Graf WILHELM
1918 - 1943
Student
Geboren am 2. Januar
1918 in Kuchenhein/Elsaß.
Als Mitglied der Widerstandsgruppe an der Münchner Universität am 12.
Oktober 1943 in München hingerichtet.
Gerichtsgefängnis Neudeck
München, den 11. April 1943
Meine lieben Eltern und liebe Mathilde, ich bin nun schon die dritte Woche
hier.
Große Sorge mache ich mir um Euch — immer und immer warte ich auf eine
Nachricht. Macht Euch nicht zu viel Gedanken über mich; die Hauptsache ist
doch, wenn es Euch Allen gut geht.
Ich muß mein Geschick tragen und erleiden, wie es mich treffen wird. Ich
bitte darum, ein starkes Herz zu haben und vertraue auf Gott.
In seiner Hand liegt mein Leben . . . Vorläufig weiß ich noch gar nicht,
was die nächsten Wochen bringen werden.
Mit Geduld und Gottvertrauen muß ich einfach abwarten. ... In Gedanken
sind wir verbunden, ich wünsche Euch eine gesegnete Zeit.
Von Herzen
Euer Willi
München, den 2. Juli 1943
Meine lieben Eltern, liebe Mathilde und liebe Anneliese, ich bin froh
darüber und dankbar, daß Ihr mich besucht habt, jetzt weiß ich wenigstens
ein bißchen, wie es Euch Allen geht. In den paar Minuten konnten wir nur
wenig erzählen, aber die Hauptsache ist, daß wir uns gesehen haben. Ich
weiß nun, daß Ihr alle an die Sinnhaftigkeit dieser Ereignisse glaubt, an
die Fügung Gottes. Nur im Glauben vermögen wir es zu ertragen, in Seiner
Hand liegt unser Schicksal . . .
In Liebe
Euer Willi
München, den 1. August 1943
. . Meine Gedanken sind bei Euch, immer wieder empfehle ich Euch dem
Schütze Gottes, von dem alles abhängt, und in dessen Händen unsere
Schicksale ruhen. Dieses Bewußtsein allein vermag uns hier einen starken
Mut zu geben, alles andere daneben wird unwichtig und bedeutungslos. Man
kann das mit jedem Tag tiefer spüren. In diesem Gedanken sind wir vereint
.
.
15. August 1943
... So gehen die Dinge auch im Leid ihren Gang, obwohl man manchmal
glauben möchte, die Zeit müsse stehen bleiben. Aber dann wird besonders
deutlich, daß in jedem noch so schweren Geschick ein bestimmter Sinn
liegt, der uns in dieser Welt wohl nicht mehr erklärt wird. Je härter die
Zeit, um so näher sind wir bei Gott . . ,
10. September 1943
... Ich danke Euch ganz besonders für Eure Post, die mir soviel Freude
macht und zur Beruhigung dient, wenn ich erfahre, daß es Euch daheim gut
geht und auch Ihr alles Leid in Geduld und Gottvertrauen tragt. Dürfen wir
nicht fast froh sein, daß wir in dieser Welt ein Kreuz auf uns nehmen
können, das manchmal über menschliches Maß hinauszugehen scheint? In
gewissem Sinn ist es eine „wörtliche" Nachfolge Christi. Wir wollen
versuchen, dieses Kreuz nicht nur einfach zu tragen, sondern zu lieben und
vollkommener zu leben im Vertrauen auf Gottes Ratschluß. Dann erfüllt sich
der ganze Sinn in diesem schmerzvollen Leiden. Für uns ist der Tod nicht
das Ende, sondern ein Durchgang, das Tor zum wahren Leben. Ich versuche
mir diese Wirklichkeiten ganz bewußt werden zu lassen und bitte um Kraft
und Segen dafür. So berühren einen die alltäglichen Dinge nicht mehr so
stark, wie sie auch ausschauen mögen. Die Erfüllung des Lebens liegt nicht
in ihnen. Aber die Liebe zu Deutschland wächst von Tag zu Tag, und ich
nehme schmerzvollen Anteil an seinem Geschick und seinen großen Wunden . .
.
12. Oktober 1943
Meine geliebten Eltern, meine liebe Mathilde und Anneliese! An diesem Tage
werde ich aus dem Leben scheiden und in die Ewigkeit gehen. Vor allem
schmerzt es mich, daß ich Euch diesen Schmerz bereiten muß. Trost und
Stärke findet Ihr bei Gott, darum werde ich bis zum letzten Augenblick
beten, denn ich weiß, daß es für Euch schwerer sein wird als für mich. Ich
bitte Euch, Vater und Mutter, von Herzen mir zu verzeihen was ich Euch an
Leid und Enttäuschung zugefügt habe. Verzeiht und betet immer wieder für
mich! Seid stark und gefaßt - vertraut auf Gottes Hand, der Alles zum
Besten lenkt, wenn es auch im Augenblick bitteren Schmerz bereitet. Wie
sehr ich Euch geliebt habe, konnte ich Euch im Leben nicht sagen, nun
aber, in den letzten Stunden sage ich Euch, daß ich Euch Alle von Herzen
liebe und Euch verehrt habe. . .
Die Liebe Gottes hält uns umfaßt, und wir vertrauen Seiner Gnade. Möge Er
uns ein gütiger Richter sein. Mein letzter Gruß Euch Allen . . . Gottes
Segen über uns, in Ihm sind wir und leben wir. Lebt wohl und seid stark
und voller Gottvertrauen! Ich bin in Liebe immer
Euer Willi
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider