Der letzte Brief
Briefe berühmter Menschen
Der letzte Brief: der königliche aller Briefe. Sein Aroma
ist köstlich.
Was sonst in armseliger Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des Denkens, Glaubens Liebens– im letzten Brief wird er zu
einer Synthese.
Sein Pathos ist unerhört- aber sein Ethos wächst darüber hinaus.
Beide –Pathos und Ethos – werden aufgenommen in die hohe Stimme einer
nie zu
entwirrenden Mystik.
Es ist das Schicksal der letzten Takte der neunten Symphonie, die
eingehen in die
Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....
Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine
Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
PETER HABERNOLL
1924 - 1944
Schüler
Geboren 1924. Eingezogen als Siebzehnjähriger.
Am 27. März 1944 auf Grund der Anzeige eines Kameraden, mit dem er sich im
Dezember 1943 unterhalten hatte, verhaftet. Am 14. Juli 1944 zum Tode
verurteilt. Am 20. September 1944 erschossen.
Untersuchungsgefängnis Litzmannstadt, 12. Mai 1944
Liebe, kleine Mutti! Hab Dank für Deinen traurig - freudigen Frühlingsbrief.
Und ich will Dir auch gleich, wenn auch nur kurz, darauf antworten. Das geht
nicht immer so schnell, wie sich das so kleine Muttis vorstellen. Es besteht
dann nicht gleich Anlaß zum Sorgen machen und Traurigsein. Abgesehen davon, daß
mir nicht immer zum Schreiben zumute ist.
Ohne daß ich immer gleich tieftraurig zu sein brauche, bin ich doch abhängig von
dem, was man so „Stimmung" nennt und von der allgemeinen Atmosphäre in so einem
Bau wie diesem und in so einer Zelle. An manchen Tagen auch starren einen diese
glatt-grauen Wände so blöd an, daß man gar nichts mehr zu sagen weiß. Das
Morgenstern-Bändchen, den Schüler und „West-Östliche Begegnung" und die
herrlichen van Gogh- und Gauguin-Karten habe ich erhalten.
Meine Freude kann ich gar nicht so ausdrücken. Und ich glaube fast, man wird der
Worte schon zu sehr entwöhnt durch dieses lange Schweigen. Im Augenblick bin ich
beim Schiller. Die Leseatmosphäre ist gerade günstig in letzter Zeit, und diese
Zeit muß man ja nützen.
Übrigens das einstündige Erlebnis der täglichen „Freistunde" mit Maienluft,
Frühlingssonnenstrahlen und einem von kleinen weißen Sommerwölkchen betupften
Himmel — und der Duft von jungen grünen Bäumen, brachten mich letztens ganz vom
Thema ab.
Bei aller Geduld, die ich gefunden habe, ließ sich ein kleines Herzklopfen doch
nicht ganz unterdrücken. So ein bißchen Frühling geht mir dann immer durch Mark
und Bein.
Nun hast Du wieder ein bißchen von mir gehört und weißt, daß ich noch wohl und
ganz lebe.
Seid alle herzlichst gegrüßt!
Untersuchungsgefängnis Berlin-Tegel, 6. Juni 1944
Liebe, kleine Mutti! Verzeih mein langes Schweigen — es lag diesmal nicht an
mir.
Und auch jetzt nur einen „kurzgefaßten, gut leserlichen" Brief als Lebenszeichen
von mir, das für vier Wochen reichen muß!.
Ja, damit müssen wir uns jetzt schon abfinden. Seit dem 27. Mai bin ich nun
schon hier — nach einer Reise, die mir dank einer vernünftigen Begleitung zu
einer erholsamen Abwechslung wurde — und beginne mich an die gegenüber
Litzmannstadt doch sehr anderen Verhältnisse zu gewöhnen.
Für mein seelisches Wohl mit Büchern usw. zu sorgen brauchst Du leider nun auch
nicht mehr. Mit Eßwaren ist das hier auch nicht so wie in Litzmannstadt.
Bitte, bitte denkt daran. Mehr Worte kann ich über dieses Thema nicht verlieren.
Kummer brauchst Du Dir um mich nicht zu machen, ganz gleich, wie's kommt. Der
Satz vom „Geist — der nicht sterben kann — unter keinen Qualen" . . . von Franz
Marc, steht über allem und bleibt in mir lebendig. Richtig schlecht kann's mir
da doch nicht gehen. In diesem Sinne . . .
Zu einem Besuch hier würde ich nicht unbedingt raten. Es ist hier auch kein
schöner Eindruck für sorgengeplagte Muttis.
Ich überlasse das jedoch ganz Dir. Laß es Dir so gut gehen, wie, irgend möglich
und bleib so tapfer, gleich was kommen mag — ich will es auch sein.
Untersuchungsgefängnis Berlin-Tegel, 7. Juli 1944
Kleine Mutti!. . . . ja, ja — man hat's nicht leicht, aber man hält' s doch aus"
— möchte ich wie der alte Hiddenseer Fischer ausrufen. Dies zur geistigen
Untätigkeit verdammt zu sein ist nicht schön. Eine schöne Kunst - und
Literaturgeschichte brauchte ich —und mir wäre wohler. Adolf Hitler schrieb in
seiner Landsberger Festungshaft einen „Kampf".
Ich würde es auch tun — aber wofür? wogegen?! Dies nicht zu wissen, eben so gar
keinen Vorwand für sein Leiden zu haben, macht die Sache etwas quälerisch. -
Jedoch so kleine Sonnenstrahlen gibt's ja immer, wie auch Deinen Brief vom 27.,
den ich, als Du mich hier besuchtest, natürlich noch nicht bekommen hatte. Mit
den zwei Gauguin-Karten und dem selten schönen, wunderschönen Nietzschesatz vom
„Jasagenden". Mir kommt dabei vieles in den Sinn, was ich Dir jetzt in einem
großen Brief sagen müßte.
In so einem „kurzgefaßten" läßt sich das nicht ausdrücken. Ich. kann Dir also
nur raten, wenn Du wieder einmal eine ruhige Stunde hast, den „Großinquisitor",
ein Kapitel in den Brüdern Karamasow, zu lesen. Eine ganz ruhige Stunde müßte es
sein. — Und wenn Du Sehnsucht hast, mit mir ein bißchen zu sprechen und meinen
Geist beschwören willst, dann spiele vor allen Dingen den langsamen Satz aus dem
„Italienischen Konzert" Bachs.
Dann bin ich ganz bei Dir! Tu's!
Dank noch für Deinen Besuch. Es hat Dir hoffentlich nicht noch mehr Kummer
bereitet, mich in dieser Umgebung zu erleben. Daß ich im übrigen von meinem
„Verbrechertum" nicht durchdrungen bin, wird Dir hoffentlich nicht als ein
Zeichen von Unreife und Oberflächlichkeit erschienen sein.
Mir hat Dein Besuch um so mehr Freude gemacht, als ich mich nun wieder auf etwas
freuen kann.
In 14 Tagen schon kann ich doch mit Deinem Besuch rechnen.
Das Mitgebrachte ward mir übrigens zu einem Genuß, den ich gar nicht beschreiben
und den Ihr Euch gar nicht vorstellen könnt! Seid alle herzlichst gegrüßt. Dir
eine große Umarmung!
Nach der Verurteilung
Berlin - Spandau, 2. August 1944
Ihr Lieben - liebe kleine Mutti! - Ich komme zu wenig aus einem sorglos schönen
Leben, als daß das Unglück nun restlos niederschmetternd für mich wäre.
Es kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern in ein Leben, das
voller Widerstände und seelischer und körperlicher Qual für mich war. Ich habe
nicht so sorglos-oberflächlich dahingelebt, sondern das Schicksal hat mich
meinen Gott zur rechten Zeit suchen gelehrt.
Ich habe Ihn gefunden, soweit Ihn ein Mensch finden und erkennen kann - und Er
ist mir nahe und hilft mir. Ich fürchte den Tod, so wie ich Gott fürchte. Ich
liebe das Leben, wie man es als Neunzehnjähriger lieben kann — aber ich weiß,
daß der Tod für mich keine Strafe sein kann.
Es ist schwer, sein Leben nicht mehr verteidigen — nicht mehr darum kämpfen zu
können. Das mögt Ihr nun, soweit es irgend möglich ist, tun. — Nein, ich bin
nicht mehr so hoffnungsfroh wie ich war, aber ich bin fern der Verzweiflung und
ruhig.
Und solange die Sonne noch scheint und ich den Himmel über mir sehe, will ich an
das Leben, an mein Leben, glauben. Die äußeren Verhältnisse haben sich denen
gegenüber, wie sie zuletzt in Tegel waren, etwas gebessert. Ich habe
Gelegenheit, zusammen mit einem Kameraden eifrig französisch zu treiben.
Meine Lektüre besteht abwechselnd aus „Faust", Grillparzers Meisterwerken und
dem Alten und Neuen Testament.
Nebenbei klebe ich ein bißchen Tüten. Tut nun, was sich zur Milderung meiner
Lage und zur Abwendung des drohenden Geschickes für mich tun läßt und bleibt im
übrigen stark, fest und gläubig — ich will es auch sein. Alle die mit mir sind,
grüße ich, und umarme meine arme kleine Mutti!
Spandau, 7. September 1944
Meine liebe kleine Mutti! Habe Dank für Deinen lieben, langen, trostreichen
Brief - so voller Optimismus und Lebensmut. - Und eigentlich weiß ich Dir nicht
zu antworten. So grau und schwer ist doch der Himmel über mir und nur
allzuschwach scheint die Sonne in diese Atmosphäre und diesen Erlebnissen, unter
denen man hier leben muß.
— Und doch, ich lebe noch, mit aller Kraft, die ich noch habe, unter
Zusammenfassung allen Willens. Nicht beten und flehen will ich; der Wille zum
Leben ist mein Gottvertrauen. Und meine Gedanken sind bei Euch, bei denen, die
diesen Willen mit mir haben.
— Ganz tief steht die Sonne jetzt am Himmel und scheint ganz blutig-rot als wie
von einer fernen, anderen Welt in meine Zelle. Bei Sprecherlaubnis bitte nur D u
- über kahl geschorenen Schädel bitte nicht zu erschrecken.
Spandau, 20. September 1944
Ihr Lieben - meine liebe kleine Mutti! Es ist so weit - und ich bin ruhig wie
noch nie in meinem Lehen und zuversichtlich.
Ich wußte es seit Tagen und Wochen, wenn ich es auch vor Euch und mir nicht wahr
haben durfte. Der Herrgott ist mir nahe und hat mir Seine Hand gereicht - und
hat mir Kraft gegeben.
Er wird sie meiner armen, kleinen Mutti nicht versagen. Ihr dürft den Mut nicht
verlieren, Ihr müßt weiterleben, jetzt wie noch nie.
Daß ich heute erschossen bin, soll niemandem verheimlicht werden. Bleibt getrost
wie ich es bin. Ich umarme und küsse meine kleine Mutti.
Peter
Berlin-Gatow, 25. September 1944
Sehr geehrte Frau Karen Habernoll!
Ihr Sohn Peter hat es gewünscht, daß ich Ihnen über seinen letzten Gang etwas
schreibe. Er starb sehr gefaßt, tapfer und ruhig. Sie sollen nicht trauern, er
sei gern gestorben, so hat er gesprochen. Als ich ihm einige Minuten vorher
sagte, das Leben ist ein Jammertal und das eigentliche Leben nach dem Tode,
sagte er, für ihn wäre das Leben nicht ein Jammertal gewesen. Etwa um 4 Uhr 50
ist er in die Ewigkeit gegangen, 4 Uhr 30 wurde ihm das Urteil vorgelesen.
Einige Sekunden vor dem Tode verabschiedete ich mich von ihm und sagte ihm
leise, er solle beten. Da sagte er mir: „Gott ist bei mir!" In den Himmel
schauend, aufrecht und gefaßt, brach er zusammen. Es war, als ob der Atem Gottes
ihn umwehte! Sein Wunsch war: Sie sollen nicht trauern. Möge er in Gott die
Erfüllung seines jungen Lebens finden. Gott möge ihn in Seine ewige Wohnung
aufnehmen.
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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