In Theodor Haubach, 
      geboren am 15. September 1896 in Frankfurt, verkörperten sich exemplarisch 
      die aufbauenden Kräfte, die unter der Weimarer Republik im deutschen Volk 
      tätig waren, um schließlich von Verzweiflung und Leidenschaft überwältigt 
      zu werden. Er gehörte zu der opferfreudigen Jugend, die 1914 für 
      Deutschland ins Feld zog. Als er zu Kriegsende nach achtmaliger Verwundung 
      heimkehrte, hatten sich in ihm die aus christlichem 
      Verantwortungsbewußtsein erwachsenen sozialistischen Oberzeugungen 
      befestigt, denen er bis zum Ende treu blieb. Nach seiner Promotion zum 
      Doktor der Philosophie in Heidelberg hat er in verschiedenen 
      Eigenschaften, als Journalist, Politiker und Beamter, der bedrängten Sache 
      der deutschen Republik gedient. Nach der Katastrophe von 1933 wurde er 
      Gegenstand und schließlich Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Immer 
      wieder nahm man ihn fest; er hatte jahrelang die Haft in einem 
      Konzentrationslager zu erdulden. Als Mitglied des Kreisauer Kreises wurde 
      er nach der Erhebung vom 20. Juli aufs Neue verhaftet, vor ein 
      Volksgericht gestellt und am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. 
      Die hier abgedruckten Briefe an die Verlobte sind in schwerer Haft 
      angesichts des nahenden Todes geschrieben. Dem reifen Mann war kurz vor 
      seiner Verhaftung am 9. August 1944 beschieden, die Lebensgefährtin zu 
      finden. Die Gewalt der beglückenden Erfahrung hob diesen beschwingten und 
      gottesfürchtigen Geist über sich selbst hinaus und löste ihm die Zunge zu 
      Worten der Dankbarkeit, der Betrachtung und des Lobpreises. Ex captivitate 
      lux.
      
      
      
      Berlin, 7. Juli 1943
      
      ... Du weißt, daß ich in meinem Leben viele böse Dinge habe hinnehmen 
      müssen; spürst Du nicht, wie in dem Abgrund des Leids Gott ganz nahe, ganz 
      dicht bei Dir bin? 
      Der "liebe" Gott, von dem wir Protestanten etwas dünn und einfältig reden, 
      kommt hier wohl etwas zu kurz. Aber jener anderer Gott jener Abgrund des 
      Geheimnisses und der Macht, der Gott, der zu Hiob aus den Wettern redet, 
      sieh, Er hat Seine gewaltige Hand auf Dich gelegt: „Von Mitternacht kommt 
      Gold und um Gott ist schrecklicher Glanz!" Höre Ihn, wie ihn Hölderlin 
      verkündet:
      
      „Nah ist und schwer zu fassen der Gott. 
      Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
      Im Finstern wohnen die Adler ..."
      
      Ja, dieser Abgrund des Lichts ist auch ein Abgrund des Feuers, und, wenn 
      wir nicht das Knie beugen: „Herr, Dein Wille geschehe!" so zerbrechen wir. 
      Häslein — das sollen keine salbungsvollen Worte sein. Das alles ist viel 
      ernster. Wir wollen nicht den Schmerz weglügen und das Unheil wegheucheln 
      sondern dem aufrichtig das Schwere so schwer nehmen, wie es ist. Erst 
      dann, wenn wir den Nacken gebeugt in der harten Gewalt den dreimal 
      heiligen Meister spüren, dann antwortet dem „De profundis" das „Resurge te" 
      der Engel! Häslein! 
      Wenn Dich der Jammer überfällt, widerstehe ihm nicht sondern gib dich ihm 
      hin. Rief nicht auch Christus am Kreuz: „Mein Gott, warum hast Du mich 
      verlassen ?" Und war doch Gottes Sohn und ganz dicht am Paradiese! Erst in 
      der äußersten Nacht des Unheils antwortet die Stimme des Engels, wenn Du 
      ihn rufst.Und nun — Häslein — es ist tief in der Nacht. Ich sage Dir ganz 
      leise: ich will für Dich beten! Jetzt aber höre zum Schluß die vom Wissen 
      trunkene Stimme Heraklits: „Wenn einer nicht hofft, wird er das 
      Unverhoffte nicht finden; denn sonst ist es unerforschlich und 
      unzugänglich!" Lerne das auswendig.
      
      
      Und vertraue Deinem gutem Freunde
      
      Theo
      
      
      Gestapogefängnis Lehrterstraße, 23. November 1944
      
      Du mir von ganzem Herzen Liebe, Geliebte! 
      Ich habe mich in diesen Wochen, da der Sturm der Liebe über mich kam, 
      ernstlich geprüft und mir auch — Du kennst mich — ruhig und kritisch die 
      Frage vorgelegt, ob ich nicht einfach aus der bösen Lage, in der ich 
      stecke, Deine Liebe und Hilfsbereitschaft mit glühenden Gefühlen erwidere, 
      deshalb, weil ich in Angst und Not bin. Ja, ich habe mich an Dich 
      geklammert, Du heller Stern in der Nacht der Verzweiflung - aber eben 
      darum mußte ich mich fragen, ob das Gefühl, das so alles überwältigend in 
      mir erwacht ist — ob dies Gefühl rein und echt sei. Furchtbare Frage: 
      sollte ich dieses Mädchen Anneliese, das mir die ganze Zartheit und Kraft 
      seines großen Herzens zuwendet, mit den stammelnden und verzückten Worten, 
      die ich schrieb, etwa gar getäuscht haben?
      
      Heute kann ich vor Gott dem Allmächtigen und strengen Richter, dessen 
      Gericht ich fürchte, frei und klar sagen: Anneliese, ich liebe Dich, liebe 
      Dich so, wie es Menschen überhaupt gegeben ist zu lieben. Gott hat mein 
      Gebet erhört: Er ist im Begriff mein steinern Herz aufzureißen und mir ein 
      fleischern Herz einzusetzen. Ich liebe Dich so wie Du mich geliebt hast, 
      denn eine größere Liebe als die Deine kann ich mir unter Menschen nicht 
      denken. In der Weisheit Deines Herzens hast Du jeden Dank, den ich Dir 
      abstatten wollte, unerbittlich zurückgewiesen.
      Ja — mehr: Du hast mir drohen müssen alles einzustellen, wenn ich mit Dank 
      fortfahre. Du hast recht gehabt: hier durfte nicht von Dank geredet 
      werden, denn es ging um die Liebe, die nach den Worten St. Pauli die 
      größte unter allen Mächten des Himmels ist. Du konntest nur darauf warten, 
      ob der Ruf aus der Höhe, der Dich getroffen hat, auch mich anrühren würde: 
      „Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!" 
      Dich hat der Ruf aus der Höhe erreicht, denn Du hast eine Kraft, Weisheit 
      und Großmut des Herzens gezeigt, die dem Menschen nur dann möglich ist, 
      wenn ihn die Gnade und Liebe von Oben erweckt und führt. 
      Du hast einen Adel Deines Menschentums gezeigt, der nur dann möglich ist, 
      wenn Gottes allmächtige Kraft in uns Schwachen mächtig wird.Daher ich denn 
      auch spüre, wenn die Kraft einmal nicht ganz bei Dir ist, wenn Du, die Du 
      mir den Befehl zum Glauben wahrhaft flammend überbrachtest, auch einmal in 
      Angst, Not, Zweifel warst. Anfangs war ich dann auch verzweifelt, tief 
      beunruhigt - es geschah übrigens nur ein- oder zweimal -, dann lernte ich 
      einsehen, daß auch Du nur ein Menschenkind bist, Tochter Evas, und daß Dir 
      die Engel des Herrn helfen müssen damit das alles von Dir ausstrahlt, was 
      Du jetzt fast immer hast: Glanz und Glorie der Kraft und der Weisheit. 
      Dich hat mir Gott gesandt, damit ich erkenne, warum der Mensch zu Zeiten 
      seines Lebens in die Tiefe fahren muß!: damit er lerne zu Gott zu rufen 
      und zu schreien; 
      2. daß er seine Sünden erkenne; 
      3. daß er sich bekehre; 
      4. daß er Gott fürchte. 
      Was ich jetzt in Dir liebe, hat mit Erotik nur wenig zu tun. 
      Selbstverständlich begehre ich von Dir das, was jeder Mann von jeder Frau, 
      die seinen Augen gefällt, begehrt. Aber das ist es nicht; Deine 
      Tapferkeit, Deine Klugheit - ja, auch Deine Härte.
      
      Und so wie Du jetzt wurdest, so wie Gott Dich eigentlich wollte, als er 
      Dich schuf - so gebe auch mir der Herr daß auch ich den Adel wiederfinde, 
      der auch mir zugedacht war, als ich als Sein Ebenbild auf die Welt kam. 
      Noch bin ich nicht so weit, noch überfällt mich in langen Nachten der 
      Widersacher mit Angst, Not, Verzweiflung. Noch brauche ich nicht nur Deine 
      Stärke - ja, Deine Härte, wenn es sein muß. Mehr aber noch: den Strom 
      Deiner Liebe. Ich, ein Schüler in Dingen der großen Liebe, küsse Dich, Du 
      Meisterin und Begnadete. Gott lasse Dich mir weiter helfen. 
      
      Theo
      
      Gestapogefängnis Lehrterstraße, 28. November 1944
      
      Liebe, liebe, liebe Anneli! 
      Ich denke jetzt Tag und Nacht über Dich und mich nach. Merkwürdig ist es 
      doch zwischen uns gegangen. Da war ein Mädchen, anmutig, lustig, sehr 
      zart, dem Leben eigentlich nicht ganz gewachsen, sehr zerstreut, brachte 
      tausend Dinge in ihrem kleinen Kopf durcheinander und das war wieder sehr 
      reizend. ... 
      Dieses Mädchen hieß Schellhäschen. ...Und nun kommt etwas anderes: eine 
      junge mädchenhafte Frau, begnadet mit einer Kraft des Herzens, begnadet 
      mit einem Mut sondergleichen, eine Frau, die in der Liebe zu mir den 
      Führungsanspruch erhebt und tatsächlich die Führung übernimmt, eine Frau 
      von einer fast männlichen Klugheit und Entschlossenheit, eine Frau, die, 
      vom Adel der Liebe gewappnet, imstande ist, Kräfte des Himmels an sich 
      heranzuziehen. - - - Wo ist da noch das Schellhäschen? Doch — es ist auch 
      noch da, aber hinter dem munteren oder melancholischen Häslein erhebt sich 
      eine andere Gestalt, vom Ruf der Höhe angerührt, die über das Wasser 
      schreiten kann, um einem Versinkenden die Hand zu reichen. Ich weiß nicht, 
      ob Du von diesem zweiten Menschen in Dir etwas weißt. Vielleicht ahnst Du 
      ihn kaum. Aber ich sehe ihn, und darum liebe ich Dich so sehr. Darum 
      verehre ich Dich. 
      Und wenn Du es noch nicht weißt, will ich es Dir sagen: eine neue 
      Dimension ist in Dir aufgebrochen, eine neue Gestalt hinter Deiner ersten 
      ist erstanden, und Du bist im Begriff, Dich dahin zu verwandeln, wohin 
      Dich Gott eigentlich haben wollte, als er Dich erschuf. „Darum ist jemand 
      in Christo, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen. Siehe, es 
      ist alles neu geworden" (2. Kor. 5, 17). Diesem neuen Menschen in Dir 
      küsse ich die Hände, und wenn ich zu Gott um Rettung rufe und schreie, so 
      hat es jetzt einen tieferen Sinn als vorher; es geht um Dich mit, liebe, 
      geliebte Anneliese.
      
      
      2. Dezember 1944 Morgen Advent! Die heilige Zeit des Jahres beginnt!
      
      Anneliese! liebe geliebte Anneliese!
      
      Preisfrage: Wer freut sich wohl mehr über ein Brieflein? Du, und wenn Du 
      durch regennasse Nacht mit wehem Bein durch zerstörte Straßen nach Haus 
      eilst und sich Dir dann das traute, liebe Haus am Falterweg öffnet mit all 
      den lieben Menschen ?
      Oder ich in der tiefen Einsamkeit meiner Zelle? 
      O Annelieschen! Wir werden nicht entscheiden können, aber daß Du mehr 
      Glanz und Glück in mein Leben bringst als ich in Deins — ich meine, das 
      ist nicht anders möglich.
      
      4. Dezember 1944
      
      Tausend Dank, Du Liebe, Süße, Angebetete!
      
      O Anneliese! Liebste Geliebte! Als Euer Adventssegen gestern ankam, war 
      ich so bestürzt vor Glück, so überwältigt von Rührung und Freude, daß ich 
      — verzeih' die Schwäche — laut losgeheult habe. Glaub' mir: es waren nicht 
      die Nerven — es waren Tränen des Glücks und der Freude. 
      Und während Du noch unten saßest, gemeinsam mit mir unter dem gleichen 
      Dach — baute ich das Kerzlein vor Deinem lieben Bild auf, zündete es an 
      und dachte mit soviel Zärtlichkeit und Sehnsucht an Dich! 
      Ja, Du hast recht! Der heilige Gott hat uns auf eine so wunderbare Weise 
      zusammengeführt — „und das Licht scheinet in der Finsternis" — Du mir von 
      Gott gesandtes Licht — Du Trost, Hoffnung und Kraft in einem! Ich darf Dir 
      nicht danken — ich weiß es —, Du hast es mir verboten. So bete ich denn, 
      daß der Segen, die Gnade, die Kraft, die so sichtbar auf Dir ruhen, Dich 
      weiter bewahren und behüten mögen. Manchmal habe ich solche Sorge um Dich 
      — die Dunkelheit, die Trümmer in der Stadt und Dein armes, krankes Bein! 
      Ich küsse Dich, du liebste Geliebte und denke an Dich mit aller Sehnsucht, 
      der mein schwaches Herz fähig ist. Liebe, liebe Anneliese!
      
      Dein Theo
      
      
      7. Dezember 1944
      
      Du von Herzen liebe Geliebte!
      
      Wie bin ich glücklich, wenn ich weiß, daß Du unten sitzt. Halte den Fritz 
      immer möglichst lange auf, damit ich Deine Nähe spüre. Du holde liebe 
      Geliebte! 
      Aber daß Du krank warst - ich bin sehr bestürzt! Und auf dem Bildchen — 
      trotz Deines Lachens — siehst Du so schlecht, so abgezehrt, verhungert, so 
      müde und abgehetzt aus. Und das alles wegen mir! Mit welcher Fülle von 
      Freundschaft bin ich gesegnet! Womit habe ich das verdient? 
      Auch das die über alles Begreifen waltende Gnade Gottes! Annelieschen! 
      Über alles in der Welt Geliebte. 
      Diese Wochen und Monate sind für mich eine heilige Zeit! Ich lerne und 
      erfahre, wer ER ist, der über allen Himmeln thront. 
      „Denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnt, des Name 
      heilig ist, des Name heilig ist: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum 
      und bei denen, so zerschlagen und demütigen Herzens sind, auf daß ich 
      erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen" 
      (Jesaja 57, 15).
      
      Darum hat es auch keine Not, daß die Sache hier noch länger dauert. Wenn 
      es mir nur gegeben ist, Dich immer reiner und kräftiger in Gott zu 
      schauen. Du wunderbarer Mensch! Ich bitte Dich nur um eins: schone Dich, 
      iß besser, liege viel! Ich brauche Dich ja so sehr, nicht nur jetzt, 
      sondern ein ganzes Leben lang.
      
      Ich küsse Dich, Du Glück, Du weihnachtlicher Glanz, der in meine Zelle 
      hereinstrahlt!
      
      Tausendmal
      
      Theo
      
      13. Dezember 1944
      
      O Annelieschen! Du liebe, von ganzem Herzen Geliebte! Du mir Freundin, 
      Kamerad, Geliebte, vor Gott Anverlobte - und beinahe möchte ich sagen: 
      Mutter. 
      Manchmal komme ich mir vor wie ein Kind, der schwerkrank ist, und die 
      Mutter kommt leise herein, kühlt die heiße Stirn, hält die fiebrige Hand 
      und erzählt vom gütigen allerbarmenden Gott. 
      Und noch in einem anderen Sinn: manchmal ist es mir, als ob Du in 
      Schmerzen lägest, in der schweren Stunde der Frauen und mir zum zweiten 
      Male das Leben schenktest! Wo wäre ich jetzt ohne Dich?
      
      14. Dezember 1944
      
      Sieh, es ist doch sehr Nacht um mich, aber der Stern von Bethlehem ist 
      aufgegangen und ganz leise dringt auch zu mir die Verheißung der Engel 
      „Fürchtet Euch nicht!" Wann Du jetzt nicht wärest... 
      Wenn Du nochmals kommen könntest.
      
      Wie schön! ... Dich, Dich noch einmal in den Armen halten zu können, Dein 
      liebes Gesicht sehen — wir wollen deshalb keine Dummheiten machen und 
      nichts erzwingen wollen, was nicht geht. Ich weiß, was Du tun kannst, tust 
      Du ... und wenn Du vom Sterbebett aufspringen müßtest.
      
      Ich küsse Dich mit solcher Sehnsucht
      
      Theo 
      
      Hast Du meine letzten Blümchen bekommen? (Gepflückt bei einem Gang auf dem 
      Gefängnishof). 
      Wie liebe ich Dich!!!!! Wie bin ich gesegnet mit Dir!!
      
      Kurz vor Weihnachten
      
      O Anneliese! Eine Zeit der Not und der Wunder! Dur Herrgott geht wieder 
      über die Erde, abzuschlagen was faul ist, zu retten was bereit ist. 
      Wir kennen die Gedanken Seines Gerichts nicht. Darum müssen wir warten — 
      das ist schwer! Sehr schwer!
      
      
      
      
      
      Literatur: Du hast 
      mich heimgesucht bei Nacht
      Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
      Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider