HEINTSCHEL
- HEINEGG HANSGEORG VON
unbekannt - 1945
Dichter
Unter den Führern des
österreichischen Widerstandes, der sich im Jahre 1939 zu einer
einheitlichen Organisation zusammenschloß, ragt der jugendliche Dichter
Hansgeorg H e in t s c h e l - H e i n e g g hervor. Zusammen mit seinen
Freunden wurde er im Sommer 1940 von der Gestapo verhaftet und starb am 6.
Dezember 1944 im Wiener Landesgericht unter dem Fallbeil. In den Leiden
der Haftzeit läuterte er sich zu einem Märtyrer in dem alt-christlichen
Sinne des Wortes : zu einem begnadeten Zeugen und Verkünder Christi. Diese
Entwicklung spiegelt sich in seinen im Kerker verfaßten Dichtungen. Mit
dem Herannahen des Todesjahres tritt sein dichterisches Wort immer
deutlicher in den Dienst eines Gründungsplans, den er schließlich in der
Todeszelle des Wiener Gefängnisses in Gemeinschaft mit gleichgesinnten
Zellengefährten verwirklicht. Er stiftet den Ritterorden vom Heiligen
Geist, der es sich zur Aufgabe setzt, das verweltliche Abendland dem
Christentum wieder zu erobern.
So steh vor deiner gnade
ich Sünder schwer und stumm
und sanftens wird gerade
was ich begann so krumm.
mein haus hat wieder mauern
mein weg hat wieder sinn
ich will ihn überdauern
wenn ich dann bei dir bin.
o Heiland eine liebe
durchzieht mich wie ein schmerz
sie überliebt die triebe
sie überfüllt mein herz
sie reißt die schwachen selten
aus weltverhangensein
in wunderbare weiten
und heilig einsamsein
du faßt mich an der seele
du rufst mich in dein reich
die himmlischen choräle
begleiten mich so weich
doch auch mit schwert und fahne
folgt dir mein schwacher schritt
nach ewiglichem plane
ich fall und siege mit
Abschied vom Jünglingstraum
Es kommen wieder helle Nächte; Stunden,
in denen lang Vergangenes entsteht.
Die Ruhe,' ja, ich habe sie gefunden,
ich habe doch so viel um sie gefleht.
Dies ist mein Pfad, Gott hat ihn wohl gerichtet;
ich gehe ihn, wenn auch Gestrüpp mich reißt.
Doch da sind sanfte Plätze ausgelichtet,
Darin mich eine Bank verweilen heißt.
Ein Waldessaum, von dort bin ich gekommen,
ein Stein, vom nahen Blütenduft umhellt.
Schon bin ich ganz aus solcher Welt genommen
Und in ein herbes Ackerland gestellt.
Von jenem Strauch nur laßt mich eine Blüte
zu friedlichem Gedenken lösen. Dort
hängt noch ein Saum von altem Frohgemüte;
bald war auch er aus meinen Augen fort.
Ihr andern, blühet zu! Bald tragt ihr Beeren,
dann bin ich weit und sehe euch nicht mehr.
Mit holder Frucht mögt ihr die Welt bescheren —!
Ich hab mein Angebind. Das ist genug Gewähr.
Strafgefängnis Anrath bei Krefeld (Rheinland) Vigil von Fronleichnam, 3.
Juni 1943.
Es ist kein Thron so nah an uns gerückt
als der der Liebe. Aller Menschen Sorgen
gehn hier zur Ruh. Gesegnet, wem genügt,
zu wissen, daß er ewiglich geborgen.
In stiller Demut schweigt mein preisend Wort:
Denn Stille ziemt, wem Gott das Herz entbrennt.
In ferner Sehnsucht nach dem heiligen Ort
Ruft mich die Andacht hin zum Sakrament,
Krefeld, Fronleichnam, 4. Juni 1942.
Der Abschiedsbrief
4. November 1944
Mein lieber Uegi!
Nun kann ich Dir nicht mehr auf dem gewöhnlichen Wege schreiben, da die
Einsperrungsmaßnahmen auch mich betreffen, doch hoffe ich sehr, daß auch
dieser Brief Dich in absehbarer Zeit erreichen und erfreuen wird. Denn
gerade jetzt will ich Dir ein paar Zeilen senden, jetzt, da ich Dich in
gefährlichen Kämpfen weiß, in denen es auch für Dich mehr denn je gilt,
Dich vor dem Tode zu bewähren. Das will ich sagen, alles Nichtwesentliche
an uns muß zerfallen wie Asche im Feuerofen, damit das reine Gold unseres
geläuterten Wesens im Lichte der Gnade erstrahle. Der Herr hält Dich in
Seiner Hand, so wisse denn, lieber Freund, daß Du auch dem Herrn gehörst,
ob Du nun stürbest oder lebest.
Und wer stirbt nicht von uns, um hernach um so viel mehr zu leben? Sei
versichert, daß ich stets und täglich für Dich bete, und daß ich Gott
bitte, Er möge Dich erhalten nicht für diese Welt und ihre Götter, sondern
für Sein Reich in dieser Welt. Das soll nicht sagen, daß ich Dir einen
evangelischen Stand aufdrängen will, für den Du vielleicht gar nicht
berufen bist — nein! Aber wir alle sind mit Paulus der Gewalt der
Finsternisse entrissen und in das lichte Reich Seines geliebten Sohnes
hineinversetzt, „und so sind wir alle, alle aufgebaut zu einem königlichen
Priestertum"; ein jeder, auf den der Heilige Geist herabgekommen ist im
Hauche, ist Mitträger und Mitkämpfer des Reiches, ist ein Ritter Christi,
des Königs.
Wir stehen im Kampf mit dem wehrhaften Teufel, den es wirklich gibt, und
den nicht die Pfaffen erfunden haben; wir kämpfen auf vielen
Schlachtfeldern, in uns selbst vor allem, in unserer Umwelt und auf dem
ganzen Erdkreis. Auch Dir, mein liebster Freund, soll noch ein Platz
aufbehalten sein in diesem Streite, zu dem jener, den Du jetzt führst, nur
ein ganz äußerliches Sinnbild ist und eine sehr kräftige Anschulung,
Stärkung und Abhärtung für den inneren Kampf, den geistigen Streit um
Christus und Sein Reich, der ja der eigentliche, letztlich gültige Kampf
des Menschen ist und bleibt.
Demnach wird sich Dir der Herr in tiefen Geheimnissen und schlichten
Geschehnissen offenbaren, auch jetzt schon in dieser rauhen Kriegszeit, um
hinzuweisen und vorzubereiten auf das große Ringen der Liebe, der
göttlichen Liebe nämlich, zu den Menschen. Unsere Stellung in diesem
Ringen ist das letztlich Entscheidende. So wünsche ich sehr, daß auch Du
hierin klar sehen mögest und in allen Dingen den Atem der Vergänglichkeit
erkennen und den Hauch des unaussprechlichen Anrufs empfangen mögest. Denn
wenn wir reifen, so reifen wir nur durch das brennende Leben und reifen
nicht zur Klarheit einer irdischen Abklärung (das wäre nämlich im Tiefsten
ein heidnischer Wunsch: nach dem ruhigen Glück auf dieser Welt), sondern
zum noch besseren Bestehen in einem noch härteren Kampf!
Denn die Ruhe des Christen beginnt erst im Tode, aber sie beginnt nicht
mit dein heidnischen Schlaf und der stummen Nacht, die etwa folgt, sondern
mit der unaussprechlichen Seligkeit des höchsten Lebens, welchen zugleich
höchste Wachheit, höchste Tätigkeit, höchste Intensität, wie auch tiefste
Ruhe, tiefster Friede und tiefste Geborgenheit ist. Hier auf Erden gibt es
für den Christen kein „bürgerliches Glück außer dem der relativen
Kampfpause und jener Stunden der stillen Einkehr (die freilich ganz
integral notwendig sind) und friedvoller Sammlung, in denen wir aus allen
Heiligen Quellen Gottes (aus den Offenbarungen der Natur, der Kunst, des
Menschlichen, der Propheten und zuletzt des „geliebten Sohnes", unseres
Herrn) schöpfen, und in denen wir schöpfen für den Endkampf, in welchem
uns der Herr verschwenden und verausgaben kann für die Ehre Seines
heiligen Namens.
Alles, was wir vom Unsrigen geben, kehrt hundertfach in uns zurück; und
das ist das Insignium der wahren Liebe, daß sie, je mehr sie sich mitteilt
und ausgibt, desto mehr auswüchst und sammelt aus unergründlichem
Gnadenborn. So denke auch, lieber Uegi, wenn Du manchmal behauptest, ich
stünde, im Gegensatz zu Dir, schon über den Dingen und sei abgeklärter und
ausgeglichener, an das hier Gesagte. Denn selbst wenn es so wäre, wie Du
sagst, so bin ich dann vielleicht in einer anderen Ebene um so schwerere
Kämpfe eingegangen, um so größeres Ringen hält mich vielleicht im Bann;
denn auf jeder Stufe hebt eine neue Schlacht an, in die wir mit neuen
Waffen antreten, und je höher wir steigen, desto größer wird unsere
Verantwortung, desto erbitterter der böse Feind, der ja nicht von ungefähr
gerade den Heiligen viel schrecklicher zusetzt als den gewöhnlichen
Christen; ja, schon der einfache Christ ist ein rotes Tuch für den Teufel,
er reizt ihn zum Angriff.
