Harmen van der Leek
1895 - 1941
Holländischer
Widerstandskämpfer/ Letzter Brief vor der Erschießung /Amsterdam, 17. November
1941
Geliebter Pastor und Freund!
Wir haben wir wieder erlebt! Am Freitag wurden wir erst zu viert im Auto nach
Amsterdam gebracht und waren sehr aufgeräumt. Einem von uns war gesagt worden,
daß wir noch einmal verhört würden und das konnte eine günstige Wendung sein,
nachdem das Todesurteil schon verkündet war. Aber der Schlag, der dann kam, war
um so härter. Wir hatten noch drei Stunden zu leben und wir konnten unsern
letzten Brief schreiben. Das habe ich getan und wartete dann auf ihr Kommen.
Pfr. Ferwerda sprach ich noch einen Augenblick und konnte Ihm vorsichern, daß
alles gut mit mir stünde. Ich konnte auch nichts anderes sagen, denn ich war
unaussprechlich ruhig und voll Mut. Wie hätte ich auch sonst so heiter sein
können. Ich konnte von allen und von allem Abschied nehmen — und damit war das
letzte Band, das mich noch an die Erde gebunden, gelöst. Dann aber, eine viertel
Stunde vor der festgesetzten Zeit, kam der Bericht: Aufschub. Das hat mich
vollkommen niedergeschlagen. Den Tod vor meinen Augen, geriet ich keine Minute
in Anfechtung, mein Gottvertrauen blieb stark. Als ich in die furchtbare, schwer
vergitterte Todeszelle eingeschlossen wurde, bekam ich im ich sogar einen
Augenblick eine Anwandlung laut zu singen. Ich betrachtete mit einem Lächeln das
viele Eisen. Als dann die Türe sich hinter mir schloß, dachte ich: Nun fällt für
mich die Türe zum Leben für immer zu. Aber sogleich kam mir der helle und feste
Gedanke: Auch hieraus kann Gott, wenn im will, noch befreien! Aber ich hatte
nicht den geringsten Schmerz und keine Enttäuschung, nicht das geringste
Verlangen, daß Er es tun möge. Doch aus der Gewißheit des Todes wieder in Angst
und Zweifel und neue Erwartung geworfen, wurde ich innerlich schwach. Wohl blieb
ich Gottes unaussprechlicher Güte in Jesus Christus gewiß, und gewiß, daß Er es
besser weiß als ich, aber ich mußte doch schreiend und schluchzend Seine
besondere Hilfe anrufen, um diesen neuen Schreck auszuhalten.
Zwei Tage hatte ich mit meinem Zellengenossen darunter gelitten, zuweilen haben
wir über Gottes reiche Gnade miteinander sprechen können, aber die Gewißheit,
daß ich gerettet würde, ist vorbei. Ich bin dadurch nicht in Aufruhr gegen Gott
geraten — ich habe in der ersten schlaflosen Nacht von Freitag auf Samstag den
letzten Kampf durchgekämpft und aufs neue bitten gelernt: Dein Wille geschehe!
Ich habe gesagt: Herr, nun kann ich nicht mehr, hier hast Du mich ganz,
ohnmächtig und erschlagen. Ich erwarte jetzt nichts mehr als Deine Gnade. Aber
mein Glaube war nicht erschüttert - ich bin nur zu diesem Ergebnis gekommen, daß
Gottes Plan für diese Zeit oder für die Ewigkeit mit mir noch nicht fertig war.
Über Nacht wurde ich wach und fühlte, daß mein ganzer Glaube zurückgekehrt war.
Noch fühle ich Schmerz und Angst, denn nun weiß ich, was mir wahrscheinlich
bevorsteht und das beruhigt mich auch, weil es nicht mehr unerwartet kommt, aber
ich bin gewiß, daß Gott uns auch da hindurchhelfen wird. Wir stehen nun in der
letzten Bereitschaft. Dabei besitze ich noch meinem vollen Glauben an Gottes
Wundermacht; auch jetzt kann er uns noch retten und die letzten Bemühungen für
uns in Berlin segnen.
Aber ich fühle, daß ich nach dieser Möglichkeit nicht mehr greifen mag, sondern
nur still wie ein Kind die Entschuldigung meines Vaters abwarten will. Ich muß
leiden, aber nicht als einer, der ohne Hoffnung ist. Was kommt, ist immer gut,
wird sogar von ungeahnter Herrlichkeit sein. Wir bitten, daß wir hier noch leben
dürfen als kräftige Zeugen des Heilands; mehr verlangen wir nicht. Sie sehen,
eine klare und reine Haltung ist mir nicht gegeben, aber ich warte auf den
Herrn...
Ihr zugeneigter Harmen van der Leek
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider