BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 DELBRÜCK  JUSTUS

1902 - 1944


 



Regierungsrat a. D., Fabrikant. - Geboren am 25. November 1902 zu Charlottenburg, am 3. August 1944 wegen
Beteiligung an der Verschwörung des 20. Juli verhaftet, von den Russen befreit, wieder verhaftet und in russischer
Gefangenschaft gestorben.


Aufzeichnungen aus dem Gefängnis

 



In den Tiefen, die kein Trost erreicht,
Laß doch Deine Treue mich erreichen,
In den Nächten, wo der Glaube weicht,
Laß nicht Deine Gnade von mir weichen,

Auf dem Weg, den keiner mit mir geht,
Wenn zum Beten die Gedanken schwinden,
Wenn mich kalt die Finsternis umweht,
Wollest Du in meiner Not mich finden.

Wenn die Seele wie ein irres Licht Flackert
zwischen Werden und Vergehen,
Wollest Du an meiner Seite stehen.
Wenn ich Deine Hand nicht fassen kann,
Nimm die meine Du in Deine Hände,

Nimm Dich meiner Seele gnädig an.
Führe mich zu einem guten Ende.
Getrost, das Leben schreitet Zum ewigen Leben hin,
Von innrer Glut geweitet Verklärt sich unser Sinn.


Die Lieb ist frei gegeben
Und keine Trennung mehr.
Es wogt das volle Leben
Wie ein unendlich Meer
Nur eine Nacht der Wonne,
Ein ewiges Gedicht
Und unser aller Sonne
Ist Gottes Angesicht.

 



Ich sah Dich, Ellen, so allein - ich hörte Deine Klage über die Heimat, die Gott Dir genommen und die ich Dir nicht habe geben können — ich hörte Dich weinen in der dunklen Nacht - ich hörte Dich rufen, Justus, warum hast Du mich verlassen?
Du weißt doch, ich kann nicht allein - ach, und ich sah Deine bittere Verzweiflung und ich hörte Dich unser Leben, unser Glück, unsere Liebe verwünschen.
Und mit Entsetzen sah ich meine Schuld - ich sah mich stumm, da ich hätte sprechen sollen, ich sah mich schlafen, da Du weintest, ach, und mein Herz war stumm, da ich hätte mit Dir beten sollen.
Nun straft mich Gott und ich weine und Du hörst mich nicht. -
Und ich bete: Lieber Vater, wenn es Dein Wille ist, mich von ihr zu nehmen, so schicke ihr Menschen, die ihr helfen um Christi willen, daß sie Dein Licht schaue - denn sieh, lieber Vater, ach, Du weißt es, sie sucht Dich, sie sucht Dich, sie kann Dich nicht finden in der Kälte und Dunkelheit der Welt, ach, und laß sie wissen, lieber Vater, daß auch unsere Liebe bei Dir aufgehoben ist, daß unsere Seelen vor Dir vereint sind und daß keine Wonne auf Erden hier gleicht der Wonne, die unser bei Dir wartet.

Wenn es aber Dein Wille ist, lieber Vater, mich wieder zu ihr zurückzuführen, so laß meine Seele erschüttert sein, daß sie nicht vergesse, Dir zu danken für jeden Tag, den Du mir schenkst, laß die Anschauung des Todes wie einen Sturmwind das Feuer der Liebe anfachen, laß mich wissen, daß meine Liebe Deine Liebe ist. -
Ellen, meine Ellen, weißt Du noch, wie Du einmal sagtest, Du wollest meine Liebe spüren wie einen glühenden Schmerz?

Ach, nun brenne ich - nun brenne unsere Liebe als eine ewige Flamme vor dem Angesicht Gottes.




Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 

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