CARL
FRIEDRICH GOERDELER
1884 - 1945
Oberbürgermeister
Als Carl Friedrich Goerdeler, geboren am 31. Juli 1884 in Schneidemühl,
Kreis Colmar/Posen, es nicht erreichen konnte, daß der in seiner
Abwesenheit begangene Bubenstreich, dio Entfernung des Denkmals von Felix
Mendelsohn-Bartholdy vor dem Leipziger Gewandhaus, rückgängig gemacht
wurde, legte er sein Amt als Oberbürgermeister nieder. Das war im Jahre
1937. Dieser Protest kennzeichnete den Mann und war zugleich der Auftakt
zu seiner Tätigkeit als führende Persönlichkeit des deutschen
Widerstandes. Sein Sinn für Recht und Anstand, verwurzelt in christlicher
Gläubigkeit und beruflich-bürgerlicher Tradition, machte ihn hellsichtig
für das Verhängnis, das mit der nationalsozialistischen Herrschaft über
Deutschland gekommen war. Die Tragik dieses großen Kämpfers war, daß er in
die seiner Natur widerstrebende Laufbahn des Verschwörers gedrängt wurde.
Seinem aller Verstellung und Heimlichkeit abgeneigten Naturell lag es, als
rastloser Prediger von Ort zu Ort zu ziehen, die Gewissen aufzurütteln,
den Schwankenden Mut zu geben und die Zögernden mitzureißen. In diesem
missionarischen Tun, als Sendbote des Gewissens, rieb er sich auf, setzte
er tagtäglich sein Leben aufs Spiel. Die Zustimmung zum Attentat konnte er
seinen christlichen Bedenken nur mit Mühe abringen. Das Mißlingen des
Aufstands am 20. Juli 1944 bedeutete auch für ihn das Todesurteil.
Nachdem er von der Hand der nationalsozialistischen Büttel Unsägliches
erduldet hatte, starb er am 2. Februar 1945 in Berlin- Plötzensee.
Gedanken eines zum Tode Verurteilten
Aus der Zelle
Existiert ein Gott, der am persönlichen Schicksal der Menschen Anteil
nimmt?
Es wird mir schwer daran zu glauben, denn dieser Gott ließ nun jahrelang
Ströme von Blut und Leid, Berge von Grauen und Verzweiflung über die
Menschheit durch einige Hunderttausende erzeugen, die vertiert,
geisteskrank und verblendet sind, jedenfalls keine normalen
Menschlichkeitsempfindungen haben.
Er ließ Millionen anständiger Menschen sterben und leiden. Soll dies ein
Gericht sein?
Wie ungerecht wäre es, denn die Mehrzahl der Menschen wollte diese
Entartung nicht. Wollte er die Menschen zu sich selbst zurückführen, weil
sie sich von Ihm abgewandt hatten?
Viele waren Ihm doch treu geblieben.
Wie unvollkommen wäre doch auch dieses Erziehungsmittel, kollektiv wie die
Bestrafung einer ganzen Klasse, weil zwei oder drei gegen die Ordnung
verstießen. Und solche Kollektivbestrafung wagt der Lehrer auch nur dann
zu verhängen, wenn er die Übeltäter nicht ermitteln kann. Gott aber ist
allwissend, kennt die Verbrecher und die Abtrünnigen und straft die
Aufrechten?
Nein, so kann das nicht sein, ein solcher Gott würde es nicht so weit
treiben lassen, daß schließlich auch die Guten und Frommen durch das
Übermaß der Leiden verhärtet werden.
Bei diesen Gedanken bin ich auf die Tatsache gestoßen, daß Gott in keinem
Gebote des Volkes gedenkt. Er bindet den Menschen an Gott selbst, an die
Eltern, an die Nächsten, an die Wahrheit, an das Eigentum, aber mit keinem
Geheiß an sein Volk.
Haben wir also nicht darin geirrt, daß wir Gott für nationale Zwecke in
Anspruch nehmen, auch die, die an ihn fest und tief glauben? Ist das nicht
auch der Fluch des jüdischen Volkest daß es sich als das auserwählte
ansah?
Gewiß, es bleibt die einzigartige Tat des Judenvolkes, daß es seine
Geschichte immer nach Gott ausrichtete, Erfolg zu finden glaubte, wenn es
Ihm gehorsam war und alle Mißerfolge auf den Abfall von Gott zurückführte.
Eine gleich großartige und tiefe Auffassung von Bestimmung, Aufgabe und
Wanderung eines Volkes ist bisher nicht geschriebene Geschichte geworden
außer im Alten Testament. Liegt nicht in der Übertreibung „allein
auserwählt zu sein" die sündhafte Verirrung?
Hat nicht gerade Christus diese Verirrung aufgedeckt, indem er sein Wort
auch an Nichtjuden richtete und die Jünger in alle Welt gehen ließ?
Er lehrte nicht die Liebe zum Volksgenossen, sondern zum Nächsten. Du
sollst Vater und Mutter ehren, aber nicht den Volksführer. Dem sollst Du
geben, was des Kaisers ist, ein materielles Opfer, nicht aber eins der
Seele. Gott wendet sich an die Menschen und an ihre menschlichen
Bindungen.
Der Rasse, dem Volk, der Nation schenkt der durch Christus offenbarte Gott
keine Beachtung. Sollten wir nicht alle mit unserem einseitigen
Nationalismus Gott zu nahe getreten sein und Abgötterei getrieben haben?
Ja, dann hätte das Geschehen einen Sinn, daß Gott es allen Völkern
gründlich austreiben will, Ihn vor ihre nationalen Wünsche zu spannen.
Dann können wir Gott nur bitten, daß Er es nun genug sein läßt und an
Stelle des Todes und der Tränen die Sendboten der Versöhnung walten läßt,
die dieses Wesen Gottes und diesen Zweck seiner Gerichte erkannt haben.
Ich bete zu Ihm darum.