Der letzte Brief
Briefe berühmter Menschen
Der letzte Brief: der königliche aller Briefe. Sein Aroma
ist köstlich.
Was sonst in armseliger Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des Denkens, Glaubens Liebens– im letzten Brief wird er zu
einer Synthese.
Sein Pathos ist unerhört- aber sein Ethos wächst darüber hinaus.
Beide –Pathos und Ethos – werden aufgenommen in die hohe Stimme einer
nie zu
entwirrenden Mystik.
Es ist das Schicksal der letzten Takte der neunten Symphonie, die
eingehen in die
Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....
Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine
Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
Graf WILHELM
1918 - 1943
Student
Geboren am 2. Januar 1918 in Kuchenhein/Elsaß.
Als Mitglied der Widerstandsgruppe an der Münchner Universität am 12.
Oktober 1943 in München hingerichtet.
Gerichtsgefängnis Neudeck
München, den 11. April 1943
Meine lieben Eltern und liebe Mathilde, ich bin nun schon die dritte
Woche hier.
Große Sorge mache ich mir um Euch — immer und immer warte ich auf eine
Nachricht. Macht Euch nicht zu viel Gedanken über mich; die Hauptsache
ist doch, wenn es Euch Allen gut geht.
Ich muß mein Geschick tragen und erleiden, wie es mich treffen wird. Ich
bitte darum, ein starkes Herz zu haben und vertraue auf Gott.
In seiner Hand liegt mein Leben . . . Vorläufig weiß ich noch gar nicht,
was die nächsten Wochen bringen werden.
Mit Geduld und Gottvertrauen muß ich einfach abwarten. ... In Gedanken
sind wir verbunden, ich wünsche Euch eine gesegnete Zeit.
Von Herzen
Euer Willi
München, den 2. Juli 1943
Meine lieben Eltern, liebe Mathilde und liebe Anneliese, ich bin froh
darüber und dankbar, daß Ihr mich besucht habt, jetzt weiß ich
wenigstens ein bißchen, wie es Euch Allen geht. In den paar Minuten
konnten wir nur wenig erzählen, aber die Hauptsache ist, daß wir uns
gesehen haben. Ich weiß nun, daß Ihr alle an die Sinnhaftigkeit dieser
Ereignisse glaubt, an die Fügung Gottes. Nur im Glauben vermögen wir es
zu ertragen, in Seiner Hand liegt unser Schicksal . . .
In Liebe
Euer Willi
München, den 1. August 1943
. . Meine Gedanken sind bei Euch, immer wieder empfehle ich Euch dem
Schütze Gottes, von dem alles abhängt, und in dessen Händen unsere
Schicksale ruhen. Dieses Bewußtsein allein vermag uns hier einen starken
Mut zu geben, alles andere daneben wird unwichtig und bedeutungslos. Man
kann das mit jedem Tag tiefer spüren. In diesem Gedanken sind wir
vereint .
.
15. August 1943
... So gehen die Dinge auch im Leid ihren Gang, obwohl man manchmal
glauben möchte, die Zeit müsse stehen bleiben. Aber dann wird besonders
deutlich, daß in jedem noch so schweren Geschick ein bestimmter Sinn
liegt, der uns in dieser Welt wohl nicht mehr erklärt wird. Je härter
die Zeit, um so näher sind wir bei Gott . . ,
10. September 1943
... Ich danke Euch ganz besonders für Eure Post, die mir soviel Freude
macht und zur Beruhigung dient, wenn ich erfahre, daß es Euch daheim gut
geht und auch Ihr alles Leid in Geduld und Gottvertrauen tragt. Dürfen
wir nicht fast froh sein, daß wir in dieser Welt ein Kreuz auf uns
nehmen können, das manchmal über menschliches Maß hinauszugehen scheint?
In gewissem Sinn ist es eine „wörtliche" Nachfolge Christi. Wir wollen
versuchen, dieses Kreuz nicht nur einfach zu tragen, sondern zu lieben
und vollkommener zu leben im Vertrauen auf Gottes Ratschluß. Dann
erfüllt sich der ganze Sinn in diesem schmerzvollen Leiden. Für uns ist
der Tod nicht das Ende, sondern ein Durchgang, das Tor zum wahren Leben.
Ich versuche mir diese Wirklichkeiten ganz bewußt werden zu lassen und
bitte um Kraft und Segen dafür. So berühren einen die alltäglichen Dinge
nicht mehr so stark, wie sie auch ausschauen mögen. Die Erfüllung des
Lebens liegt nicht in ihnen. Aber die Liebe zu Deutschland wächst von
Tag zu Tag, und ich nehme schmerzvollen Anteil an seinem Geschick und
seinen großen Wunden . . .
12. Oktober 1943
Meine geliebten Eltern, meine liebe Mathilde und Anneliese! An diesem
Tage werde ich aus dem Leben scheiden und in die Ewigkeit gehen. Vor
allem schmerzt es mich, daß ich Euch diesen Schmerz bereiten muß. Trost
und Stärke findet Ihr bei Gott, darum werde ich bis zum letzten
Augenblick beten, denn ich weiß, daß es für Euch schwerer sein wird als
für mich. Ich bitte Euch, Vater und Mutter, von Herzen mir zu verzeihen
was ich Euch an Leid und Enttäuschung zugefügt habe. Verzeiht und betet
immer wieder für mich! Seid stark und gefaßt - vertraut auf Gottes Hand,
der Alles zum Besten lenkt, wenn es auch im Augenblick bitteren Schmerz
bereitet. Wie sehr ich Euch geliebt habe, konnte ich Euch im Leben nicht
sagen, nun aber, in den letzten Stunden sage ich Euch, daß ich Euch Alle
von Herzen liebe und Euch verehrt habe. . .
Die Liebe Gottes hält uns umfaßt, und wir vertrauen Seiner Gnade. Möge
Er uns ein gütiger Richter sein. Mein letzter Gruß Euch Allen . . .
Gottes Segen über uns, in Ihm sind wir und leben wir. Lebt wohl und seid
stark und voller Gottvertrauen! Ich bin in Liebe immer
Euer Willi
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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