BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

JULIUS FUCIK

1903 - 1943

 



Redakteur. - Julius Fucik, als Sohn einer Arbeiterfamilie am 23. Februar 1903 in Prag geboren, gehörte zu den Führern der kommunistischen Widerstandsbewegung in der Tschechoslowakei.
Am 24. April 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet und am 8. Septembter 1943 in Berlin hingerichtet.
Einem Unbekannten gelang es, die Aufzeichnungen Fuciks aus seiner Gefängniszeit zu retten.
Der letzte vor seinem Tod niedergeschriebene Satz lautet: »Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wach!« Über eine Konfrontation mit seiner Frau unter den Augen der Polizei berichtet er: Es war während des Standrechtes. Mitte Juni des vorigen Jahres.
Sie sah mich zum erstenmal seit unsere Verhaftung, nach sechs leidvollen Wochen, die sie alleine in der Zelle verbracht hatte, grübelnd über die Nachrichten, die ihr mein Tod verkünden. Man rief sie, um mich weich zu machen. »Reden sie ihm zu« sagt ihr der Chef der Abteilung bei der Konfrontation mit mir, »reden Sie ihm zu, daß er vernünftig sein soll. Wenn er schon nicht an sich selbst denkt, daß er wenigstens an Sie denkt. Sie haben eine Stunde Bedenkzeit. Wenn er auch dann hart bleibt, werden Sie heute abend erschossen. Beide.
« Sie streichelte mich mit ihrem Blick und antwortete einfach: »Herr Kommissar, das ist keine Drohung für mich, das ist meine letzte Bitte: Wenn Sie ihn umbringen, bringen Sie mich auch um.« Unter dem unmittelbaren Eindruck des Urteilspruches schreibt er an seine Eltern und Schwestern:


Meine Lieben!

Wie Ihr wohl schon wißt, änderte ich meinen Wohnort. Am 23. August in Bautzen erwartete ich gerade Euren Brief und erhielt stattdessen eine Einladung nach Berlin. Am 24.8. früh war die Gerichtsverhandlung und zu Mittag war schon alles fertig. Es fiel nach Erwarten aus.
Jetzt sitze ich noch mit einem Kameraden in der Zelle in Plötzensee, wir kleben Tüten, singen uns eins und warten, wann die Reihe an uns kommt.
Es bleiben uns noch einige Wochen, manchmal sind es auch Monate. Die Hoffnungen fallen leise und weich ab, wie welke Blätter. Lyrische Seelen, die das anschauen, verfallen manchmal der Sehnsucht. Der Winter bereitet sich den Menschen vor wie einen Baum.
Glaubt mir: Nichts, gar nichts hat mir das von meiner Freude genommen, die in mir ist und sich täglich mit irgendeinem Motiv von Beethoven meldet. Der Mensch wird nicht kleiner, auch wenn er um einen Kopf kürzer ist.
Und ich wünsche mir brennend, daß Ihr, wenn alles vorbei ist, Euch meiner nicht in Trauer erinnert, sondern mit der gleichen Freude, mit der ich immer lebte.

J. F.

An die Überlebenden

Jeder, der treu für die Zukunft gelebt hat und für sie gefallen ist, ist eine in Stein gehauene Gestalt...
Um eines bitte ich: Ihr, die Ihr diese Zeit überlebt, vergeßt nicht.
Vergeßt die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die Zeugnisse über die Gefallenen.
Eines Tages wird das Heute Vergangenheit sein, wird man von der großen Zeit und von den namenlosen Helden sprechen, die Geschichte gemacht haben.
Ich möchte, daß man weiß: daß es keinen namenlosen Helden gegeben hat, daß es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und daß deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des ersten, dessen Name erhalten bleibt.
Ich möchte, daß sie Euch alle immer nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie Ihr selbst.
Ja, ich möchte, daß man jene nicht vergesse, die treu und standhaft gekämpft haben, draußen und hier, und die gefallen sind. Aber ich möchte auch, daß die Lebenden nicht vergessen werden, die uns nicht weniger treu und nicht weniger standhaft unter den schwersten Bedingungen geholfen haben.
Nicht zu ihrem Ruhm. Aber als Beispiel für andere.
Denn die Menschenpflicht endet nicht mit diesem Kampf, und ein Mensch zu sein wird auch weiterhin ein heldenhaftes Herz erfordern, solange die Menschen nicht ganz Menschen sind.







Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 

 


 

Startseite
Verzeichnis