebstes Pillchen!

Ich schreibe  diese Zeilen  „vorsorglich", um sie notwendigenfalls an Dich gelangen zu lassen. Wenn sie in Deine Hände kommen, wurde über mich das Todesurteil gesprochen. Daß auch mein letzter Gedanke Dir gelten wird, das weißt Du! Daß ich Dir, die ich mehr geliebt habe und liebe als alles andere  auf der Erde,  solches  Leid bereite,  das zu wissen ist schwer. Hab' Du noch einmal allerinnigsten Dank, mein liebstes Pillchien, für all die Liebe, die Du mir seit unseren Kindertagen gegeben hast und besonders die in den letzten Monaten! Wie oft habe ich an Deine Worte gedacht: „Mein Herz könnte ich für Dich herausreißen" und „Ich bin stolz auf Dich". Froh bin ich, daß ich in der Wissenschaft meinen Platz eine gute Reihe von Jahren ausfüllen und auch für unsere liebe Heimat wirken konnte. — Geliebt habe ich auch unser Zoologisches Museum. Wenn mein Leben, das so reich und schön war, jetzt zu Ende geht, so geschieht es vielleicht auch in dem alten Sinne: „Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben." 
Wo immer auch nun meine sterblichen Reste in den großen
Kreislauf eingehen werden - (wie ich höre, wird die Über­führung der Asche und auch selbst der Besuch der Ruhestätte nicht gestattet) —, meine Seele wird in unsere Heimat zurückkehren und die Blumen auf unserem lieben Grab daheim weiden auch meine Blumen sein. Grüße all die Getreuen von mir. Du und Arnold aber seid allerinnigst gegrüßt und Dich küsse ich, mein liebstes Pillchen, noch einmal. Dein Silvesterbildchen und Vaters letzter Geburtstagsbrief liegen vor mir.

Dein Walther

 

Zuchthaus  Brandenburg-Görden, 15. Juni 1944


Mein liebstes, liebstes Pillchen!

Vorgestern kamen Deine liebsten Briefe zu mir und damit streichelst Du mich, wie mich nichts anderes streicheln kann! Dazu die „Halligblume" mit ihren Erinnerungen und das ganz stark duftende Maiglöckchen aus Deinem Gärtchen. Wie gern hörte ich von allem. — Wie vor Deinen Blumen, an Deinem Nähtisch und Tischsessel sehe ich Dich oft gern vor mir, wie Du das Tischgebet sprichst! Die Worte: „Pillchen, mein liebstes Pillchen" sage ich hier oft vor mich hin (mein Raum ist einer Klosterzelle nicht unähnlich]. Mit Freude denke ich, daß die heimatlichen Glockenblumen jetzt auch in Deinem Gärtlein blühen werden! Hier sehe ich Gelbklee, Mauerpfeffer, Schwertlilie und den Mohn schon blühen und sehe und höre jetzt vor allem Schwalben, Goldammer, Haubenlerche. Letzten Sonntagnachmittag hatte ich viele schöne Stunden, indem ich mir mit allen innerlichen Einzelheiten alle unsere gemeinsamen Reisen und Ausflüge ins Gedächtnis rief. Von Büchern gab mir jetzt besonders Fr. Reuters „Stromtid" etwas, die Vater gern auf dem Nachttisch hatte. - An Deinem Geburtstag will ich in meinen Gedanken meine Hand segnend auf Dein liebes Haar legen, wie Du mir von jeher mein Segen warst, mein liebstes Pillchen! Sei mit Arnold allerherzlichts  gegrüßt und geküßt

von Deinem Walther

26. Juni, 2 Uhr

Mein innigstgeliebtes, liebstes, liebstes Pillchen!

Ich erhalte eben noch die Möglichkeit, Dir diese Zeilen zu senden. Ich denke, es ist für uns alle drei gut, daß jetzt diese Tage des Wartenmüssens zu Ende gehen, obgleich auch sie noch manche wertvolle Stunde brachten. Jetzt aber gleichen sie doch sehr der allerletzten Zeit von Vaters Todeskrankheit.
Aber heute morgen hatte ich noch die große Freude Deiner beiden Briefe mit den heimatlichen Glockenblumen und es war mir noch vergönnt, Dich an Deinem Geburtstag zu segnen in der Morgenstunde, in der wir beide aneinander dachten. Mutter war es bestimmt, daß ihr Todestag auf meinen Geburtstag fiel, so ist es mir bestimmt, daß mein Todestag auf Deinen Geburtstag fällt. Tatsächlich wandere ich ja, wie ich Euch sagte, bereits seit dem 26. März auf der „Brücke, die von der Erde zu dem Unbekannten" führt, aber unversucht durfte trotzdem nichts bleiben. Nun gilt für mich wie bei Fausts Tode: „Der Zeiger fällt, die Uhr steht still. Es ist vollbracht."
Wie oft habe ich hier, und
ich tue es heute noch einmal, die Gesangbuchverse, die wir für Vaters Trauerfeier wählten, und den Spruch: „Sei getreu bis  in den Tod", der immer mein Wahlspruch war - vor mich hingesagt und hingesungen. Die Bibliothek hier bewirkte, daß mir die Wochen hier schnell vergingen. Ich habe bis zuletzt 6-7 Stunden nachts geschlafen. Daß ich jetzt nur noch eine Stunde zu verbringen habe, erfuhr ich eben erst. - Mein letzter Gedanke gilt Dir und unserer dereinstigen Wiedervereinigung, mein liebstes, liebstes Pillchen.

Innigst küßt und grüßt Dich und Arnold noch einmal.

Dein Walther
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Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider