WALTHER ARNDT
1891 -
1944
Professor Dr. Walther Arndt, geboren am 8. Januar 1891 in
Landeshut/Schlesien, Kustos am Zoologischen Museum in Berlin, wurde aus
einem arbeits- und segensreichen Leben durch zwei Denunzianten, eine
Jugendfreundin und einen Kollegen, herausgerissen. „Meine Schwester,
meine Heimat und meine Wissenschaft
waren die Liebe und der Inhalt meines Lebens", sagte
er dem ihn betreuenden Geistlichen. Dieser berichtet weiter: „Er
war ganz ruhig und gefaßt, ja, ich möchte fast sagen: heiter abgeklärt,
als er den letzten Gang antrat.
Er brachte zum Ausdruck,
daß er zum Christenglauben hindurchgefunden habe und
in jener Welt von einem Wiedersehen überzeugt sei." Wegen
„Defaitismus" wurde er zum Tode verurteilt und am 26. Juni
1944 in Brandenburg/Görden hingerichtet.
Briefe an die Schwester
Strafanstalt Berlin-Alt Moabit,
22. April 1944
Mein liebstes, liebstes Pillchen!
Ich schreibe diese Zeilen „vorsorglich", um sie
notwendigenfalls
an Dich gelangen zu lassen. Wenn sie in Deine Hände
kommen, wurde über mich das Todesurteil gesprochen.
Daß auch mein letzter Gedanke Dir gelten wird, das weißt Du!
Daß ich Dir, die ich mehr geliebt habe und liebe als alles andere
auf der Erde, solches Leid bereite, das zu wissen ist
schwer.
Hab' Du noch einmal allerinnigsten Dank, mein liebstes
Pillchien,
für all die Liebe, die Du mir seit unseren Kindertagen
gegeben hast und besonders die in den letzten Monaten! Wie oft habe
ich an Deine Worte gedacht: „Mein Herz könnte ich
für Dich herausreißen" und „Ich bin stolz auf Dich".
Froh bin ich, daß ich in der Wissenschaft meinen Platz eine gute Reihe
von Jahren ausfüllen und auch für unsere liebe
Heimat wirken konnte. — Geliebt habe ich auch unser Zoologisches
Museum. Wenn mein Leben, das so reich und schön
war, jetzt zu Ende geht, so geschieht es vielleicht auch in dem
alten Sinne: „Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben."
Wo immer auch nun meine sterblichen Reste in den großen
Kreislauf eingehen werden - (wie ich höre, wird die Überführung
der Asche und auch selbst der Besuch der Ruhestätte
nicht gestattet) —, meine Seele wird in unsere Heimat zurückkehren
und die Blumen auf unserem lieben Grab daheim
weiden auch meine Blumen sein.
Grüße all die Getreuen von mir. Du und Arnold aber seid
allerinnigst gegrüßt und Dich küsse ich, mein liebstes Pillchen,
noch einmal. Dein Silvesterbildchen und Vaters letzter
Geburtstagsbrief liegen vor mir.
Dein Walther
Zuchthaus Brandenburg-Görden,
15. Juni 1944
Mein liebstes, liebstes Pillchen!
Vorgestern kamen Deine liebsten Briefe zu mir und
damit
streichelst Du mich, wie mich nichts anderes streicheln kann! Dazu
die „Halligblume" mit ihren Erinnerungen und das ganz stark duftende
Maiglöckchen aus Deinem Gärtchen. Wie gern
hörte ich von allem. — Wie vor Deinen Blumen, an Deinem
Nähtisch und Tischsessel sehe ich Dich oft gern vor mir, wie
Du das Tischgebet sprichst! Die Worte: „Pillchen, mein liebstes
Pillchen" sage ich hier oft vor mich hin (mein Raum ist einer
Klosterzelle nicht unähnlich]. Mit Freude denke ich,
daß die
heimatlichen
Glockenblumen jetzt auch in Deinem Gärtlein
blühen werden!
Hier sehe ich Gelbklee, Mauerpfeffer, Schwertlilie
und den Mohn schon blühen und sehe und höre jetzt vor
allem
Schwalben, Goldammer, Haubenlerche. Letzten Sonntagnachmittag
hatte ich viele schöne Stunden, indem ich mir mit
allen
innerlichen Einzelheiten alle unsere gemeinsamen Reisen und Ausflüge
ins Gedächtnis rief. Von Büchern gab mir jetzt besonders Fr. Reuters
„Stromtid" etwas, die Vater gern
auf dem
Nachttisch hatte. - An Deinem Geburtstag will ich in
meinen Gedanken
meine Hand segnend auf Dein liebes Haar
legen, wie Du
mir von jeher mein Segen warst, mein liebstes
Pillchen! Sei
mit Arnold allerherzlichts gegrüßt und geküßt
von Deinem Walther
26. Juni, 2 Uhr
Mein
innigstgeliebtes, liebstes, liebstes Pillchen!
Ich erhalte
eben noch die Möglichkeit, Dir diese Zeilen zu senden.
Ich denke, es ist für uns alle drei gut, daß jetzt diese
Tage des
Wartenmüssens zu Ende gehen, obgleich auch sie noch manche wertvolle
Stunde brachten. Jetzt aber gleichen
sie doch sehr
der allerletzten Zeit von Vaters Todeskrankheit.
Aber
heute morgen hatte ich noch die große Freude Deiner
beiden Briefe
mit den heimatlichen Glockenblumen und es war
mir noch
vergönnt, Dich an Deinem Geburtstag zu segnen in
der
Morgenstunde, in der wir beide aneinander dachten. Mutter war es
bestimmt, daß ihr Todestag auf meinen Geburtstag
fiel, so ist es
mir bestimmt, daß mein Todestag auf Deinen
Geburtstag
fällt.
Tatsächlich wandere ich ja, wie ich Euch sagte, bereits seit dem 26.
März auf der „Brücke, die von der Erde zu dem Unbekannten"
führt, aber unversucht durfte trotzdem nichts bleiben.
Nun gilt für
mich wie bei Fausts Tode: „Der Zeiger fällt, die
Uhr steht
still. Es ist vollbracht."
Wie oft habe ich hier, und
ich tue es heute
noch einmal, die Gesangbuchverse, die wir für Vaters Trauerfeier
wählten, und den Spruch: „Sei getreu bis
in den
Tod", der immer mein Wahlspruch war - vor mich
hingesagt und
hingesungen.
Die Bibliothek
hier bewirkte, daß mir die Wochen hier schnell
vergingen. Ich
habe bis zuletzt 6-7 Stunden nachts geschlafen.
Daß ich jetzt
nur noch eine Stunde zu verbringen habe, erfuhr ich eben erst. -
Mein letzter Gedanke gilt Dir und unserer
dereinstigen Wiedervereinigung, mein liebstes, liebstes
Pillchen.
Innigst küßt und grüßt Dich und Arnold noch
einmal.
Dein Walther
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Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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