Geboren am 6.
November 1908 in Bregenz.
Der Soldatentod an der Ostfront am 2. März 1942 rettete ihn, den wegen
seiner Glaubensfestigkeit Verfemten und Verfolgten, aus den Händen seiner
Häscher.
Brief an Thomas Güß 1941
Lieber Freund Thomas, das ist wahr: Wenn einer von uns eine Spur
Einbildung besaß, so hat sie sich nun verkehrt in ebensoviel Schande.
Das ist wahr, unsere „Seelsorge" hat bis ins Letzte hinein ein von - oben
- herab eingebüßt. Und wir sind selber ganz verstrickt und verquickt mit
dem Dasein und den Qualen der Erniedrigten und Beleidigten. Und es macht
keinen Unterschied, ob Du in Deinem schönen, steinernen Hause noch wohnst
und Dein Amt versiehst, oder ob ich so mitten hineingestellt bin in das
Unsinnige, Preisgegebene und Vertane, ganz eingemengt sind wir der Not, ob
wir die graue Kleidung tragen und den Stumpfsinn des Tages diktiert
bekommen, es sind unser aller Schritte und Worte, unser Atem und unsere
Notdurft, alles ist gezählt und auf den einen uns so schrecklichen Zweck
hingebogen.
Aber, nicht wahr, lieber Thomas, Verzweiflungen sind uns nicht fremd. Wir
haben sicher eine große Routine darin, mit ihnen fertig zu werden. Ich
kann es aus diesem Grunde mir sparen, Dir irgendeine noch so kühne
theologische oder philosophische Akrobatik vorzuführen, die Du ohnedies
besser beherrscht als ich.
Ich kann Dir nur sagen, was mir selber mein Herz sagt in all diesen Tagen
der Untätigkeit und des Verharrens im Ansehn des Entsetzlichen: Ich weiß,
es ist das Bedürfnis nach Stille, das mich stille macht, es ist der Hunger
nach Glück, der mich glücklich macht, es ist die Unausweichlichkeit der
Qual, die mich die Schmerzen preisen macht. Ich war es zu allen Zeiten,
der die Wunden, die Gott schlug, eher noch mehr aufriß.
Und ich leugne nicht, daß ich am ganzen Leibe und an mehr als einem Leibe
offen und blutend bin. Mein Herz ist auch nicht ungebärdiger und weniger
eifernd und weniger auf Lust und Liebe und Freude aus, oder auf das, was
mehr ist: die Tat. Dies alles ist brennend und offen. Und es demütigt bis
zum Tode, daß wir mit allen unseren Plänen und unserer heißen Mühe nichts
ausgerichtet haben. Gerade aber in dem Augenblicke, in dem uns Gott so in
die finsterste Nacht hinaussät, gerade in dieser letzten und
zerstörendsten Demütigung aber, in diesem äußersten Augenblick wächst mir
ein Neues zu: Ein keimendes, ein Hoffendes, ein Vertrauendes, wie ich es
vorher nicht besaß. Gerade nun, wo unsere Hände so ganz und gar leer sind,
kann Gott sie neu füllen.
Ach — nenne es die letzte und feinste Perversität des Geistes — sie ist
es, aber sie ist mehr und Du weißt es, sonst hättest Du nicht diesen Beruf
gewählt: Mitten in den furchtbaren Verwüstungen, die über mich und über
uns hereinbrechen, ist mein Herz voll Jubel, voll Jauchzen und Anbetung:
Auch dies, Gott, aus Deiner Hand genommen, ist lauter Heil.
Du hast mich so geschaffen, daß ich unbesieglich bin. Je mehr wir gequält
sind, je grausamer uns der Tod umstellt, je deutlicher und unbedingter
steht vor mir das Bild und die überirdische Wahrheit des Gekreuzigten.
Dann ist in mir nichts als heiße Liebe zu Seiner übergroßen, armen
Schönheit. Und diese Liebe ist so groß, daß sie alle Verzweiflung
überflutet mit ihrer warmen und fruchtbaren Welle. Und diese Liebe ist so
stark, daß sie den Gekreuzigten selbst noch beherbergen und bergen und
umschließen kann. Dann ist es ein seliges Geben und Nehmen und Stillung
für uns beide.
Ist es unmännlich, so im Schmerz zu verharren? Ist es dem Osten
vorbehalten, die „innere Freiheit" über Schmutz und Hunger und schlimmere
Verfolgung blühend und aufrecht zu spüren? Ich weiß es nicht. Ich folge
nur jetzt, wo ich an Haupt und Gliedern gebunden bin, dem Schlage meines
Herzens zwischen Qual und Trost. Ich habe Dir sehr zu danken, lieber
Thomas, für Deinen Brief. Er hat das getan, was ein Mensch dem anderen
kann: Mich geöffnet, mich angespannt, mich gewisser gemacht. Und dabei
sagst Du, Du hättest jetzt nichts, was Du an „Seelsorge" bieten könntest.
Wir wollen niederbrechen lassen, was brechen will. Und wenn es ein ganzer
Erdteil ist. Es wird dennoch ein „Drittes Reich" übrigbleiben, in dem
Gottes Sonne ist.
Dein Hans
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider