NIKOLAUS
GROSS
1898 - 1945
Nikolaus Groß, am 30.
September 1898 in Niederwenigem an der Ruhr geboren, entstammte einer
Arbeiterfamilie. Als junger Bergmann erweiterte er sein Wissen durch
Lektüre und den Besuch von Abendschulen. Er schloß sich der christlichen
Bergarbeiterbewegung an, gründete und leitete Jugendgruppen, wurde
Gewerkschaftssekretär und schließlich Redakteur an der „Westdeutschen
Arbeiterzeitung" und „Kettler Wacht". Sein katholischer Glauben und seine
politischen Überzeugungen machten ihn zum Gegner des Nationalsozialismus.
Er beteiligte sich an den Vorbereitungen zu dem Umsturzversuch des 20. ]uli.
Verhaftet und vor ein Volksgericht gestellt, wurde er am 15. Januar 1945
zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 hingerichtet.
Abschiedsbrief an seine Familie, geschrieben zwei Tage vor seinem Tode
Herzallerliebste Mutter!
Ihr lieben guten Kinder alle!
Es ist St.- Agnes-Tag, an dem ich diesen Brief schreibe, der, wenn er in
Eure Hände kommt, Euch künden wird, daß der Herr mich gerufen hat.
Vor mir stehen Eure Bilder und ich schaue jedem lange in das vertraute
Angesicht. Wieviel habe ich noch für Euch tun wollen — der Herr hat es
anders gefügt. Der Name des Herrn sei gepriesen. Sein Wille soll an uns
geschehen.
Fürchtet nicht, daß angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir
sei. Ich habe täglich gebeten, daß der Herr mich und Euch stark mache,
alles geduldig und ergeben auf uns zu nehmen, was er für uns bestimmt oder
zugelassen. Und ich spüre wie es durch das Gebet still und ruhig geworden
ist. Mit inniger Liebe und tiefer Dankbarkeit denke ich an Euch zurück.
Wie gut ist doch Gott und wie reich hat er mein Leben gemacht.
Er gab mir seine Liebe und Gnade und er gab mir eine herzensliebe Frau und
gute Kinder. Bin ich Ihm und Euch dafür nicht lebenslänglichen Dank
schuldig? Habt Dank, Ihr Lieben, für alles, was Ihr mir erwiesen. Und
verzeiht mir, wenn ich Euch weh tat, oder meine Pflicht und Aufgaben an
Euch schlecht erfüllte. Besonders Dir, liebe Mutter, muß ich noch danken.
Als wir uns vor einigen Tagen für dieses Leben verabschiedeten, da habe
ich, in die Zelle zurückgekehrt, Gott aus tiefem Herzen gedankt für Deinen
christlichen Starkmut.
Ja, Mutter, durch Deinen tapferen Abschied hast Du ein helles Licht auf
meine letzten Lebenstage gegossen. Schöner und glücklicher konnte der
Abschluß unserer innigen Liebe nicht sein, als er durch Dein starkmütiges
Verhalten geworden ist.
Ich weiß: Es hat Dir und mir große Kraft gekostet, aber daß uns der Herr
diese Kraft geschenkt, dessen wollen wir dankbar eingedenk sein. Manchmal
hatte ich mir in den langen Monaten meiner Haft Gedanken darüber gemacht,
was wohl einmal aus Euch werden möge, wenn ich nicht mehr bei Euch sein
könnte. Längst habe ich eingesehen, daß Euer Schicksal gar nicht von mir
abhängt. Wenn Gott es so will, daß ich nicht mehr bei Euch sein soll, dann
hat Er auch für Euch eine Hilfe bereit, die ohne mich wirkt.
Gott verläßt keinen, der Ihm treu ist und Er wird Euch nicht verlassen,
wenn Ihr Euch an Ihn haltet. Habt keine Trauer um mich — ich hoffe, daß
mich der Herr annimmt. Hat Er nicht alles wunderbar gefügt? Er ließ mich
in einem Hause, in dem ich auch in der Gefangenschaft manche Liebe und
menschliches Mitgefühl empfing. Er gab mir über 5 Monate Zeit -
wahrscheinlich eine Gnadenzeit — mich auf die Heimholung vorzubereiten.
]a, Er tat viel mehr: Er kam zu mir im Sakrament, oftmals, um bei mir zu
sein in allen Stürmen und Nöten, besonders in der letzten Stunde. Alles
das hätte ja auch anders sein können.
Es war nur ein Kleines dazu nötig, ich brauchte, wie viele andere nach dem
Angriff vom 6. Oktober nur in ein anderes Haus verlegt werden und ich
hätte Vieles und Entscheidendes nicht empfangen. Muß ich nicht Gottes
weise und gütige Führung preisen und Ihm Dank sagen für Seine Güte und
väterliche Obhut? Sieh, liebe Mutter, so menschlich schwer und schmerzlich
mein frühes Scheiden auch sein mag - Gott hat mir damit gewiß eine große
Gnade erwiesen. Darum weinet nicht und habt auch keine Trauer. Betet für
mich und danket Gott, der mich in Liebe gerufen und heimgeholt hat. Ich
habe für jeden von Euch einen Spruch oder ein Andachtsbildchen mit einem
persönlichen letzten Wort versehen.
Möge es jedem eine kleine Erinnerung sein mit der Bitte, mich im Gebet
nicht zu vergessen.
Eine große Freude war mir das Sterbekreuz und der Rosenkranz, den Du,
liebe Mutter, mir in die Zelle schicktest.
Ich trage das Kreuz Tag und Nacht auf der Brust und auch der Rosenkranz
ist mein ständiger Begleiter. Ich werde Sorge tragen, daß beides in Deine
Hände zurückkommt. Auch sie werden Dir Gegenstand lieber Erinnerung sein.
Nun habe ich meine irdischen Angelegenheiten geordnet. Die Tage und die
Stunden, die mir bleiben, will ich ganz dem Gebete hingeben.
Gott möge sich meiner armen Seele erbarmen und Euch immerdar mit Seinem
Segen und Seiner Gnade begleiten.
In der Liebe Christi, die uns erlöste und unsere Hoffnung ist, segne ich
Euch: Dich, liebste Mutter, Dich, Klaus, Dich, Berny, Dich, Marianne und
Dich, Elisabeth, Dich, Alexander, Dich, Bernhard, und Dich, Leni. Gott
vergelte Euch, was Ihr mir Liebens und Gutes getan habt. Im Vertrauen auf
Seine Gnade und Güte hofft auf ein ewiges Wiedersehen in Seinem Reiche des
Friedens
Euer Vater
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider