Hesse Helmut
1916 - 1943
Pastor
Am 14. Oktober 1935 reichte der junge Helmut Hesse, geboren am 11. Mai
1916 in Bremen, der SA-Führung ein Entlassungsgesuch ein, das sich auf
das Gebot „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" berief. Mit
unzweideutigem Hinweis auf Hitler heißt es da: „Jeder Anspruch, der
diese Grenzen (der von Gott verordneten Obrigkeit) nicht anerkennt, ist
Götzendienst.
Wer sich zum Herrn über Glauben und Gewissen aufwirft, handelt wider die
christlichen Bekenntnisse und ist antichristlich." Der Schreiber dieses
mutigen Briefes, zum Pastor ordiniert, schloß sich wie sein Vater,
Pastor Hermann Hesse, der Bekenntniskirche an und diente dem Worte
Gottes in furchtlosem Widerspruch, zu der ungöttlichen
nationalsozialistischen Umwelt.
Vater und Sohn wurden am 8. Juni 1943 verhaftet und am 12. November nach
Dachau übergeführt. „Was wird, dürfen wir dem getrost überlassen, der
uns bis heute jeden Tag bewiesen hat seine väterliche Güte und göttliche
Allmacht.
Er sei geloht allein!" notierte Helmut Hesse auf einem aus Dachau
gesandten Zettel. In der Nacht vom 23. zum 24. November erlag er den
Härten der Lagerhaft.
Sein Dienst am Wort, für den er sein Leben opferte, sei durch einen
Abschnitt aus seiner am 1. Sonntag nach Trinitas gehaltenen Predigt
veranschaulicht.
Text Jona I
... Mache dich auf und gehe in die große Stadt Ninive und predige wider
sie. Denn ihre Bosheit ist heraufgekommen vor mich! Da liegt fern am
Tigris in Mesopotamien das Herz des assyrischen Weltreiches, die große
Ninive: der Staat, der bereits drei Weltstädte eingemeindet hat, Kalah,
Resen und Rehoboth - Ir.
Schon das erste Buch Moses berichtet uns von dem großen Städtebauer
Nimrod, der um Groß-Ninive undurchdringliche Wälle gezogen hat, deren
Reste noch heute wie Gebirge in der Ebene liegen: das war Groß-Ninive,
„Groß" nennen wir Menschen die Mächtigen auf der Erde und 1. Mose 10
nannte den Erbauer dieser ersten Weltstadt „groß", weil er von
unerreichter politischer Bedeutung war.
Aber was heißt es, daß Gott im Jonabüchlein nun auch Ninive zweimal die
„große Stadt" nennt? Groß heißt Ninive hier doch nicht, weil ihr Umfang
über 120 Kilometer beträgt, sondern weil aus aller ihrer Weltmacht nur
Hochmut und große Bosheit gekommen ist. Um ihrer Sünde willen nennt Gott
Ninive groß, Andererseits spricht er am Ende des Jonabüchleins von
dieser großen Stadt, weil sich an ihr seine Gnade noch viel großer und
mächtiger erweisen soll.
Aber hier heißt es nun: predige wider siel Es lohnt sich, wider sie zu
predigen, da ihre Sünde groß ist; es lohnt sich beinahe so, wie die
Predigt wider das halsstarrige Israel, wider die Gemeinde Gottes, deren
Sünde noch viel größer ist. Predige wider sie! Was steckt nicht alles in
dem hebräischen Wörtchen „aläha"? Das heißt nicht nur: predige darinnen,
sondern laß das Wort des Herrn über sie kommen, belagere, blockiere
Groß-Ninive. Womit?
Armer, kleiner Jude Jona! Wahrlich, womit willst du Groß-Ninive
belagern? Mit Waffen, mit Geld, mit deinem Mund? Dann gehe lieber wieder
beim nach Gath-Hepher in deine Kelterstadt und presse Weintrauben. Aber
Jona bekommt eine Waffe gegen Groß-Ninive, davor alle Heere der Welt
zusammenbrechen: das Wort Ja, kleiner Jona aus der Kelterstadl, nun
sollst du der großen Ninive das Gericht des Herrn predigen; des Herrn,
der der Keltertreter heißt, der die Völker keltert in seinem Zorn und
sie zertritt mit seinem Grimm, denn er hat einen Tag der Rache sich
vorgenommen — das Jahr, die Seinen zu erlösen, ist gekommen.
Und du, Gemeinde Christi, meinst du nun, dieses Reden der Kirche zur
Weltmacht sei eine einmalige Angelegenheit des Alten Testamentes und
ginge dich weiter nichts an? Hast du denn die Predigt Johannes des
Täufers wider die Sünde seiner Obrigkeit und den Bußruf des Paulus an
Felix vergessen?
— Ja, fragst du, aber Christus selber stimmt doch nicht ein in diese
Predigt wider Groß-Ninive?
Allerdings schweigt Christus vor Herodes und Pilatus, aber sind nicht
beide durch das Schweigen des fleischgewordenen Wortes gerichtet?
Die Herrscher dieser Welt wünschen ja gerade, daß das Wort Gottes zu
ihnen und für sie spricht.
Sie haben ja nichts lieber, als daß die Kirche ihnen die Schleppe trägt
und all ihr Handeln als gottgewollt bezeichnet.
Darum schweigt Christus, — aber er wird einmal reden an dem Tage, an dem
er alle Großen und Kleinen der Erde richtet. Aber hast du deswegen ein
Recht solange auch zu schweigen? Ist es nicht auch heute Sache der
Kirche Christi, die Sünden Groß-Ninives Sünden zu nennen? Kennst du
nicht das 11. Kap. der Offenbarung, daß sich Christus auch am Ende der
Tage noch Zeugen erwählt wider die Sünde Groß-Ninives?
Darum bitte Gott, daß dich nicht Angst und Menschenfurcht zum stummen
Hunde machen, wo dir die Sünde Groß-Ninives begegnet.
Und wir wollen danken für jedes geschenkte, offene Bekenntnis. Predige
auch du wider Groß-Ninive zum Zeugnis über sie. Oder willst du dich
durch stillschweigendes Zusehen beteiligen an dem Mißbrauch, den man mit
dem Namen des „Allmächtigen" treibt, an Gotteslästerung und
Sabbatschändung, an dem Mord wehrloser Geschöpfe des lebendigen Gottes?
Siehst du nicht, wie alle Gebote Gottes verlacht werden? Predige wider
Ninive: „Siehe, ich will an dich, spricht der Herr Zehaoth, und deine
Wagen im Rauch anzünden und das Schwert soll deine jungen Löwen fressen
und will deines Raubens ein Ende machen auf Erden, daß man deiner Boten
Stimme nicht mehr hören soll."
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider