BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

Gottart Hans Pastor

1908 - 1942



 


Geboren am 6. November 1908 in Bregenz.
Der Soldatentod an der Ostfront am 2. März 1942 rettete ihn, den wegen seiner Glaubensfestigkeit Verfemten und Verfolgten, aus den Händen seiner Häscher.

Brief an Thomas Güß 1941

Lieber Freund Thomas, das ist wahr: Wenn einer von uns eine Spur Einbildung besaß, so hat sie sich nun verkehrt in ebensoviel Schande.
Das ist wahr, unsere „Seelsorge" hat bis ins Letzte hinein ein von - oben - herab eingebüßt. Und wir sind selber ganz verstrickt und verquickt mit dem Dasein und den Qualen der Erniedrigten und Beleidigten. Und es macht keinen Unterschied, ob Du in Deinem schönen, steinernen Hause noch wohnst und Dein Amt versiehst, oder ob ich so mitten hineingestellt bin in das Unsinnige, Preisgegebene und Vertane, ganz eingemengt sind wir der Not, ob wir die graue Kleidung tragen und den Stumpfsinn des Tages diktiert bekommen, es sind unser aller Schritte und Worte, unser Atem und unsere Notdurft, alles ist gezählt und auf den einen uns so schrecklichen Zweck hingebogen.
Aber, nicht wahr, lieber Thomas, Verzweiflungen sind uns nicht fremd. Wir haben sicher eine große Routine darin, mit ihnen fertig zu werden. Ich kann es aus diesem Grunde mir sparen, Dir irgendeine noch so kühne theologische oder philosophische Akrobatik vorzuführen, die Du ohnedies besser beherrscht als ich.
Ich kann Dir nur sagen, was mir selber mein Herz sagt in all diesen Tagen der Untätigkeit und des Verharrens im Ansehn des Entsetzlichen: Ich weiß, es ist das Bedürfnis nach Stille, das mich stille macht, es ist der Hunger nach Glück, der mich glücklich macht, es ist die Unausweichlichkeit der Qual, die mich die Schmerzen preisen macht. Ich war es zu allen Zeiten, der die Wunden, die Gott schlug, eher noch mehr aufriß.
Und ich leugne nicht, daß ich am ganzen Leibe und an mehr als einem Leibe offen und blutend bin. Mein Herz ist auch nicht ungebärdiger und weniger eifernd und weniger auf Lust und Liebe und Freude aus, oder auf das, was mehr ist: die Tat. Dies alles ist brennend und offen. Und es demütigt bis zum Tode, daß wir mit allen unseren Plänen und unserer heißen Mühe nichts ausgerichtet haben. Gerade aber in dem Augenblicke, in dem uns Gott so in die finsterste Nacht hinaussät, gerade in dieser letzten und zerstörendsten Demütigung aber, in diesem äußersten Augenblick wächst mir ein Neues zu: Ein keimendes, ein Hoffendes, ein Vertrauendes, wie ich es vorher nicht besaß. Gerade nun, wo unsere Hände so ganz und gar leer sind, kann Gott sie neu füllen.
Ach — nenne es die letzte und feinste Perversität des Geistes — sie ist es, aber sie ist mehr und Du weißt es, sonst hättest Du nicht diesen Beruf gewählt: Mitten in den furchtbaren Verwüstungen, die über mich und über uns hereinbrechen, ist mein Herz voll Jubel, voll Jauchzen und Anbetung: Auch dies, Gott, aus Deiner Hand genommen, ist lauter Heil.
Du hast mich so geschaffen, daß ich unbesieglich bin. Je mehr wir gequält sind, je grausamer uns der Tod umstellt, je deutlicher und unbedingter steht vor mir das Bild und die überirdische Wahrheit des Gekreuzigten. Dann ist in mir nichts als heiße Liebe zu Seiner übergroßen, armen Schönheit. Und diese Liebe ist so groß, daß sie alle Verzweiflung überflutet mit ihrer warmen und fruchtbaren Welle. Und diese Liebe ist so stark, daß sie den Gekreuzigten selbst noch beherbergen und bergen und umschließen kann. Dann ist es ein seliges Geben und Nehmen und Stillung für uns beide.
Ist es unmännlich, so im Schmerz zu verharren? Ist es dem Osten vorbehalten, die „innere Freiheit" über Schmutz und Hunger und schlimmere Verfolgung blühend und aufrecht zu spüren? Ich weiß es nicht. Ich folge nur jetzt, wo ich an Haupt und Gliedern gebunden bin, dem Schlage meines Herzens zwischen Qual und Trost. Ich habe Dir sehr zu danken, lieber Thomas, für Deinen Brief. Er hat das getan, was ein Mensch dem anderen kann: Mich geöffnet, mich angespannt, mich gewisser gemacht. Und dabei sagst Du, Du hättest jetzt nichts, was Du an „Seelsorge" bieten könntest. Wir wollen niederbrechen lassen, was brechen will. Und wenn es ein ganzer Erdteil ist. Es wird dennoch ein „Drittes Reich" übrigbleiben, in dem Gottes Sonne ist.

Dein Hans



Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider


 

 


 

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