Der letzte Brief
Briefe berühmter Menschen
Der letzte Brief: der königliche aller Briefe. Sein Aroma
ist köstlich.
Was sonst in armseliger Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des Denkens, Glaubens Liebens– im letzten Brief wird er zu
einer Synthese.
Sein Pathos ist unerhört- aber sein Ethos wächst darüber hinaus.
Beide –Pathos und Ethos – werden aufgenommen in die hohe Stimme einer
nie zu
entwirrenden Mystik.
Es ist das Schicksal der letzten Takte der neunten Symphonie, die
eingehen in die
Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....
Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine
Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
Carl Lampert
1894- 1944
DER FALL STETTIN
Am 13. November 1944, um 16 Uhr, wurden im Zuchthaus zu Halle durch das Fallbeil
hingerichtet: der 50jährige Provikar der Diözese Innsbruck, Prälat Dr. Carl
Lampert, der 47jäh-rige Oblatenpater Friedrich Lorenz, der 36jährige Kaplan
Herbert Simoleit.
Seit Jahren hatten diese drei Priester, aus verschiedenen Gegenden Deutschlands
stammend und ebenso verschiedenen Bereichen der kirchlichen Hierarchie
angehörend, in Stettin als Priester gewirkt, wo sie im Februar 1943 im Zuge
einer groß angelegten Gestapo-Aktion gegen den mecklenburgisch - pommerschen
Klerus verhaftet und nach einer langen Leidenszeit zum Tode verurteilt worden
waren — „nicht weil sie", wie bei der Hauptverhandlung in Torgau einer der
Richter wörtlich erklärte, „Verbrecher waren, sondern weil ihre Tragik darin
bestand, daß sie katholische Priester waren".
Zwei Stunden vor der Hinrichtung schreibt Prälat Lampert an seinen Bruder: Nun
ist die Stunde gekommen —die so „schreckliche" für Dich und für alle meine
Lieben, die „erlösende" für mich. Der Kreuzweg geht nun zur letzten Station,
Finsternisse sind hereingebrochen, aber der „Tag" dämmert herauf, auf Dich, o
Herr, hoffe ich, alleluja ... Ich kann Dir nichts mehr schenken als meine
Bruderliebe und -sorge übers Grab hinaus; denn die Liebe stirbt ja nicht, und
ich trage sie nun zum Quell aller Liebe, zu Gott, und dort wird sie nur noch
inniger, reiner, fester und hilfreicher . . . Oh, wie bin ich froh, daß endlich
ein Ende kommt von all dem harten Leid — nun geht's heim — und ich bleib' doch
bei Euch. — Nun kam gerade der höchste Besuch —letzte Kommunion! So trete ich
jetzt mein letztes Opfer an, um 4 Uhr mit dem Confiteor meiner Herzenstreue. Mit
dem Christ - Kyrie- Ruf eines armen Sünders, mit dem letzten „Gloria in excelsis"
und „Credo in unum Deum", mein letztes „suscipe" und „Orate fratres", meine
letzte Anbetung des eucharistischen Heilandes - o wie danke ich Ihm — und dann
jetzt die letzte Kommunion vor der großen endgültigen. So spreche ich jubelnd
mein „ite missa est" „consummatum est" — und segne nochmals alle, alle, die
meinem Herzen nahe durch die Bande des Blutes, der Liebe, des Berufes und
besonders des Leides . . . Nunc dimittis servum tuum . . , Magniflcat anima mea!
Simoleits letzter Gruß
Meine geliebten Eltern und Geschwister! Bevor ich mich in die Arme des gerechten
und barmherzigen Gottes werfe, will ich noch einmal hier auf Erden Euch herzlich
umarmen. Verzeiht mir den schweren Schmerz, den ich Euch antun muß, und, bitte,
weint und klagt nicht um mich, denn ich gehe zum Vater, zu Gott, der meine
Jugend erfreut hat ... 22 Monate war ich nun abgeschlossen von aller Welt,
endlich kann ich sagen; „Laqueus contritus est et nos liberati sumus! — die
Schlinge ist zerrissen und wir sind frei!"
Mein geliebtes Muttchen!
Alles habe ich Dir zu verdanken, alles, was in meinem Leben groß und schön war!
Nun dieser Schmerz. Ich fühle Dich heute den ganzen Tag in meiner Nähe ... O
Mutti, was sind wir doch trotz vieler Not gesegnet gewesen und glücklich. Jetzt
wollen wir vom Vater nehmen, was Er uns auferlegt, das Kreuz Seines geliebten
Sohnes. „Wer mein jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir
nach.
" Das will ich jetzt versuchen, denn die größte Wirksamkeit in der Welt ist das
Leiden. Auf Wiedersehen dort, wo alle Tränen versiegen, auf Wiedersehen bei
unserem himmlischen Vater. Maria, die unter dem Kreuze ihres Sohnes stand, steht
bei mir und hilft meiner Schwachheit . . . Meine Lieben alle! Ganz weit breite
ich meine Hände über Euch alle und sende Euch aus meinem priesterlichen Amte
meinen priesterlichen Segen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes.
Amen."
In dieser Stunde schließe ich Euch alle, unsere heilige Kirche und mein
geliebtes Vaterland, in meinen Segen ein, daß Frieden und Segen und Glück
überall herrsche. Wie freute ich mich, als man mir sagte: „Jetzt gehen wir in
das Haus des Herrn!" Auf Wiedersehen in Gott! Euer alle herzlich liebender Sohn
und Bruder
Herbert
Mein Testament!
Es geschehe der Wille Gottes. Er wollte, daß ich nicht länger als 48 Jahre
leben, nicht länger als 20 Jahre Priester sein sollte. Ich empfehle meine Seele
der Barmherzigkeit, Güte und Liebe Gottes.
Meinen Leib übergebe ich der Erde, von der er genommen ist. Blut ist geflossen
am Kreuze, Blut fließt auf unsern Altären als Erneuerung des Kreuzopfers. Mit
diesem Blut vereinigt sich mein Tröpflein Blut zur Anbetung, Ehre und
Verherrlichung Gottes, dem ich gedient habe, zum Dank für alle Gnaden und
Wohltaten, die ich empfangen habe, besonders für die der Geburt, der heiligen
Taufe, der ersten heiligen Kommunion, der Oblation und der heiligen
Priesterweihe, zur Sühne für meine Sünden und die Sünden der ganzen Welt,
besonders für jene, die ich nicht verhindert oder an denen ich gar schuldig bin;
zur Bitte um Gnade für mich und alle, die mir lieb und teuer sind.
Ich sterbe als katholischer Priester und als Oblate der Unbefleckten Jungfrau
Maria, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen!
Gelobt sei Jesus Christus und die Unbefleckte Jungfrau Maria. Amen!
P. Friedrich Lorenz, Halle/Saale,
den 13. November 1944
16 Uhr
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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