Der letzte Brief
Briefe berühmter Menschen
Der letzte Brief: der königliche aller Briefe. Sein Aroma
ist köstlich.
Was sonst in armseliger Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des Denkens, Glaubens Liebens– im letzten Brief wird er zu
einer Synthese.
Sein Pathos ist unerhört- aber sein Ethos wächst darüber hinaus.
Beide –Pathos und Ethos – werden aufgenommen in die hohe Stimme einer
nie zu
entwirrenden Mystik.
Es ist das Schicksal der letzten Takte der neunten Symphonie, die
eingehen in die
Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....
Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine
Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
LUDWIG CYRANEK
1909 - 1941
Als Mitglied der
Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas weigerte sich Cyranek, an der
Gewalt- und Kriegspolitik der nationalsozialistischen Regierung
teilzunehmen und erlitt am 3. Juli 1941 in Treue zu seinem Glauben den
Tod
durch Henkershand.
Sein Abschiedsbrief
Gfgb. 1539/40.
Name Ludwig Cyranek. Untersuchungshaftanstalten Dresden,
Hauptanstalt Georg - Bähr - Straße 5.
Den 3. Juli 1941
Mein lieber Bruder,
liebe Schwägerin, meine lieben Eltern, alle anderen Geschwister mit
eingeschlossen! Fürchtet Gott und gebet Ihm die Ehre!
Nunmehr muß ich die für Euch besonders schmerzliche Eröffnung machen,
daß bei Ankunft dieses Briefes ich mich nicht mehr in diesem Dasein
befinde.
Seid bitte, bitte nicht allzu traurig. Bedenket, daß es für den
allmächtigen Gott ein Leichtes ist, mich aus dem Tode zu erwecken. Ja,
er vermag alles, und wenn er mich den bittren Kelch trinken läßt, dann
hat es auch seinen Zweck.
Ihr wißt, daß es mein Bestreben war, Ihm in meiner Schwachheit zu
dienen, und ich bin überzeugt davon, daß Gott mir bis zum Ende
beisteht, ich befehle mich in Seine Hände.
Ich scheide von Euch, indem meine Gedanken bei Euch, Ihr Lieben, in
den letzten Stunden verweilen. Möge Euch das Herz nicht erschrecken,
ja, vielmehr fasset Euch, denn so ist es sicherlich besser für Euch
als mich dauernd im Zuchthaus wissend, was eine ständige Sorge für
Euch wäre. Und nun will ich Euch, liebe Mutter, lieber Vater, danken
für alles Gute, das Ihr mir erwiesen habet. Ich kann nur einen
schwachen Dank stammeln, möge Jehova Euch alles vergelten. Mein
Flehen ist, daß Er Euch bewahren möchte, Sein Segen sei über Euch,
denn Sein Segen allein macht reich. . .. ... Es umarmt Euch alle
Eurer Ludwig
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Verzeichnis
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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