Der letzte Brief
Briefe berühmter Menschen
Der letzte Brief: der königliche aller Briefe. Sein Aroma
ist köstlich.
Was sonst in armseliger Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des Denkens, Glaubens Liebens– im letzten Brief wird er zu
einer Synthese.
Sein Pathos ist unerhört- aber sein Ethos wächst darüber hinaus.
Beide –Pathos und Ethos – werden aufgenommen in die hohe Stimme einer
nie zu
entwirrenden Mystik.
Es ist das Schicksal der letzten Takte der neunten Symphonie, die
eingehen in die
Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....
Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine
Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
Lange Hermann
1912 - 1943
Pastor
Leben ward den Märtyrern . . . daß sie nicht, das Leben liebend das
Leben verleugneten, und, das Leben verleugnend das Leben verlören. Und
so geschah es, daß sie, die für das Leben die Wahrheit nicht verlassen
wollten, durch ihr Sterben für die Wahrheil lebten.
St. Augustinus in Ps. 118
WO SEINE ZEUGEN STERBEN IST SEIN REICH
Am 10. November 1943 wurden vier Lübecker Geistliche — die drei
katholischen Kapläne Johannes Prassek (geb. 1911 in Hamburg), Hermann
Lange (geb. 1912 zu Leer in Ostfriesland), Eduard Müller (geb. 1911 in
Neumünster) und der evangelisch-lutherische Pastor Karl Friedrich
Stellbrink (geb. 1894 in Münster] - in Hamburg durch das Fallbeil
hingerichtet. Sie hatten den Brand von Lübeck von der Kanzel her als
Gottesgericht bezeichnet.
Hermann Lange schrieb aus dem Hamburger Gefängnis am 11. Juli 1943: Ich
persönlich bin ganz ruhig und sehe fest dem Kommenden entgegen. Wenn man
wirklich die ganze Hingabe an den Willen Gottes vollzogen hat, dann gibt
das eine wunderbare Ruhe und das Bewußtsein unbedingter Geborgenheit....
Menschen sind doch nur Werkzeuge in Gottes Hand. Wenn Gott also meinen
Tod will — es geschehe Sein Wille. Für mich ist dann eben das Leben in
diesem Jammertal beendet und es nimmt dasjenige seinen Anfang, von dem
der Apostel sagt: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in
keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die
Ihn lieben." Der Tod bedeutet doch Heimkehr! Das, was uns dann geschenkt
wird, ist so unvorstellbar groß, daß alle menschlichen Freuden dagegen
verblassen, und das Bittere des Todes als solchen — was er auch für
unsere menschliche Natur im Dunklem an sich hat — dadurch gänzlich
überwunden wird ...
Aus dem Abschiedsbrief an die Eltern am 10. November 1943
Wenn Ihr diesen Brief in Händen habt, weile ich nicht mehr unter den
Lebenden! Das, was nun seit vielen Monaten unsere Gedanken immer wieder
beschäftigte und nicht mehr loslassen wollte, wird nun eintreffen. Wenn
Ihr mich fragt, wie mir zu Mute ist, kann ich Euch nur antworten: Ich
bin 1. froh bewegt, 2. voll großer Spannung!
Zu 1. Für mich ist mit dem heutigen Tage alles Leid, aller Erdenjammer
vorbei - und „Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen!"
Welcher Trost, welch wunderbare Kraft geht doch aus vom Glauben an
Christus, der uns im Tod vorangegangen ist. An Ihn habe ich geglaubt und
gerade heute glaube ich fester an Ihn und ich werde nicht zuschanden
werden. Wie schon so oft möchte ich Euch auch jetzt noch einmal
hinweisen auf Paulus.
Schlagt die folgenden Stellen einmal auf: 1. Kor, 15, 43 f., 551 Rom.
14, 8. Ach, schaut doch hin, wo immer Ihr wollt, überall begegnet uns
der Jubel über die Gnade der Gotteskindschaft. Was kann einem
Gotteskinde schon geschehen? Wovor sollte ich mich denn wohl fürchten?
Im Gegenteil: Freuet Euch, nochmals sage ich Euch, freuet Euch! Und 2.
Heute kommt die größte Stunde meines Lebens! Alles, was ich bis jetzt
getan, erstrebt und gewirkt habe, es war letztlich doch alles hinbezogen
auf dieses eine Ziel, dessen Band heute durchrissen wird.
„Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört hat und was in keines
Menschen Herz gedrungen ist, hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben"
(1. Kor. 2, 9).
Jetzt wird für mich der Glaube übergehen in Schauen, die Hoffnung in
Besitz und für immer werde ich Anteil haben an dem, der die Liebe ist!
Da sollte ich nicht voller Spannung sein?
Wie mag alles sein? Das, worüber ich bisher predigen durfte, darf ich
dann schauen! Da gibt es keine Geheimnisse und quälenden Rätsel mehr.
Heute ist die große Heimkehr ins Vaterhaus, und da sollte ich nicht froh
und voller Spannung sein?
Und dann werde ich auch all die wiedersehen, die mir hier auf Erden lieb
waren und nahe standen! Ich habe von Anfang an alles in Gottes Hand
gelegt. Wenn Er nun dieses Ende von mir fordert — gut, es geschehe Sein
Wille.
Ganz der Wille Gottes
Wenn der Tag sich neigt,
wenn des Lebens Sonne
nur noch mattes Glänzen zeigt,
wenn sie tiefer sinkend,
nah' dem Untergehn,
ganz der Wille Gottes
soll auch dann geschehn!
Ganz der Wille Gottes!
Ob nach kurzem Pfad'
ob nach langem Wandern
diese Stunde naht,
Freunde oder Feinde
mich dann sterben sehen,
ganz der Wille Gottes
soll auch da geschehen!
Auf Wiedersehen oben beim Vater des Lichtes!
Euer glücklicher Hermann
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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