Und wieviel mehr ist jede Stufe einer errungenen Vollkommenheit zugleich
Gegenstand eines satanischen Hasses, unaufhörlicher Angriffe (von innen
vielleicht mehr als von außen), umlauert von zahllosen neuen Abgründen,
die sich erst von der Höhe aus auftun. Das Tröstliche aber an dieser
strengen Voraussicht ist zweierlei: einmal daß, je höher wir steigen, und
je schwerer wir kämpfen, wir um so mehr Anteil an Werk und Kampf Jesu
Christi haben, dem der Teufel in allen Gestalten zu begegnen versuchte
(Wüste, Dämonenaustreibungen, Judas, Golgatha), und daß wir so mit ihm
leidend (was ja auch kämpfend ist) und streitend obsiegen. Zum zweiten,
daß wir, je höher wir steigen, und je schwerer wir kämpfen, um so mehr
Gnade, Licht, Erleuchtung und Stärkung und Verheißung auf uns herabziehen,
ja herabreißen, und zwar gerade Kreuzgnade und Pfingstgnade, also Gnade
vom Leiden des Erlösens und vom Kampfe des Vollendens. „Herabreißen", sage
ich.
„Denn seit den Tagen des Täufers leidet das Himmelreich Gewalt, und nur
die Gewalt brauchen, reißen es an sich", sagt der Herr! So führt aller
Kampf dann doch zu größerer Seligkeit, zum Mehr an Liebe, aus dem Mehr an
Leid und zwar zur ewigen Vollendung...
Am Fest des hl. Martin, 11. November 1944
Verzeih mir, aber erst heute lassen es die Umstände zu, daß ich diesen
Brief fortführe, die vergangene Woche hat allerlei Aufregungen und
Störungen gebracht. So haben wieder einige von uns die dunkle Pforte des
Todes überschritten, in jener klaren Wachheit und harten Bewußtheit, die
so ganz entgegengesetzt zum Schlafe ist, welchen man fälschlich des Todes
Bruder genannt hat — in jener überwachen Bewußtheit, die wohl nur diesem
Tode eigen ist. Außerdem hat letzten Sonntag, bei einem Angriff von über
tausend Flugzeugen auf unsere Stadt, eine Sprengbombe in einen Trakt
unseres Hauses (in dem ich jetzt wohne) eingeschlagen und daher allerhand
Unruhe im Gefolge gehabt. Aber jetzt habe ich doch noch eine
verhältnismäßig stille Stunde des späten Abends gefunden, in der ich Deine
Zeilen wieder vor mich hinlegen kann und, auf meinem dürftigen Lager
hingestreckt, Dir noch einmal ein Wort meiner Treue dazuschreiben will.
Ich sehne mich aus tiefstem Herzen nach einer großen Aussprache mit Dir;
denn sicher haben wir beide einander viel zu geben aus den inneren und
äußeren Erfahrungen des Lichtes und der Finsternis. Soweit ich noch im
Stande bin (mein Gedächtnis, mein Herz und meine Nervenkraft sind schon
schwer beeinträchtigt), widme ich auch einige Zeit dem Studium solcher
Bücher, deren Geist auch hier und heute gültigen Bestand hat; jetzt habe
ich z. B. Guardinis Untersuchungen über Pascal und als leichtere Lektüre
Fromentins „Alte Meister" hier, die ich mir von daheim kommen lassen
konnte. Die eigene künstlerische Tätigkeit ruht seit einem Jahr. Das
Schicksal ist so groß, wie es von Gottes Händen auf mich niederströmt, daß
ich gleich einem Brunnenbecken nur empfange, aufrausche oder spiegele,
wenn die stillen Sterne scheinen. Wer so viel hört, muß schweigen.
Du hast Deine Habe verloren, sicher hast Du diesen Verlust als Anruf
empfangen und als Prüfung getragen. Vielleicht bist Du nun freier geworden
und auch durch ein Tor geschritten, bist in eine neue Daseinsebene
getaucht, vor der die alte nicht mehr Bestand hat. Auch ich habe ja 1940
einen nicht unwesentlichen Teil meiner Manuskripte aus den Jahren 1938 bis
1940 eingebüßt. Wir müssen eben verlieren, um frei zu sein für das
unsäglich Größere, das wir gewinnen sollen .. . Es freut mich, daß Du in
harten Tagen die Nähe des Lebendigen Gottes so tröstlich gespürt hast. Er
ist der Große, der allein Preiswürdige, in Ihm leben wir, weben wir, sind
wir. Keine Stunde, da Er nicht bei uns wäre. Immer ist Er uns nahe, nur
wir sind es, die wir uns ferne rücken, am das „geschaffene Licht zu
lieben" (wie Silesius sagt), bis dann und wann die Stunde der Gnade kommt,
in der aus Leid und Läuterung ein Strahl uns trifft des ungeschaffenen
Lichtes —: Ich bin, der ich bin. Weißt Du übrigens, daß ich seit Ostern
das Brevier bete? Ein Stimmlein mehr im großen mystischen Chor der
Ecclesia. Wie schön ist das! Mein lieber Freund, was soll ich Dir noch von
Herzen sagen? Die großen Dinge sind so einfach, daß, wollte ich Dir
Ratschläge geben, sie wie Gemeinplätze dastehen müßten. Es ist ja alles so
schlicht, was wahr ist. Und kann man denn Besseres raten als etwa: Lerne
leiden mit Christo! —? Oder: weihe Dich dem heiligsten Herzen Jesu! Man
liest über so vieles hinweg, über allzu Vertrautes und allzu Schlichtes.
Aber denk einmal nach: Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein, könnt ihr
in das Reich Gottes nicht eingehen. Mensch sein, heißt von Gott sein;
Christ sein, für Gott sein. So lasse uns denn ganz von vorne beginnen: Mit
Ihm. Ich bete sicher viel für Dich, mein lieber Uegi, und habe auch die
heilige Kommunion kürzlich für Dich aufgeopfert. Der Herr wird Dir immer
die Gnade geben, deren Du bedarfst, um an Ihn zu glauben, um auf Ihn zu
hoffen, um Ihn zu lieben; Er wird Dir immer die Kraft geben, deren Du
bedarfst, um durch alles Leid Dein Kreuz zu tragen; Er wird Dir immer
Seinen Beistand geben im Kampfe mit den Dämonen in Dir und um Dich; Er
wird Dich immer anrufen als Sein liebes Kind, wenn Du nur horchst. Alles
andere liegt bei Dir. Kein Mensch wird über seine Kräfte geprüft. Verzage
nicht, wenn auch allen dunkel ist. Allemal leuchtet uns ein Stern, und
allemal führt er uns zur Krippe, in der Gott Mensch geworden ist, damit
der Mensch Gott werde (Augustinus). Was liegt daran, wie hart der Weg sein
mag? Das ist Pilgerlos. Wie sagt doch die große Annette von
Droste-Hülshoff:
Ich bitte nicht um Glück der Erden,
Nur um ein Leuchten dann und wann,
Wo sichtbar Deine Hände werden,
Ich Deine Liebe ahnen kann;
Nur in des Lebens Kümmernissen
Um der Ergebung Gnadengruß:
Dann wirst Du schon am besten wissen,
Wieviel ich tragen kann und muß.
Schreite nur mutig voran, mein lieber Freund, es werden die stillen
Stunden kommen.
Allen Lärm lasse an Dir abprallen, alles Leid lasse an Dir bauen.
Um das Urteil der Menschen sei nicht besorgt. Auch ich habe wenig Ehre von
ihnen; auch ich habe in diesem Jahr viele Freunde verloren, oft auf gar
tragische Weise. Aber ich weiß, daß die Trennung nicht auf ewig gilt; es
gibt ein Wiedersehen, ein Wiedersehen in der ewigen Heimat, die Gott denen
bereitet hat, die Ihn lieben.
„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis". Sprich, vergeh, und blick
empor zu den Sternen, die in stummer Weisheit wandern. Was ist wert, daß
wir es lieben?
Du, o Gott, allein. Was ist wert, daß wir es suchen, um es nie mehr zu
lassen? Du, o Gott, allein. Was ist wert, daß wir es nie mehr lassen?
Du, mein Herr, Du allein. Und in Dir finden wir alles wieder und alles
erneut: einen neuen Himmel und eine neue Erde, alle gute Menschen und
jegliche Herrlichkeit in tausendfacher Süße. Hier sind wir Abglanz, dort
Glanz.
Vor der Melodie eines unsagbar zärtlichen Liedes wollen wir uns
emporschwingen zu den nie verhallenden Chören der seligen Geister vor dem
Lamme, die da vollendet sind im Herrn. In Ihm segnet und umarmt Dich Dein
Hannageorg
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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