BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

ALBRECHT HAUSHOFER

1903 - 1945

 




Albrecht Haushofer, geboren am 7. Januar 1903 als Sohn des Münchener Professors für Geopolitik Karl Haushofer, war seit 1933 Dozent und Leiter des geopolitischen Seminars an der Berliner Hochschule für Politik.
Durch den mit seiner Familie freundschaftlich verbundenen Rudolf Heß stand er in Beziehungen zu dem Kreis führender Parteimänner und zu Hitler selbst.
Als er einsah, wie vergeblich seine Versuche waren, den Kurs der deutschen Politik auf die Bahn der Besonnenheit zurück-zulenken, näherte er sich der Widerstandsbewegung, der er durch Popitz, Beck, von Hassell, Jessen und andere verbunden war.
Der 20. Juli fand ihn unter den Eingeweihten und Beteiligten. Am 7. Dezember 1944 verhaftete die Gestapo den Gejagten in seinem Alpenversteck und am 23. April 1945 wurde er mit anderen politischen Gefangenen auf dem Trümmergelände von Moabit ermordet.
In der Hand des Toten fand man ein Heft mit Gedichten, die „Moabiter Sonette".





 




In Fesseln

Für den, der nächtlich in ihr schlafen soll,
so kahl die Zelle schien, so reich an Leben
sind ihre Wände. Schuld und Schicksal weben
mit grauen Schleiern ihr Gewölbe voll.

Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt,
ist unter Mauerwerk und Eisengittern
ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern,
das andrer Seelen tiefe Not enthüllt.

Ich bin der erste nicht in diesem Raum,
in dessen Handgelenk die Fessel schneidet,
an dessen Gram sich fremder Wille weidet.

Der Schlaf wird Wachen wie das Wachen Traum,
Indem ich lausche, spür ich durch die Wände
das Beben vieler brüderlicher Hände.

Rundmarsch der Gefangenen


In Moskau hab ich einst ein Bild gesehn.
Van Gogh der Meister. Dunkler Quadern Bau.
Ein Innenhof. Gefangene grau in grau,
die hoffnungslos in engen Kreisen gehn.

Nun schau ich selber durch die Gitterstäbe
in einen Hof, darin man Menschen treibt
wie Herdenvieh, das noch zu hüten bleibt,
bevor man ihm das Beil zu spüren gebe.

Als Herrscher aller dieser grauen Bahnen
steht einer draußen, den die Lust erfüllt,
wenn andre leiden. Einer, der noch brüllt,

wenn andre schweigend schon die Wandlung ahnen,
die aus den Gräbern sprossend längst beginnt,
bevor sie rot in rote Ströme rinnt.

Gefährten

Als ich in dumpfes Träumen heut versank,
sah ich die ganze Schar vorüberziehn:
Die Yorck und Moltke, Schulenburg, Schwerin,
Die Hassell, Popitz, Helfferich und Planck —

nicht einer, der des eignen Vorteils dachte,
nicht einer, der gefühlter Pflichten bar,
in Glanz und Macht, in tödlicher Gefahr,
nicht um des Volkes Leben sorgend wachte.

Den Weggefährten gilt ein langer Blick:
Sie hatten alle Geist und Rang und Namen,
die gleichen Ziels in diese Zellen kamen —

und ihrer aller wartete der Strick.
Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt.
dann sind's die besten Köpfe, die man henkt.



An der Schwelle

Die Mittel, die aus diesem Dasein führen,
ich habe sie geprüft mit Aug und Hand.
Ein jäher Schlag — und keine Kerkerwand
ist mächtig, meine Seele zu berühren.

Bevor der Posten, der die Tür bewacht,
den dicken Klotz von Eisen sich erschlösse,
ein jäher Schlag — und meine Seele schösse
hinaus ins Licht — hinaus in ferne Nacht.

Was andere hält an Glauben, Wünschen, Hoffen,
ist mir erloschen. Wie ein Schattenspiel
scheint mir das Leben, sinnlos ohne Ziel.

Was hält mich noch — die Schwelle steht mir offen.
Es ist uns nicht erlaubt, uns fortzustehlen,
mag uns ein Gott, mag uns ein Teufel quälen.

Qui Resurrexit

In tausend Bildern hab ich Ihn gesehn.
Als Weltenrichter, zornig und erhaben,
als Dorngekrönten, als Madonnenknaben, -
doch keines wollte ganz in mir bestehn.

Jetzt fühl' ich, daß nur eines gültig ist:
Wie sich dem Meister Mathis Er gezeigt —
doch nicht der Fahle, der zum Tod sich neigt -
der Lichtumflossne: dieser ist der Christ.

Nicht Menschenkunst allein hat so gemalt:
Dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend,
das Haupt mit goldnem Leuchten rings umwebend.

Von allen Farben geisterhaft umstrahlt,
noch immer Wesen, dennoch grenzenlos,
fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß.


 


. . . Inzwischen geht unser eigenes bitteres Stück Weltgeschichte und Weltgericht weiter. Worte darüber sind sinnlos. Halten wir uns gefaßt auf vieles und hoffen wir, daß uns der Sinn noch als Lebenden verständlich werde. . .

Aus einem Brief (1942?) an den Dramaturgen Kenter

Nicht jedes Leben bedarf zu seiner Vollendung einer Dauer von vielen Jahrzehnten. Gerade Menschen von besonderer Leuchtkraft leben schnell und verzehren sich, indem sie leuchten. In ihnen wirkt in besonderem Maße jenes wunderbare Gleichgerichtete von Körper und Seele, das wir nicht erklären, das wir nur in seiner Vollendung verehren können. Wenn diese Menschen sich wandeln, so bedeutet es mehr als bei anderen die Wandlung einer Ganzheit; so sind sie mehr als andere mitten im Leben immer wieder auch der größten Wandlung nahe.

Aus einem Gespräch mit Rainer Hildebrandt.





Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 

 


 

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