DELP ALFRED
1907 - 1945
Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir!
Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu Dir!
Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gibt mich ganz zu eigen Dir!
Niklaus von der Flüe
ALFRED DELP S. J.
Pater
Das Leben und Denken von Alfred Delp, geboren am 15. September 1907 in
Mannheim, war bestimmt durch seine gläubige Unruhe über die Gottesferne
des modernen Menschen. Sie vibriert in seinen theologischen Schriften, sie
machte ihn hellsichtig für das politische Verderbnis seiner Zeit und
führte ihn der Kreisauer Widerstandsgruppe zu. Am 28. ]uli 1944 wurde s in
München verhaltet, zusammen mit Graf Moltke verurteilt, und am 2. Februar
1945 erlitt er den Tod durch den Strang.
Aufzeichnungen vor der Verhaftung
Juli 1943
... Es ist herrlich jetzt, dieser reifende Hochsommer. Vom Feld her
rauschen die Sensen und Sicheln ihr betörendes Lied. Ich habe das so gern,
die reifen Felder und dann die Ernte selbst. Irgendwie ja der Sinn unseres
Lebens: reif werden und geschnitten werden, eingebracht in die Scheunen.
Die Welt ist voll der Schönheit und Güte, und es ist doch die Güte und
Schönheit Gottes, die ihr alles gibt, . .
Das bukolische Dasein hat mich verführt. Ich habe eine ganze Stunde gemäht
gerade und hab nun die Hände voll Blasen und die städtisch-unnützen Arme
voll Zittern. Aber schon war's. Diese weitausholende Bewegung, das ist ein
ganz eigener und bedeutsamer Rhythmus, der irgendwie an den Sinn des
Lebens rührt. Bleibt wach und froh und zuversichtlich und betet ab und zu
ein bissel für mich. Ich tue es auch für Euch. Bei der mütterlichen Herrin
hier ist gut beten. Und in der unmittelbaren Begegnung mit den stillen und
gültigen und treibenden Kräften der Natur auch. Dieser treibende und
drängende Glanz ist doch nur Ahnung und Kopie des Herrgotts. Es schließt
sich alles in eins. Es wird der große und erfüllende Augenblick unseres
Daseins sein, wenn einmal das eine Wort Gottes alles meint und alles
stehen läßt und umfaßt und zugleich zur Mitte zurückbringt. So möchte ich
wenigstens sterben, wenn es mir vorher nicht gegeben sein sollte.
Tagebuchfragmente
31. Dezember 1944
Das Ergebnis dieser Zeit muß eine große, innere Leidenschaft für Gott und
seine Rühmung sein. In neuer, persönlicher Weise muß ich ihm begegnen. Die
Wände, die zwischen Ihm und mir noch stehen, muß ich einschlagen. Die
stillen Vorbehalte restlos aufräumen. Das Gebet des von der Flüe muß
gelebt werden. Das göttliche Leben in mir als Glaube, Hoffnung, Liebe muß
wachsen, intensiver werden. Das alles muß sich mit meinem Leben,
Temperament, Fähigkeiten, Fehlern, Verengungen ebenso wie mit den Dingen
draußen zu einer neuen Sendung verdichten, zu einem neuen Ordnungsbild, an
dessen Verwirklichung ich den Dienst leisten will. In einer stillen Stunde
heute nacht will ich das fahr überdenken und meine persönlichen Ereignisse
einsammeln in ein Gebet der Reue, des Dankes, der Hingabe, in ein Wort des
Vertrauens und der Liebe.
Ich muß mich immer wieder fragen, ob ich kein Phantast bin und mich selbst
täusche. Der Ernst der Lage ist unerbittlich, so unwirklich und traumhaft
er mir auch oft vorkommt. Aber die Worte des Herrn sind gesprochen und Er
hat uns selbst aufgefordert zu diesem Glauben, dem der Berg weicht, zu
diesem Vertrauen, dem Er sich nicht versagt. Das sind von Ihm gesetzte
Tatsachen, die man ernst nehmen, kann und muß. Er war außer der
Tempelreinigung ein einziges Mal bös: als die ]ünger den fallsüchtigen
Knaben nicht heilen konnten, weil sie es sich nicht zutrauten. Und den
einen Punkt, um den es geht, werden wir doch, wegglauben und wegbeten
können. Bisher war so viel Führung und Gnade spürbar trotz aller Härte und
aller Scherben,
Neujahrsnacht
. . . Innerlich, war viel Eitelkeit und Selbstsicherheit und Anmaßung und
Unwahrhaftigkeit und Lüge in diesem Jahr. Mir ist das eingefallen, als sie
mich beim Schlagen einen Lügner nannten, weil sie wieder einmal entdeckt
hatten, daß ich ihnen keinen Namen sagte, die sie nicht schon wußten. Ich
habe Gott gefragt, warum er mich so schlagen läßt. Für die Unklarheit und
Unwahrhaftigkeit meines Wesens, das ging mir auf. Und so ist vieles
verbrannt auf diesem Berg der Blitze und vieles hat sich geläutert. Ein
Segen und eine Bestätigung der inneren Existenz, daß der Herrgott mir die
Gelübde so wunderbar ermöglichte. Er wird mir auch die äußere Existenz
noch einmal bestätigen, sobald sie sich zur neuen Sendung befreit hat. Aus
der äußeren Aufgabe und dem. Wachstum des inneren Lichtes muß sich eine
neue Leidenschaft entzünden. Die Leidenschaft des Zeugnisses für den
lebendigen Gott; denn den habe ich kennen gelernt und gespürt. Dios solo
basta, das stimmt. Die Leidenschaft der Sendung zum Menschen, der
lebensfähig und lebenswillig gemacht werden soll. Diese Probleme sollen
angepackt werden: in nomine Domini.
