Geboren 1924.
Eingezogen als Siebzehnjähriger.
Am 27. März 1944 auf Grund der Anzeige eines Kameraden, mit dem er sich im
Dezember 1943 unterhalten hatte, verhaftet. Am 14. Juli 1944 zum Tode
verurteilt. Am 20. September 1944 erschossen.
Untersuchungsgefängnis Litzmannstadt, 12. Mai 1944
Liebe, kleine Mutti! Hab Dank für Deinen traurig - freudigen
Frühlingsbrief.
Und ich will Dir auch gleich, wenn auch nur kurz, darauf antworten. Das
geht nicht immer so schnell, wie sich das so kleine Muttis vorstellen. Es
besteht dann nicht gleich Anlaß zum Sorgen machen und Traurigsein.
Abgesehen davon, daß mir nicht immer zum Schreiben zumute ist.
Ohne daß ich immer gleich tieftraurig zu sein brauche, bin ich doch
abhängig von dem, was man so „Stimmung" nennt und von der allgemeinen
Atmosphäre in so einem Bau wie diesem und in so einer Zelle. An manchen
Tagen auch starren einen diese glatt-grauen Wände so blöd an, daß man gar
nichts mehr zu sagen weiß. Das Morgenstern-Bändchen, den Schüler und
„West-Östliche Begegnung" und die herrlichen van Gogh- und Gauguin-Karten
habe ich erhalten.
Meine Freude kann ich gar nicht so ausdrücken. Und ich glaube fast, man
wird der Worte schon zu sehr entwöhnt durch dieses lange Schweigen. Im
Augenblick bin ich beim Schiller. Die Leseatmosphäre ist gerade günstig in
letzter Zeit, und diese Zeit muß man ja nützen.
Übrigens das einstündige Erlebnis der täglichen „Freistunde" mit
Maienluft, Frühlingssonnenstrahlen und einem von kleinen weißen
Sommerwölkchen betupften Himmel — und der Duft von jungen grünen Bäumen,
brachten mich letztens ganz vom Thema ab.
Bei aller Geduld, die ich gefunden habe, ließ sich ein kleines Herzklopfen
doch nicht ganz unterdrücken. So ein bißchen Frühling geht mir dann immer
durch Mark und Bein.
Nun hast Du wieder ein bißchen von mir gehört und weißt, daß ich noch wohl
und ganz lebe.
Seid alle herzlichst gegrüßt!
Untersuchungsgefängnis Berlin-Tegel, 6. Juni 1944
Liebe, kleine Mutti! Verzeih mein langes Schweigen — es lag diesmal nicht
an mir.
Und auch jetzt nur einen „kurzgefaßten, gut leserlichen" Brief als
Lebenszeichen von mir, das für vier Wochen reichen muß!.
Ja, damit müssen wir uns jetzt schon abfinden. Seit dem 27. Mai bin ich
nun schon hier — nach einer Reise, die mir dank einer vernünftigen
Begleitung zu einer erholsamen Abwechslung wurde — und beginne mich an die
gegenüber Litzmannstadt doch sehr anderen Verhältnisse zu gewöhnen.
Für mein seelisches Wohl mit Büchern usw. zu sorgen brauchst Du leider nun
auch nicht mehr. Mit Eßwaren ist das hier auch nicht so wie in
Litzmannstadt.
Bitte, bitte denkt daran. Mehr Worte kann ich über dieses Thema nicht
verlieren. Kummer brauchst Du Dir um mich nicht zu machen, ganz gleich,
wie's kommt. Der Satz vom „Geist — der nicht sterben kann — unter keinen
Qualen" . . . von Franz Marc, steht über allem und bleibt in mir lebendig.
Richtig schlecht kann's mir da doch nicht gehen. In diesem Sinne . . .
Zu einem Besuch hier würde ich nicht unbedingt raten. Es ist hier auch
kein schöner Eindruck für sorgengeplagte Muttis.
Ich überlasse das jedoch ganz Dir. Laß es Dir so gut gehen, wie, irgend
möglich und bleib so tapfer, gleich was kommen mag — ich will es auch
sein.
Untersuchungsgefängnis Berlin-Tegel, 7. Juli 1944
Kleine Mutti!. . . . ja, ja — man hat's nicht leicht, aber man hält' s
doch aus" — möchte ich wie der alte Hiddenseer Fischer ausrufen. Dies zur
geistigen Untätigkeit verdammt zu sein ist nicht schön. Eine schöne Kunst
- und Literaturgeschichte brauchte ich —und mir wäre wohler. Adolf Hitler
schrieb in seiner Landsberger Festungshaft einen „Kampf".
Ich würde es auch tun — aber wofür? wogegen?! Dies nicht zu wissen, eben
so gar keinen Vorwand für sein Leiden zu haben, macht die Sache etwas
quälerisch. - Jedoch so kleine Sonnenstrahlen gibt's ja immer, wie auch
Deinen Brief vom 27., den ich, als Du mich hier besuchtest, natürlich noch
nicht bekommen hatte. Mit den zwei Gauguin-Karten und dem selten schönen,
wunderschönen Nietzschesatz vom „Jasagenden". Mir kommt dabei vieles in
den Sinn, was ich Dir jetzt in einem großen Brief sagen müßte.
In so einem „kurzgefaßten" läßt sich das nicht ausdrücken. Ich. kann Dir
also nur raten, wenn Du wieder einmal eine ruhige Stunde hast, den
„Großinquisitor", ein Kapitel in den Brüdern Karamasow, zu lesen. Eine
ganz ruhige Stunde müßte es sein. — Und wenn Du Sehnsucht hast, mit mir
ein bißchen zu sprechen und meinen Geist beschwören willst, dann spiele
vor allen Dingen den langsamen Satz aus dem „Italienischen Konzert" Bachs.
Dann bin ich ganz bei Dir! Tu's!
Dank noch für Deinen Besuch. Es hat Dir hoffentlich nicht noch mehr Kummer
bereitet, mich in dieser Umgebung zu erleben. Daß ich im übrigen von
meinem „Verbrechertum" nicht durchdrungen bin, wird Dir hoffentlich nicht
als ein Zeichen von Unreife und Oberflächlichkeit erschienen sein.
Mir hat Dein Besuch um so mehr Freude gemacht, als ich mich nun wieder auf
etwas freuen kann.
In 14 Tagen schon kann ich doch mit Deinem Besuch rechnen.
Das Mitgebrachte ward mir übrigens zu einem Genuß, den ich gar nicht
beschreiben und den Ihr Euch gar nicht vorstellen könnt! Seid alle
herzlichst gegrüßt. Dir eine große Umarmung!
Nach der Verurteilung
Berlin - Spandau, 2. August 1944
Ihr Lieben - liebe kleine Mutti! - Ich komme zu wenig aus einem sorglos
schönen Leben, als daß das Unglück nun restlos niederschmetternd für mich
wäre.
Es kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern in ein Leben,
das voller Widerstände und seelischer und körperlicher Qual für mich war.
Ich habe nicht so sorglos-oberflächlich dahingelebt, sondern das Schicksal
hat mich meinen Gott zur rechten Zeit suchen gelehrt.
Ich habe Ihn gefunden, soweit Ihn ein Mensch finden und erkennen kann -
und Er ist mir nahe und hilft mir. Ich fürchte den Tod, so wie ich Gott
fürchte. Ich liebe das Leben, wie man es als Neunzehnjähriger lieben kann
— aber ich weiß, daß der Tod für mich keine Strafe sein kann.
Es ist schwer, sein Leben nicht mehr verteidigen — nicht mehr darum
kämpfen zu können. Das mögt Ihr nun, soweit es irgend möglich ist, tun. —
Nein, ich bin nicht mehr so hoffnungsfroh wie ich war, aber ich bin fern
der Verzweiflung und ruhig.
Und solange die Sonne noch scheint und ich den Himmel über mir sehe, will
ich an das Leben, an mein Leben, glauben. Die äußeren Verhältnisse haben
sich denen gegenüber, wie sie zuletzt in Tegel waren, etwas gebessert. Ich
habe Gelegenheit, zusammen mit einem Kameraden eifrig französisch zu
treiben.
Meine Lektüre besteht abwechselnd aus „Faust", Grillparzers Meisterwerken
und dem Alten und Neuen Testament.
Nebenbei klebe ich ein bißchen Tüten. Tut nun, was sich zur Milderung
meiner Lage und zur Abwendung des drohenden Geschickes für mich tun läßt
und bleibt im übrigen stark, fest und gläubig — ich will es auch sein.
Alle die mit mir sind, grüße ich, und umarme meine arme kleine Mutti!
Spandau, 7. September 1944
Meine liebe kleine Mutti! Habe Dank für Deinen lieben, langen,
trostreichen Brief - so voller Optimismus und Lebensmut. - Und eigentlich
weiß ich Dir nicht zu antworten. So grau und schwer ist doch der Himmel
über mir und nur allzuschwach scheint die Sonne in diese Atmosphäre und
diesen Erlebnissen, unter denen man hier leben muß.
— Und doch, ich lebe noch, mit aller Kraft, die ich noch habe, unter
Zusammenfassung allen Willens. Nicht beten und flehen will ich; der Wille
zum Leben ist mein Gottvertrauen. Und meine Gedanken sind bei Euch, bei
denen, die diesen Willen mit mir haben.
— Ganz tief steht die Sonne jetzt am Himmel und scheint ganz blutig-rot
als wie von einer fernen, anderen Welt in meine Zelle. Bei Sprecherlaubnis
bitte nur D u - über kahl geschorenen Schädel bitte nicht zu erschrecken.
Spandau, 20. September 1944
Ihr Lieben - meine liebe kleine Mutti! Es ist so weit - und ich bin ruhig
wie noch nie in meinem Lehen und zuversichtlich.
Ich wußte es seit Tagen und Wochen, wenn ich es auch vor Euch und mir
nicht wahr haben durfte. Der Herrgott ist mir nahe und hat mir Seine Hand
gereicht - und hat mir Kraft gegeben.
Er wird sie meiner armen, kleinen Mutti nicht versagen. Ihr dürft den Mut
nicht verlieren, Ihr müßt weiterleben, jetzt wie noch nie.
Daß ich heute erschossen bin, soll niemandem verheimlicht werden. Bleibt
getrost wie ich es bin. Ich umarme und küsse meine kleine Mutti.
Peter
Berlin-Gatow, 25. September 1944
Sehr geehrte Frau Karen Habernoll!
Ihr Sohn Peter hat es gewünscht, daß ich Ihnen über seinen letzten Gang
etwas schreibe. Er starb sehr gefaßt, tapfer und ruhig. Sie sollen nicht
trauern, er sei gern gestorben, so hat er gesprochen. Als ich ihm einige
Minuten vorher sagte, das Leben ist ein Jammertal und das eigentliche
Leben nach dem Tode, sagte er, für ihn wäre das Leben nicht ein Jammertal
gewesen. Etwa um 4 Uhr 50 ist er in die Ewigkeit gegangen, 4 Uhr 30 wurde
ihm das Urteil vorgelesen.
Einige Sekunden vor dem Tode verabschiedete ich mich von ihm und sagte ihm
leise, er solle beten. Da sagte er mir: „Gott ist bei mir!" In den Himmel
schauend, aufrecht und gefaßt, brach er zusammen. Es war, als ob der Atem
Gottes ihn umwehte! Sein Wunsch war: Sie sollen nicht trauern. Möge er in
Gott die Erfüllung seines jungen Lebens finden. Gott möge ihn in Seine
ewige Wohnung aufnehmen.
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider