]ulius Leber, geboren am
16. November 1891 zu Biesheim im Oberelsaß, war Chefredakteur des „Lübecker
Volksboten" und sozialdemokratischer Abgeordneter im Deutschen Reichstag. Seine
Bedeutung als Politiker machte ihn zum Gegenstand nationalsozialistischer
Verfolgung, und er erlitt jahrelange Haft im Konzentrationslager. Er nahm eine
führende Stellung in der Widerstandsbewegung ein, wurde wegen seines
Zusammenhangs mit der Erhebung vom 20. Juli zum Tode verrteilt und starb am 5.
Januar 1945.
Briefe aus der Haft
Lübeck, den 24. Juni 1933 Untersuchungsgefängnis
...Manchmal kommt mir ein Gedanke: Wer weiß, vielleicht ist das Schicksal weiser
als wir heute ahnen. Vielleicht werden wir es einmal doch als gut empfinden, daß
mit der Epoche in meinem Leben Schluß gemacht wurde, die an sich keine andere
Aufgabe und keine andere Aussicht mehr bot, als einem sonnigen Lebensabend
zuzusteuern.
Seit zwei oder drei Jahren hat mich diese Aussicht oft gequält, und ich sah bei
der trostlosen Verstockung in unserem Parteiapparat keinen anderen Ausweg.
Sicher weißt Du es von mir, irgendwo in meinem Charakter ist es begründet: Der
Kampf um ein Ziel ist mir alles, das erreichte Ziel gilt mir wenig.
Für was für ein Ziel sollte man aber noch in den letzten Jahren kämpfen? Hätte
mich ein so schweres Schicksal allein und persönlich getroffen, so hätte ich
vielleicht die tragische Schuld in meiner eigenen Entwicklung der letzten zwei
Jahre suchen müssen.
Was aber ist die Entwicklung einer Person im Vergleich zu der großen
geschichtlichen! Was ist auch schon noch die Strafe für mich im Vergleich zu der
Tatsache, daß mein Lebenswerk zusammenbricht!
Lübeck, den 26. Juli 1933 Untersuchungsgefängnis
... Man kann dem Volke Angst einjagen mit allen möglichen Mitteln. Liebe aber
wächst nur durch Menschlichkeit und Gerechtigkeit, und ohne Liebe gibt es eben
kein Vaterland. Manchmal zweifle ich, ob ich selbst jemals ein Vaterland der
Gerechtigkeit sehen werde.
Lübeck, den 4. August 1933 Untersuchungsgefängnis
Im Grunde genommen ist das Leben doch nur durch Spannungen schön. Ich wüßte aus
meiner früheren " Schönen Erinnerung" nur wenige und seltene Dinge, die mich mit
so angespannter Freude erfüllten, wie jetzt das Erwarten Deines Besuches. Und
wenn dann noch die Woche so schnell vorbeigeht wie mir die jetzige, dann ist das
Leben beinahe vollkommen.
Als gestern der Inspektor durch die Zelle ging und mich fragte, wie es so geht,
da konnte ich ihm nur antworten, daß ich eine glückliche Zeit unter seiner
Oberherrschaft verlebe. Er hielt mich zwar für verrückt.
Aber diese innere Sammlung und Konzentration durch die Enge der Zelle schaffen
tatsächlich einen Zustand, der mehr inneres Glück in sich birgt als die
zerrissene Hast des freien Lebens. Es ist eben so, daß sich hier jeder selber
zurechtfinden, hochhalten und stark machen muß. „Hier wird das Herz gewogen,
kein anderer tritt für ihn ein", das gilt hier vielmehr als auf dem
Schlachtfeld. Weil hier jedes Pathos und jede Leidenschaft fehlt.
Hier wird das Herz gewogen ohne jede Zugabe. Hier kann man sich nichts
vormachen, nichts, nichts, denn man ist immer allein zwischen vier kahlen
Wänden, die wie ein Seelenspiegel blank werden in den langen Monaten.
Konzentrationslager Sachsenhausen, den 21. Dezember 1936
Weihnachten steht vor der Tür, das vierte Fest seit unserer Trennung.
Das Schicksal meint es hart mit uns und doch nicht schlecht. Schicksalsschläge,
Prüfungen und Notlagen hämmern dein inneren Menschen zurecht und gestalten ihn
um. Er lernt sich selbst klarer zu sehen und zu beurteilen. ... Keine Zeit im
Leben eines Menschen ist verloren als die, die er gedankenlos und sinnlos an
sich vorbeiplätschern läßt.
Gilt eins etwa für die Jahre unserer langen Trennung?
O nein, denn sie haben uns geformt, und wir sind andere geworden als wir waren.
Ein Schicksalsweg, der das von uns fordert, schlägt nicht nur Wunden, er
beschenkt auch.
Nach dem Attentatsversuch kurz vor seiner Verhaftung
Ich habe nur einen Kopf, und ich kann ihn für keine bessere Suche einsetzen als
diese.
Kurz vor seinem Tode
Die Einsamkeit der Zelle ist nicht etwa eine bedrückende Last. Oft denke ich an
die mittelalterlichen Mönche, die aus der Welt ausscheiden, um sich in vier
engen Wänden ihren Gedanken hinzugeben. Viele von ihnen fanden darin höchstes
Glück und tiefste Erfüllung.
In einem Buch las ich diesen Spruch von dem alten Mystiker Angelus Silesius:
„Man red't soviel von Zeit und Ort, von Nun und Ewigkeit!
Was ist denn Zeit und Ort und Nun und Ewigkeit?"
Ich habe mir viele Gedanken gemacht in den letzten Wochen, und ich bin doch zu
der Oberzeugung gelangt, daß die Liebe, deren die menschliche Seele fähig ist
und die stärker ist als alles andere im Menschen und in der Welt, beweist, daß
diese Seele göttlichen Ursprungs sein muß.
Göttlichen Ursprungs bedeutet auch unsterblich
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider