BONHOEFFER KLAUS
1901 - 1945
Chefsyndikus der Lufthansa
Geboren am 5. Januar 1901. Ermordet am 23. April 1945.
31. März 1945
Liebe Eltern!
Ich richte diesen Brief zu Papas Geburtstag an Euch beide. Die
Wünsche, die nie so brennend waren wie in diesem Jahr, gelten Euch
gemeinsam. Es sind die Wünsche der ganzen Familie. Die Hoffnung, daß
wie durch ein Wunder die Familie unversehrt aus dem großen allgemeinen
Unglück hervorgeht, wage ich fast nicht auszusprechen.
Es geht ja längst wie Naturkatastrophe über die Menschen hinweg und
die ist verschwenderisch. Ich glaube aber, daß das Ungewitter über
unserem Hause bald vorübergeht. Die Verfolgungen werfen ein Ende haben
und den Überlebenden wird es sein wie den Träumenden. Daß dieser
Frieden Euch noch lange nach allem Kummer wohltut und Ihr ihn noch
recht genießt, ist ist mein Wunsch und meine Bitte. Die Gewißheit, daß
Euch allen ein neues Leben wieder beginnt, ist so schön.
Auch mein Schicksal kann sich wohl noch plötzlich wenden. Ich bin aber
darauf gefaßt, daß mein Leben bald abläuft. Diese beiden Möglichkeiten
scheinen so denkbar weit auseinanderzuliegen, daß ich als Mensch von
Fleisch und Blut mich doch immer wieder umstelle und unter dem
Eindruck dieser ersten Frühlingstage auch in schwachen Stunden
schwanke. Aber ich will ja nicht nur leben, sondern mich einmal erst
eigentlich auswirken.
Da dies nun wohl durch meinen Tod geschehen soll, habe ich mich auch
mit ihm befreundet. Bei diesem Ritt zwischen Tod und Teufel ist der
Tod ja ein edler Genösse.
Der Teufel paßt sich den Zeiten an und hat wohl auch den
Kavaliersdegen getragen. So hat ihn dann die Aufklärung idealisiert.
Das Mittelalter, das auch von seinem Gestank erzählte, hat ihn besser
gekannt. Es ist jedenfalls eine sehr viel klarere Aufgabe zu sterben
als in verworrenen Zeiten zu leben, weshalb seit je die glücklich
gepriesen wurden, denen der Tod als Aufgabe bestimmt war. Wenn ich an
Walters Grab stand, ist er mir immer mit seiner klaren Lebenslinie und
seinem frühen Tode als ein glücklicher Mensch erschienen. Sollte ich
noch gerettet werden, so werde ich als freier Mensch dem Leben
gegenüberstehen. Wie es nun auch kommen mag, ein gemeines Schicksal
ist mir erspart.
Das versteht E. und wird wohl auch den Weg der Kinder zeichnen. Ihnen
wünsche ich, daß sie einmal so dankbar auf ein schönes und reiches
Leben zurückschauen können wie ich jetzt. Es ist das Leben, das ich
Euch verdanke in seinem Reichtum durch die große Familie und in der
Richtung auf das Wesentliche, das mir über diese Zeit hinweghilft. Ich
wünsche sehr, daß die Kinder, die ja inzwischen wieder größer geworden
sind, Euch recht kennen lernen würden und nahe kämen, aber ich will in
die unübersehbare Zukunft nicht mehr eingreifen, um keine Bindungen
zurückzulassen.
Es ist für mich eine große Beruhigung, daß E. in dieser schweren Lage
so tapfer ihren Mann steht. Nun lebt wohl, lieber Papa und liebe Mama.
Wir wollen aus diesen Ostertagen neue Hoffnungen schöpfen, daß dieses
Jahr den äußeren und den seelischen Frieden bringt.
Euch umarmt Euer dankbarer und glücklicher
Klaus
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Literatur: Du
hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider