Der letzte Brief
Briefe berühmter Menschen
Der letzte Brief: der königliche aller Briefe. Sein Aroma
ist köstlich.
Was sonst in armseliger Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des Denkens, Glaubens Liebens– im letzten Brief wird er zu
einer Synthese.
Sein Pathos ist unerhört- aber sein Ethos wächst darüber hinaus.
Beide –Pathos und Ethos – werden aufgenommen in die hohe Stimme einer
nie zu
entwirrenden Mystik.
Es ist das Schicksal der letzten Takte der neunten Symphonie, die
eingehen in die
Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....
Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine
Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
ELISABETH VON THADDEN
1890 - 1944
Das ist mein Gebot, daß Ihr
Euch untereinander liebet, gleich wie ich Euch geliebt habe.
[Anfang des Abschiedsbriefes an die Familie]
Elisabeth von Thadden, geboren am 29. Juli 1890 auf Trieglaff/ Pommern, war im
Jahre 1933 auf der Höhe ihrer Tätigkeit und Schaffenskraft angelangt. Nun wurde
ihr alles aus der Hand geschlagen, was sie besaß. Sie verlor die Schule, die sie
in Wieblingen aufgebaut hatte — das bis zum heutigen Tage fortbestehende Werk
ihres erzieherischen Geistes —, ihre Freiheit und schließlich ihr Leben.
Am 12. Januar 1944 wurde sie verhaftet, am 8. September des gleichen Jahres
hingerichtet. In der Schmach und Bitternis der Haft, mit gefesselten Händen,
kämpfte sie einen siegreichen Kampf gegen Verzweiflung um Glaubenssicherheit und
inneren Frieden. In einem Buch von Reinhold Schneider strich sie sich damals die
folgenden Sätze an: „Das ist die Gnade der Schmach, daß sie des Herzens
Eigenmacht tilgt und die falschen Bilder ihres Trachtens zerstört und es löst
von den Fesseln der Eitelkeit. Es gibt keine Schmach mehr, die die Seele
unbedingt verletzt. Ein schwacher Abglanz Deiner Unverletzbarkeit, o Gott, teilt
sich den Deinen mit. Wir wollen auf Dich blicken, wenn uns zuteil wird, was wir
verdienen. Das Höchste unsrer Seele ruht unzerstörbar in Dir. Es kann uns nicht
genommen werden."
Aus dem Briefe eines Freundes
Sie wirkte nicht durch das, was sonst ein Mensch gemeinhin durch Bildung und
Formung, durch die selbsterrungene Entwicklung der in ihm angelegten
Möglichkeiten als die Bedeutung seiner Erscheinung ausstrahlt; sie wirkte
schlechthin durch ihr Sein. Dies Sein strömte, einer Urkraft gleich,
unabänderliche und unbeeinflußbare Kraft auf die anderen aus.
Es wurzelte im Blut ihres durch Tradition und Züchtung in Jahrhunderten
durchgebildeten Geschlechts, dessen Adel Verpflichtung war, Verpflichtung zur
Treue gegen sich selbst, Verpflichtung zur Erhaltung des in sich selbst
gebildeten und dargestellten Begriffs und Wertes.
Das erlebten an ihr die Kinder: wie es möglich war, daß ein Mensch mit so
offenkundigen Unzulänglichkeiten eine so tiefgehende, weit in ihr eigenes Leben
hineinstrahlende Wirkung entfalten konnte, die sie als sittlichende, sie für ihr
Leben verpflichtende Kraft oft zunächst widerwillig empfingen, deren sie erst
allmählich, in Jahren der unaufhebbaren Nachwirkung, inne wurden, die sie dann
mit tiefer, weit über alle Worte hinausgehender Dankbarkeit als Verpflichtung
für ihr Leben in ihr Leben gezeugt, erkannten.
Sie war der vorbildliche Mensch aus Geblüt, dessen Wesen sich bekundet durch
seine Haltung: klar, zuchtvoll, fest, unabdingbar, seiner Art verpflichtet.
Als solcher hat sie gelebt und gewirkt, als solcher ist sie gefallen auf dem
Schaffott, sich selbst getreu bis zum letzten, bittern, zumal für eine Frau
entsetzensvollen Schritt des entwürdigend gemeinten, sie aber adelnden Todes
durch das Beil des Henkers.
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Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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