1. Januar 1945
Jesus. Diesen Namen des Herrn und meines Ordens will ich groß an den
Anfang des neuen Jahres schreiben. Er besagt, was ich erbete, glaube und
hoffe; die innere und äußere Erlösung. Die Lösung der egoistischen Krämpfe
und Engen in dem freien Dialog mit Gott, die freie Partnerschaft, die
vorbehaltlose Hingabe. Und die baldige Erlösung aus diesem elenden Eisen.
Die Situation ist lügenhaft. Das, was ich weder getan noch gewußt habe,
halt mich hier fest. Dieser Name besagt weiterhin, was ich in der Welt und
bei den Menschen noch will. Erlösend, helfend beistehen. Den Menschen gut
sein und Gutes tun. Ich bin manchen vieles schuldig geblieben.Und
schließlich ist damit mein Orden gemeint, der mich nun endlich an sich und
in sich aufgenommen hat. Er soll in mir Gestalt werden. Ich will mich Jesu
zugesellen als ein Treugesellen und Liebender. Letztlich aber soll der
Name eine Leidenschaft bezeichnen : des Glaubens, der Hingabe, des
Strebens, des Dienstes.
2. Januar 1945
Nächste Woche scheint also endgültig die Entscheidung zu fallen. Ich bin
guter Zuversicht. Der Herr hat mir ein inneres Weihnachtslicht angezündet,
das mich in der Hoffnung stärkt. Ich träume sogar schon von der Heimreise,
ich leichtsinniger Knabe.
... Ich vertraue und bete. Ich habe viel gelernt in diesem harten Jahr.
Gott ist viel wirklicher und näher geworden.
6. Januar 1945
Eine liebe Aufmerksamkeit des Herrgotts hat es gefügt, daß ich auf die
Nacht so lose gefesselt wurde, daß ich aus der Fessel herausschlüpfen
konnte. Wie in der Heiligen Nacht konnte ich so heute die Messe mit ganz
freien Händen lesen. Heute war der Anwalt noch einmal da. Es müssen halt
drei »Wenns" passieren, damit alles gut geht. Ich vertraue fest. Auch die
Freunde werden mich nicht im Stich lassen. Es ist ein Moment, in dem die
ganze Existenz in einen Punkt eingefangen ist, und die ganze Wirklichkeit
mit. Ich muß restlos Farbe bekennen.
Die Realität Gottes, die Dinge und Zusammenhänge, die Verantwortung und
Verantwortlichkeit für Worte und Handlungen die Gnadenhaftigkeit und die
Kämpferischkeit des Daseins alles will auf einmal realisiert werden. Ich
habe Gott im die beiden Freiheiten gebeten. Und werde es jetzt tun.
7. Januar 1945
....Jetzt kommt der Mann mit dem Eisen gleich. Und morgen geht es ins Haus
des Schweigens. In Nomine Domini. Abschiedsbriefe habe ich keine
geschrieben, da sich innerlich alles sperrt dagegen.
Meditationen
Das allgemeine Schicksal, meine persönliche Lage, die Entscheidung der
nächsten Tage, die Botschaft des Festes: alles sammelt sich in das Eine:
Mensch, laß dich los zu deinem Gott hin und du wirst dich selbst wieder
haben. Jetzt haben dich andere, sie quälen dich und erschrecken dich und
jagen dich von einer Not in die andere. Das ist dann die Freiheit, die
singt: - uns kann kein Tod nicht töten. Das ist dann das Leben, das da
ausfährt in die grenzenlose Weite. Adoro und Suskipe: ihr Urworte des
Lebens, ihr geraden und steilen Wege zu Gott, ihr Tore in die Fülle, ihr
Wege des Menschen zu sich. — Ich bleibe bei meiner alten These; der
gegenwärtige Mensch ist weithin nicht nur gott - los, rein tatsächlich
oder auch entscheidungsmäßig, es geht die Gottlosigkeit viel tiefer. Der
gegenwärtige Mensch ist in eine Verfassung des Lebens geraten, in der er
Gottes unfähig ist. Alle Bemühungen um den gegenwärtigen und kommenden
Menschen müssen dahin gehen, wieder gottesfähig und somit religionsfähig
zu machen.
Aus Briefen nach München
Anfang September 1944
... In einer Nacht, es war um den 15.August, bin ich beinah verzweifelt.
Ich würde, wüst verprügelt, in das Gefängnis zurückgebracht, abends spät.
Die begleitenden SS - Männer lieferten mich ab mit den Worten: „So,
schlafen können Sie heute nacht nicht. Sie werden beten, und es wird kein
Herrgott kommen und kein Engel, Sie herauszuholen. Wir aber werden gut
schlafen und morgen früh Sie mit frischen Kräften weiter verhauen." — Ich
war wie erlöst, als Alarm kam und erwartete die tötende oder die Flucht
ermöglichende Bombe. Beide blieben aus. Und ich sah von dieser Nacht aus
den ganzen verhängnisvollen Lauf. Gott hat mich gestellt. Nun heißt es,
dem gewachsen sein, so oder so. Ich glaube immer noch fest und
zuversichtlich an die Hand, die uns nehmen und geleiten wird. . . .
Ich werde allmählich ekelhaft und erzähle immer nur von mir. So egoistisch
wird man als „Patient". Ach, wie gerne wär' ich bei den Menschen in Not
und gelte nun selbst nicht mehr als Mensch, nur noch als Nummer; im. Haus
hier die Nummer 1142, die Zelle B/313, Wann ich wohl wieder als Pater Delp
angesprochen werde? Glaubt Ihr an Wunder? Seid gesegnet und behütet.
. . Einstweilen bitt' ich sehr, mitzubeten und mitzuhoffen. „An Gottes
Türen hämmern" hat L. doch immer gesagt. Gott kann es noch machen. Er
allein. Und Er hat sich eigentlich in die Gewalt der glaubenden und
vertrauenden Menschen gegeben. Einen schönen Raum der inneren Freiheit hat
mich Gott gewinnen lassen. Gottes Wirklichkeit geht mir allmählich in
großer Nähe und Dichtigkeit auf.
Anfang Oktober 1944
Ob dies ein Abschiedsbrief ist oder nicht, ich weiß es nicht.
Das wissen wir heute ja nie. Ich schreibe diese Zeilen, von denen ich
nicht weiß, ob und wann sie Euch erreichen, nicht als " letzter Gruß".
Irgendwie glaube ich fest an das Leben und an eine neue Sendung, wobei ich
genau so ehrlich bin, zu sagen, mit Menschenaugen wenig Möglichkeit dafür
sehe. Wie es mir geht? Da ist nicht viel zu sagen. Habt keine Angst. Ich
bemühe mich, kein Kleinholz zu machen, auch wenn es an den Galgen gehen
sollte. Gottes Kraft geht ja alle Wege mit. Aber mir ist manchmal schon
etwas schwer. Georg (Deckname P. Delp ) war in manchen Stunden nur mehr
ein blutiges Wimmmern. Aber Georg hat immer wieder versucht, dieses
Wimmmern einzuordnen in die beiden einzigen Wirklichkeiten um deretwillen
es sich lohnt, da zu sein: Anbetung und Liebe. Alles andere ist falsch.
Glaubt mir, diese Wochen sind wie ein bitteres und unerbittliches Gericht
über das vergangene Leben. Es ist ja nicht vergangen. Es steht da als
große Frage und will letzte Antwort, seine Prägung. Wenn ich noch einmal
darf. Ja, wenn ich noch einmal darf! Gott hat mich einmal so auswegslos
gestellt. Alles was ich unternommen habe, ist mißlungen. Eine Tür nach der
anderen ist zugefallen. Auch solche, die ich für endgültig offen hielt.
Von außen kam keine Hilfe.So bin ich jetzt gestellt: in eine enge Zelle
gesperrt und gebunden. Es gibt nur zwei Auswege: den über den Galgen in
das Licht Gottes und den über das Wunder in eine neue Sendung. An welchen
ich glaube? — .... Der „Kindergarten des Todes": Jeden Tag werden wir eine
Stunde im Freien herumgeführt, stur im Kreis, gut bewacht, mit Gewehren
etc. Da gehen wir dann im Kreise, alle gefesselt: Beamte, Offiziere,
Arbeiter, Diplomaten und Wirtschaftler. An manchen Ecken kann man gegen
die Wand sprechen, dann hört es der Hintermann. So werden die Gespräche im
"Kindergarten des Todes" geführt.
Gott schütze Euch alle. .
Ende Oktober 1944
Ich schreibe wieder ein paar Grüße. Ob sie Euch erreichen, weiß ich nicht,
wie ich überhaupt von niemanden etwas weiß außer von den Leuten hier im
Eisen, die jeden Tag weniger werden...
Ich bin so dankbar um die Hostie, die ich seit dem 1. X. in der Zelle
habe. Sie bricht die Einsamkeit, obwohl ich - zur Schande sei's gesagt -
manchmal so müde und zerstört bin, daß ich diese Realität gar nicht mehr
aufnehme.
22. November 1944.
. . . Diese Woche war in vieler Hinsicht sehr bewegt. Drei von uns sind
sind den Weg gegangen, der als bittere Möglichkeit vor uns allen steht und
von dem uns nur Gottes Wunder trennen und bewahren können. Innerlich habe
ich viel mit dem dem Herrgott zu tun und zu fragen und dranzugeben. Das
eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll.
Aus allen Poren der Dinge quillt uns dies gleiche entgegen. Wir aber sind
oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen. Wir
erleben sie nicht durch bis zu dem Punkt, an dem sie aus Gott
hervorströmen. Das gilt für das Schöne und auch für das Elend. In allem
will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, liebende.
30. November
. . . Heute ist wieder ein ganz schwarzer Tag. Gott meint es schon ganz
intensiv mit mir, daß er mich so ausschließlich auf mich verweist. Ich bin
wieder ganz isoliert seit einiger Zeit. Ich soll lernen, was glauben und
vertrauen heißt. . . Es gibt auch gute Stunden der Fülle und Tröstung.
Aber im großen und ganzen sind wir doch auf ein Seil gestellt und sollen
über einen Abgrund laufen und dazu schießen sie noch auf uns und dauernd
fallen welche herunter. Manchmal sag' ich dem Herrgott, daß ich ein
Trösterl brauche. Er hat dann die sonderbarsten Antworten. Neulich haben
mir die beiden Mariannen an einen solchen Tag 20 Zigaretten und 5 Zigarren
auf einmal heranschaffen können. Und dann das liebe graue Gebetbuch ...
und ein paar Sachen, die so nach München schmeckten. Manchmal bitte ich
auch um ein Wort der Führung und der Tröstung und schlage aufs Geratewohl
die Schrift auf. Gerade habe ich aufgeschlagen: Jene, die glauben, werden
folgende Wunder wirken usw. ... Ich habe das „Spiel" noch einmal gemacht
und diesmal Mt. 20 aufgeschlagen, wieder ein Wort der Zuversicht. Ach, wie
begrenzt ist das Menschenherz in seinen eigensten Fähigkeiten, im Hoffen
und Glauben.
Es braucht Hilfe, um zu sich selbst zu kommen und nicht zu zerflattern wie
ein paar scheue, halbflügge Vögel, die aus dem Nest gefallen. „Der Glaube
als Tugend ist das Jasagen Gottes zu sich selbst in der Freiheit der
Menschen" hab' ich einmal gepredigt. Darum geht es jetzt, genau darum.
Bitte und hoffe und glaube mit, daß der Herr uns bald ans andere Ufer
bringt und wieder auf festen Boden stellt. Wir wollen ihn nicht mehr für
so fest ansehen, als wir es manchmal taten. Ich wollte so gern etwas
Zusammenhängendes schreiben. Aber die Lektüre und alles ist so zufällig.
Ist das schon ein Segen. Und dann ist mit diesen gebundenen Händen
schreibmäßig nichts zu machen. Die paar Momente, in denen wir los sind,
geben nicht aus. . . .
Anfang Dezember 1944
. . . Heute ist ein böser Tag. Manchmal drängt sich das ganze Schicksal in
eine Last zusammen und legt sich einem aufs Herz und man weiß wirklich
nicht, wie lange man dies alles diesem Herzen noch zumuten soll. . . . Ich
glaube an Gott und an das Leben. Und um was wir gläubig bitten, das wird
uns. Gott hat mich gründlich gestellt, ob ich meine alten Worte einlöse:
mit ihm allein laßt sich leben und das Schicksal durchstehen. . . .
Verzeiht, daß ich neulich so gebettelt hab' um ein Wort des Glaubens. Ich
will wirklich wissen, ob Ihr noch an mich und an mein Wiederkommen glaubt.
Manchmal möchte ich ich das wirklich und so aus der Einsamkeit heraus. Ich
glaube noch an mich, aber sonst gibt mich doch alles auf. Man hat mich
sehr ernst ermahnt, den Tod doch ernster zu nehmen, die Sachlage nicht zu
verkennen. Gute Freunde haben mir das geschrieben ...... Daß ich auf dem
Seil bin, weiß ich. Daß ich ohne Gottes besondere Hilfe nicht rüberkomme,
weiß ich auch. Aber ich glaube daran, daß er mir helfen wird und sag' das
jeden Tag. Wann nun die Entscheidung ist, ist wieder ganz offen. Gestern
sah es so aus, als ob sich die Sache noch bis Weihnachten verzögere. Heute
heißt es wieder, bereits nächste Woche. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, was
es ist, aus seiner Hand zu leben. Das hätten wir immer sollen. Aber ich
habe manchmal sehr auf eigene Faust und Sicherheit gelebt. Und bin dadurch
so vielen Leuten so vieles schuldig geblieben. . . .
18. Dezember 1944
. . . Also, es ist jetzt sicher, daß nächste Woche am Dienstag und
Mittwoch die Entscheidung fallt. Das Wunder muß darin bestehen, das
fertige Todesurteil, das die Herren in der Tasche mitbringen, umzustoßen.
Wenn nicht, sind wir am Mittwoch vor den Augen und, wenn Gott gnädig ist,
im Lichte Gottes. Ich habe auch jetzt nicht das Gefühl, einen
Abschiedsbrief zu schreiben. Immer, wenn die Entscheidung hart auf hart
kommt, erscheint diese ruhige Sicherheit. Ich hab' die ganze Zeit nie das
Gefühl gehabt, verloren zu sein, so oft man es auch mir gesagt hat.
Irgendwo war die ganze schemenhafte Angelegenheit eine unwirkliche Sache,
die mich nichts anging. Es kamen auch wieder die Stunden, in denen Petrus
den Wind ernst nahm und die Wellen und anfing zu zagen. Daß Gott sich so
anstrengen mußte, um mir den Blick auf den Gipfel freizumachen, hatte ich
mir nicht gedacht. Jetzt ist alles in Gottes Hand. Ich werde mich wehren,
so gut es geht. Hoffentlich geht es physisch einigermaßen. Schade, daß wir
vorher hier wegkommen. Drüben beginnt das Hungern wieder. Und das ist
etwas ganz Schuftiges, hungrig und müde in dieser Wucht und Wut der
Angriffe zu stehen. Daß ein Stück Brot eine große Gnade ist, habe ich
früher manchmal gesagt. Heute weiß ich es aus bitterer Erfahrung. Wie es
nun weitergeht, weiß ich nicht. Ich habe bis jetzt nur das Gefühl
durchzukommen. Obwohl ich dafür noch keine reale Grundlage sehe. Ach, ich
wollte, ich könnte auf eine Stunde zu Euch kommen. Nicht wegen mir. Ich
glaube, ich werde frohe Weihnachten feiern. Aber um bei Euch zu sein und
Euch ein wenig Weihnachten in die Seelen geben zu können, dürfen. Ich
werde Euch einen großen Segen schicken und das Kind, das große Geheimnis
der Welt bitten, bei Euch zu sein. Jetzt heißt es halt weiter warten und
aushalten. Ich habe Gott sehr um um ein Weihnachtslicht gebeten.
Vielleicht hat er wieder eine seiner guten Überraschungen. Ach, er hat so
viele Möglichkeiten um aufzurichten und ein Stück weiter zu führen. Wie
oft habe ich das schon erfahren in diesen langen und bangen Wochen. Ich
bin guter Zuversicht. Es ist so tröstlich, das Gebet und die Treue der
Freunde hinter sich zu wissen. Das sind andere Realitäten, und mit ihnen
werden wir es schaffen. Gott gegen die Macht; Gott, gerufen von der Treue
und der Liebe und der Zuversicht. Ich möchte Euch einige Lichter anzünden,
Ihr Freunde. Ihr seid so weit mitgegangen in meine Nacht und habt Eure
eigene noch zu bestehen. Wir tragen alles gemeinsam, gelt? Zusammen packen
wir es wieder ein Stück, und mitten in der Nacht wird das Licht
erscheinen. Es wird schon. Helfen wir einander.....
Nach Weihnachten
... Weihnachten war schön und ruhig. Ich hab' Eure Hilfe und Nähe sehr
gespürt.
Einmal wird auch der Advent, der im Sommer begonnen hat, ein Licht finden
und seine Erfüllung und Weihnacht. Ich hatte mich eigentlich gefürchtet
vor diesen Tagen. Aber sie waren ruhig und gesegnet. Die Messe in der
Nacht war meine schönste bisherige Weihnachtmesse. Von der Sache und den
Sorgen bin ich ziemlich losgekommen. Und ein paarmal hab' ich mir sogar zu
träumen erlaubt, was wäre, wenn ich bald nach München käme. Hab meine
Mutter besucht und Dich und andere Freunde. Alles Gute zum neuen Jahr.
Gottes Schutz und Segen; Gelingen und Mut und Kraft und Freude im Herrn —
trotz allem. Und auf Wiedersehen.
11. Januar 1945
Nun muß ich doch einen Abschiedsbrief schreiben. Der Herrgott will
anscheinend das ganze Opfer und den anderen Weg. Das Todesurteil ist
beantragt, und die Atmosphäre ist so voll Haß und Feindseligkeit, daß ich
keinen Ausweg mehr sehe. Haß und Feindseligkeit haben die ganze
Verhandlung geführt. In ihren eigentlichen Belastungspunkten kam die
Anklage zu Fall. Aber vom ersten Wort an habe ich gewußt, daß das Ergebnis
fertig ist. Nun bin ich innerlich in einer ganz eigenen Lage. Obwohl ich
weiß, daß ich nach dem normalen Verlauf der Dinge heute abend sterben
werde, ist es mir gar nicht so zu Mute. Vielleicht ist Gott gnädig und
spart mir die Todesangst auf bis zu den letzten Stunden. Oder soll ich
immer noch an das Wunder glauben?
14. Januar 1945
. . . Wie lange ich nun hier warte, ob und wann ich getötet werde, weiß
ich nicht. Der Weg von hier bis zum Galgen nach Plötzensee ist nur 10
Minuten Fahrt. Man erfährt es erst kurz vorher, daß man heute, und zwar
gleich „dran" ist. Nicht traurig sein. Gott hilft mir so wunderbar und
spürbar bis jetzt. Ich bin noch gar nicht erschrocken. Das kommt wohl
noch. Vielleicht will Gott diesen Wartezustand als äußerste Erprobung des
Vertrauens. Mir soll es recht sein. Ich will mir Mühe geben, als
fruchtbarer Same in die Scholle zu fallen, für Euch alle und für dies Land
und Volk, dem ich dienen und helfen wollte.
Nach der Verurteilung
Das ist ein eigenartiges Leben jetzt. Man gewöhnt sich so schnell wieder
an das Dasein und muß sich das Todesurteil ab und zu gewaltsam in das
Bewußtsein zurückrufen. Das ist ja das Besondere bei diesem Tod, daß der
Lebenswille ungebrochen und jeder Nerv lebendig ist, bis die feindliche
Gewalt alles überwältigt. Sodaß die gewöhnlichen Vorzeichen und Mahnboten
des Todes hier ausbleiben. Eines Tages wird eben die Tür aufgehen und der
gute Wachtmeister wird sagen: einpacken, in einer halben Stunde kommt das
Auto. Wie wir es so oft gehört und erlebt haben. Bis jetzt hat mir der
Herrgott sehr herrlich und herzlich geholfen. Ich bin noch nicht
erschrocken und noch nicht zusammengebrochen. Die Stunde der Kreatur wird
schon auch noch schlagen. Manchmal kommt eine Wehmut über mich, wenn ich
an das denke, was ich noch tun wollte. Denn jetzt bin ich erst Mensch
geworden, innerlich frei und viel echter und wahrhafter, wirklicher als
früher. Jetzt erst hat das Auge den plastischen Blick für alle Dimensionen
und die Gesundheit für alle Perspektiven. Die Verkürzungen und
Verkümmerungen beheben sich. - Ja, und dann die Menschen, die eben zurück
bleiben. Ganz ehrlich gesagt, ich glaube noch nicht an den Galgen. Ich
weiß nicht, was das ist. Vielleicht eine große Gnade und Hilfe des
väterlichen Gottes, der mich so die Wüste bestehen läßt, ohne in ihr
verdursten zu müssen. Während der ganzen Verhandlung, auch als ich
bemerkte, das „Wunder" bleibt aus, war ich weit oben drüber und
unberührbar durch all die Vorgänge und Aussichten. Ist das das Wunder oder
was ist das? Ich bin Gott gegenüber wirklich in Verlegenheit und muß mir
darüber klar werden. Die ganzen bitteren Monate der Reife und des Unglücks
stehen unter einem ganz eigenartigen Gesetz. Von der ersten Minute an war
ich innerlich sicher, es würde alles gut gehen. Gott hat mich in dieser
Sicherheit immer wieder bestärkt. Ich habe in diesen letzten Tagen
gezweifelt und überlegt, ob ich Selbsttäuschungen zum Opfer gefallen bin,
ob sich mein Lebenswille in religiöse Einbildungen sublimiert hat oder was
das war. Aber diese vielen spürbaren Erhebungen mitten im Unglück ; diese
Sicherheit und Unberührtheit in allen Schlägen; dieser gewisse „Trotz",
der mich immer wissen ließ, es wird ihnen die Vernichtung nicht gelingen;
diese Tröstungen bei Gebet und beim Opfer; diese Gnadenstunden vor dem
Tabernakel; diese erbetenen und immer wieder gegebenen und gewährten
Zeichen: ich weiß nicht, ob ich das alles jetzt weg tun darf. Soll ich
weiter hoffen? Will der Herrgott das Opfer, das ich ihm nicht versagen
will, oder will er die Bewährung des Glaubens und Vertrauens bis zum
äußersten Punkt der Möglichkeit? Und dies ist das zweite Gesetz, unter dem
diese Wochen stehen: es ging alles schief, was ich unternahm, um mir zu
helfen. Ja, nicht nur schief, es war eigentlich immer zum Unheil. Der
ganze äußere Verlauf war Scheitern und Schiffbruch Ohnmacht über Ohnmacht.
Und dazwischen wieder die ganze eigenartige Art unseres Unglücks: daß wir
in Tegel bleiben; daß wir heute noch leben. Was will der Herrgott mit
alledem? Ist es Erziehung zur ganzen Freiheit und vollen Hingabe? Will er
den ganzen Kelch bis zum letzten Tropfen und gehören dazu diese Stunden
des Wartens und eigenartigen Advents? Oder will er die Glaubensprobe? Die
Atmosphäre hier ist so verdorben für mich, daß auch Gnadengesuch keine
Aussicht hat. Ist es Torheit, noch zu hoffen, oder Einbildung oder
Feigheit oder Gnade? Ich sitze da vor dem Herrn und schaue Ihn nur fragend
an. Auf jeden Fall muß ich mich innerlich gehörig loslassen und mich
hergeben. Es ist Zeit der Aussaat, nicht der Ernte. Gott sät; einmal wird
er auch wieder ernten. Um das eine will mich bemühen; wenigstens als
fruchtbares und gesundes Saatkorn in die Erde zu fallen. Und in des
Herrgotts Hand. Wenn der Herrgott diesen Weg will — und alles Sichtbare
deute darauf hin —, dann muß ich ihn freiwillig und ohne Erbitterung
gehen.
Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir
gestorben sind. Ich bitte auch die Freunde, nicht zu trauern, sondern für
mich zu beten, solange ich der Hilfe bedarf. Und sich nachher darauf zu
verlassen, daß ich geopfert wurde, nicht erschlagen. . . Ehrlich und
gerade: ich würde gern noch weiterleben und gern und jetzt erst recht
weiterschaffen und viele neue Worte und Werte verkünden, die ich jetzt
erst entdeckt habe. Es ist anders gekommen. Gott halte mich in der Kraft,
Ihm und Seiner Fügung und Zulassung gewachsen zu sein. Es bleibt mir
noch, vielen Menschen für ihre Treue und Güte und Liebe zu danken. Dem
Orden und den Mitbrüdern, die mir einen schönen und echten geistigen
Lebensraum schenkten. Und den vielen echten Menschen, denen ich begegnen
durfte. Wer gemeint ist, weiß es schon. Ach, Freunde, daß die Stunde nicht
mehr schlug und der Tag nicht mehr aufging, da wir uns offen und frei
gesellen durften zu dem Wort und Werk, dem wir innerlich entgegenwuchsen.
Bleibt dem stillen Befehl treu, der uns innerlich immer wieder rief.
Behaltet dieses Volk lieb, das in seiner Seele so verlassen und so
verraten und so hilflos geworden ist. Und im Grunde so einsam und ratlos,
trotz all der marschierenden und deklamierenden Sicherheit. Wenn durch
einen Menschen ein wenig mehr Liebe und Güte, ein wenig mehr Licht und
Wahrheit in der Welt war, hat sein Leben einen Sinn gehabt. Auch die will
ich nicht vergessen, denen ich Schuldner bleiben muß. Ich bin vielen
vieles schuldig geblieben. Denen ich wehe getan, sie mögen mir verzeihen.
Ich habe gebüßt. Zu denen ich unwahr und unecht war, sie mögen mir
verzeihen. Ich habe gebüßt. Zu denen ich anmaßend und stolz war, sie mögen
mir verzeihen. Ich habe gebüßt. O ja, in den Kellerstunden, in den Stunden
der gefesselten Hände, des Körpers und des Geistes, da ist vieles
zerbrochen. Da ist vieles ausgebrannt, was nicht würdig und wertig genug
war. So lebt denn wohl. Mein Verbrechen ist, daß ich an Deutschland
glaubte auch über eine mögliche Not- und Nachtstunde hinaus. Daß ich an
jene simple und anmaßende Drei-Einigkeit des Stolzes und der Gewalt nicht
glaube. Und daß ich dies tat als katholischer Christ und als Jesuit. Und
so will ich zum Schluß tun, was ich so oft tat mit meinen gefesselten
Händen und was ich tun werde, solange ich noch atmen darf: segnen. Segnen
Land und Volk, segnen dieses liebe, deutsche Reich in seiner Not und
inneren Qual; segnen die Kirche, daß die Quellen in ihr wieder reiner und
heller fließen; segnen den Orden, daß er echt und geprägt und frei sich
selbst treu bleibt durch die selbstlose Treue an alles Echte und an alle
Sendung; segnen die Menschen, die mir geglaubt und vertraut haben; segnen
die Menschen, denen ich Unrecht tat; segnen alle, die mir gut waren, oft
zu gut. Ich aber will hier ehrlich warten auf des Herrgotts Fügung und
Führung. Ich werde auf Ihn vertrauen, bis ich abgeholt werde. Und ich
werde mich mühen, daß mich auch diese Lösung und Losung nicht klein und
verzagt findet.
Letzter Brief an die Mitbrüder
2. Februar 1945
Liebe Mitbrüder, nun muß ich doch den anderen Weg nehmen. Das Todesurteil
ist beantragt, die Atmosphäre ist so voll Haß und Feindseligkeit, daß
heute mit seiner Verkündigung und Vollstreckung zu rechnen ist. — Ich
danke der Gesellschaft Jesu und den Mitbrüdern für alle Güte und Treue und
Hilfe, auch und gerade in diesen schweren Wochen. Ich bitte um Verzeihung
für vieles, was falsch und unrecht war, und ich bitte um etwas Hilfe und
Sorge für meine alten, kranken Eltern. — Der eigentliche Grund der
Verurteilung ist der, daß ich Jesuit bin und geblieben bin. Eine Beziehung
zum 20. Juli war nicht nachzuweisen. Auch die Stauffenberg-Belastung ist
nicht aufrechterhalten worden. Andere Strafanträge, die wirklich Kenntnis
des 20. Juli betrafen, waren viel milder und sachlicher. Die Atmosphäre
war so voll Haß und Feindseligkeit. Grundthese: ein Jesuit ist a priori
der Feind und Widersacher des Reiches. So ist das Ganze von der einen
Seite eine Komödie gewesen, auf der anderen aber ein Thema geworden. Das
war kein Gericht, sondern eine Funktion des Vernichtungswillens. Behüt Sie
alle der Herrgott! Ich bitte um ihr Gebet. Und ich werde mir Mühe geben,
von drüben aus das nachzuholen, was ich ich hier schuldig geblieben bin.
Gegen Mittag werde ich noch zelebrieren und dann in Gottes Namen den Weg
Seiner Fügung und Führung gehen. Ihnen Gottes Segen und Schutz!
Ihr dankbarer
Alfred Delp, S. J.
Alfred Delp S. J.
Lampertheim1907 bis 1945 Berlin Plötzensee bis 1945
An sein Patenkind
Zum Kreisauer Kreis, in dem Graf Helmuth James Moltke auf seinem
schlesischen Besitz Gleichgesinnte vereinte, um gemeinsam Mittel und Wege
zu finden, die Deutschland doch noch vor dem Zusammenbruch zu bewahren
vermöchten, gehörte der junge Jesuitenpater, der nach dem mißglückten
Attentat des Grafen Stauffenberg vom 20. Juli 1944 verhaftet und ins
Gefängnis Tegel gebracht wurde. Am g. Januar 1945 wurde er u. a. mit
Moltke zum Tode am Galgen verurteilt.
Sein Zellennachbar Engen Gerstenmaier, der spätere Präsident des
Bundestags, hat das überdimensionale Duell geschildert, in dem Pater Delp
gegen Freister, den blutdurstigen Präsidenten des Deutschen
Volksgerichtshofes, unerschrocken das Christentum verteidigte, der
Gefängnisseelsorger Buchholz Delps Fassung und Ruhe gerühmt, daß er lieber
zu ihm als für ihn beten mochte.
23. Januar
Lieber Alfred Sebastian,
als große Freude und Ermunterung erhielt ich heute die Nachricht von
Deiner Geburt. Ich habe Dir gleich mit meinen gebundenen Händen einen
kräftigen Segen geschickt, und da ich nicht weiß, ob ich Dich im Leben je
sehen werde, will ich Dir diesen Brief schreiben, von dem ich aber auch
nicht weiß, ob er je zu Dir kommen wird. Du hast Dir für den Anfang Deines
Lebens eine harte Zeit ausgesucht . Aber das macht nichts. Ein guter Kerl
wird mit allem, fertig. Du hast gute Eltern, die werden Dich schon lehren,
wie man die Dinge anpackt und meistert.
Und Du hast Dir zwei gute Namen geben lassen. Alfred, das war ein König,
der für sein Volk viel betete, viel arbeitete und viele harte Kämpfe
gewann, die Menschen haben ihn nicht immer verstanden und ihn oft arg
bekämpft. Später haben sie erkannt, was er für sein Volk getan hat und
haben ihn den Großen geheißen. Das Volk Gottes aber nannte ihn den
Heiligen. Vor Gott und vor den Menschen hat n sich bewährt. Sebastian, das
war ein tapferer Offizier des Kaisers und des Herrgotts, da aber der
Kaiser von Gott nichts wissen wollte, machte er aus seiner Torheit spitze
Pfeile des Hasses und des Mißtrauens und ließ damit seinen Offizier
zusammenschießen. Sebastian, kam noch einmal zu sich, mit zerschundenem
Körper und ungebrochenem Geist. Er hielt dem Kaiser seine Torheit vor, der
ihn für seinen Freimut erschlagen ließ. Das aber kannst Du ja überall
lesen, und Deine Eltern werden es Dir längst erzählt haben, liebes kleines
Patenkind. Ich will Dich nur daran erinnern, daß in Deinen Namen eine hohe
Pflicht liegt, man trägt seinen Namen würdig und ehrenhaft, mutig und zäh
und standhaft mußt Du werden, wenn Deine Namen Wahrheit werden sollen in
deinem Leben.
Ja, mein Lieber, ich möchte Deinem Namen auch noch eine Last, ein Erbe
zufügen. Du trägst ja auch meinen Namen. Und ich möchte, daß Du das
verstehst, was ich gewollt habe, wenn wir uns nicht richtig kennenlernen
sollten in diesem Leben; das war der Sinn, den ich meinem Leben setzte,
besser, der ihm gesetzt wurde: die Rühmung und Anbetung Gottes vermehren;
helfen, daß die Menschen nach Gottes Ordnung und in Gottes Freiheit leben
und Menschen sein können. Ich wollte helfen und will helfen einen Ausweg
zu finden aus der großen Not, in die wir Menschen geraten sind, und in der
wir das Recht verloren, Menschen zu sein. Nur der Anbetende, der Liebende,
der nach Gottes Ordnung Lebende ist Mensch und ist frei und lebensfähig.
Damit habe ich Dir etwas gesagt, was ich Dir an Einsicht und Aufgabe und
Auftrag wünsche.
Lieber Alfred Sebastian, es ist viel, was ein Mensch in seinem Leben
leisten muß. Fleisch und Blut allein schaffen es nicht. Wenn ich jetzt in
München wäre, würde ich Dich in diesen Tagen taufen, das heißt: ich würde
Dich teilhaft machen der göttlichen Würde, zu der wir berufen sind. Die
Liebe Gottes, einmal in uns, adelt und wandelt uns. Wir sind von da an
mehr als Menschen, die Kraft Gottes steht uns zur Verfügung, Gott selbst
lebt unser Leben mit, das soll so bleiben und immer mehr werden, Kind.
Daran hängt es auch, ob ein Mensch einen endgültigen Wert hat oder nicht.
Und er wird ein wertvoller Mensch werden.
Ich lebe hier auf einem sehr hohen Berg, lieber Alfred Sebastian. Was man
so leben nennt, das ist weit unten, in verschwommener und verworrener
Schwärze. Hier oben treffen, sich die menschliche und göttliehe Einsamkeit
zu ernster Zwiesprache. Man muß helle Augen haben, sonst hält man das
Licht hier nicht aus. Man muß gute Lungen haben, sonst bekommt man keinen
Atem mehr. Man muß schwindelfrei sein., der einsamen, schmalen Höhe fähig,
sonst stürzt man ab und wird ein Opfer der Kleinheit und Tücke. Das sind
meine Wünsche für Dein Leben, Alfred Sebastian: helle Augen, gute Lungen
und die Fälligkeit, die freie Höhe zu gewinnen und auszuhalten. Das
wünsche ich nicht nur Deinem Körper und Deinen äußeren Entwicklungen und
Schicksalen, das wünsche ich viel mehr Deinem innersten Selbst, daß Du
Dein Leben mit Gott lebst als Mensch in der Anbetung, in der Liebe, im
freien Dienst.
Es segne und führe Dich der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der
Heilige Geist.
Dein Patenonkel Alfred Delp
Das habe ich mit gefesselten Händen geschrieben; diese gefesselten Hände
vermach' ich Dir nicht, aber die Freiheit, die die Fesseln trägt und in
ihnen sich selbst treu bleibt, die sei Dir schöner und zarter und
geborgener geschenkt.
Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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