Professor für
Philosophie und Psychologie. - Kurt Huber, geboren am 24. Oktober 1893 in
Chur/Graubünden, lehrte seit 1926 an der Universität München. Ihm, dem
begeisterten und fesselnden Lehrer, war es unmöglich, seinen tiefen
Abscheu vor dem Nationalsozialismus zu verbergen. Er wurde zum Mittelpunkt
und Berater jener Gruppe von Studenten, die durch Flugblätter zum
Widerstand gegen das Regime aufriefen und deren Namen - vor allem Probst,
Schmorell, Geschwister Scholl, Graf - zusammen mit dem von Huber im
Gedächtnis bleiben werden. Nach dem Abwurf von Flugblättern im Lichthof
der Münchner Universität durch die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943
griff die Gestapo zu. Am 20. April wurde Huber zum Tode verurteilt.
Forschend, meditierend und betend wartete er auf die Vollstreckung, die am
13. Juli erfolgte.
Schlußwort des Angeklagten
Als deutscher Staatsbürger, als deutscher Hochschullehrer und als
politischer Mensch erachte ich es als Recht nicht nur, sondern als
sittliche Pflicht, an der Gestaltung der deutschen Geschichte
mitzuarbeiten, offenkundige Schäden aufzudecken und zu bekämpfen...
Was ich bezweckte, war die Weckung der studentischen Kreise nicht durch
eine Organisation, sondern durch das schlichte Wort, nicht zu irgendeinem
Akt der Gewalt, sondern zur sittlichen Einsicht in bestehende schwere
Schäden des politischen Lebens. Rückkehr zu klaren sittlichen Grundsätzen,
zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch, das ist
nicht illegal, sondern umgekehrt die Wiederherstellung der Legalität.
Ich habe mich im Sinne von Kants kategorischem Imperativ gefragt, was
geschähe, wenn diese subjektive Maxime meines Handelns ein allgemeines
Gesetz würde.
Darauf kann es nur eine Antwort geben: Dann würde Ordnung, Sicherheit,
Vertrauen in unser Staatswesen zurückkehren. Jeder sittlich
Verantwortliche würde mit uns seine Stimme erheben gegen die drohende
Herrschaft der bloßen Macht über das Recht, der bloßen Willkür über den
Willen des sittlich Guten. Die Forderung der freien Selbstbestimmung auch
des kleinsten Volksteils ist in ganz Europa vergewaltigt, nicht minder die
Forderung der Wahrung der rassischen und völkischen Eigenart. Die
grundlegende Forderung wahrer Volksgemeinschaft ist durch die
systematische Untergrabung des Vertrauens von Mensch zu Mensch zunichte
gemacht. Es gibt kein furchtbareres Urteil über eine Volksgemeinschaft als
das Eingeständnis, das wir alle machen müssen, daß keiner sich vor seinem
Nachbarn, der Vater nicht mehr vor seinen Söhnen sicher fühlt. Das war es,
was ich wollte, mußte. Es gibt für alle äußere Legalität eine letzte
Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird.
Dann nämlich, wenn sie zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht
getraut, gegen offenkundige Rechtsverletzung aufzutreten.
Ein Staat, der jegliche freie Meinungsäußerung unterbindet und jede
sittlich berechtigte Kritik, jeden Verbesserungsvorschlag als
»Vorbereitung zum Hochverrat« unter die furchtbarsten Strafen stellt,
bricht ein ungeschriebenes Recht, das »im gesunden Volksempfinden« noch
immer lebendig war und lebendig bleiben muß.
Ich habe das eine Ziel erreicht, diese Warnung und Mahnung nicht in einem
privaten, kleinen Diskutierklub sondern an verantwortlicher, an höchster
richterlicher Stelle vorzubringen. Ich setze für diese Mahnung, für diese
beschwörende Bitte zur Rückkehr, mein Leben ein.
Ich fordere die Freiheit für unser deutsches Volk zurück.
Wir wollen nicht an Sklavenketten unser kurzes Leben dahinfristen, und
wären es goldene Ketten eines materiellen Überflusses. Sie haben mir den
Rang und die Rechte des Professors und den «summa cum laude» erarbeiteten
Doktorhut genommen und mich dem niedrigsten Verbrecher gleichgestellt.
Die innere Würde des Hochschullehrers, des offenen, mutigen Bekenners
seiner Welt- und Staatsanschauung, kann mir kein Hochverratsverfahren
rauben. Mein Handeln und Wollen wird der eherne Gang der Geschichte
rechtfertigen; darauf vertraue ich felsenfest.
Ich hoffe zu Gott, daß die geistigen Kräfte, die es rechtfertigen,
rechtzeitig aus meinem eigenen Volke sich entbinden mögen. Ich habe
gehandelt, wie ich aus einer inneren Stimme heraus handeln mußte. Ich
nehme die Folgen auf mich nach dem schönen Wort Johann Gottlieb Fichtes:
Und handeln sollst du so,
Als hinge von dir und deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Dinge,
und die Verantwortung wäre dein.
Abschiedsbrief an die Seinen
13. Juli 1943
Mitten in der Arbeit für Euch hat mich heute die Nachricht ereilt, die ich
längst erwartete.
Liebste! Freut Euch mit mir! Ich darf für mein Vaterland, für ein
gerechtes und schöneres Vaterland, das bestimmt aus diesem Krieg
hervorgehen wird (das Wort »sterben« vergaß er oder wollte es nicht
schreiben)... Ich bin bei Dir und den geliebten Kinderlein alle Tage, bis
Ihr mir dahin nachfolgt, wo es keine Trennung mehr gibt.
In Deine liebe, sorgende Hand lege ich das Schicksal und die Erziehung
unserer geliebten Kinder. Ich weiß, daß sie an den Vater denken und ihrer
geliebten Mami alle Freude machen werden, die sie ihr an den Augen absehen
können. Geliebte Clara!
Denke an die herrlichen Stunden, an unser Zusammensein mit den Kinderlein
und vergiß alles Leid! Stell Dich mit den Kinderlein unter das Kreuz,
alles andere wird Euch hundert- und tausendfach werden. Und seid stolz,
daß Ihr Euren Anteil tragt im Kampf um ein neues Deutschland!
Ihr seid Helden wie die Frauen und Kinder, die den Vater an
der Front verloren. - Du hast mir, geliebte Clara, in diesen schweren
Monaten so unendlich viel Liebe erwiesen und mir die Leidenszeit so
verschönt, daß ich nicht weiß, wie ich Dir danken kann.
Wenn ich nicht wüßte, daß ich Dir drüben in einem besseren Jenseits zur
Seite stehen darf, wäre ich ein Bettler. So aber bleibe ich Dir ewig
verbunden.
Liebste Birgit! Dein Lebensweg ist ernst und dunkel im Anfang, aber hell
in der Zukunft. Ich weiß, Du bleibst der Mutter Stütze und rechte Hand.
Dein Vater vergißt Dich nicht und betet für Euch.
Der liebe Gott hat Dir reiche Gaben geschenkt.
Nütze sie, freue Dich an Musik und Dichtung und bleibe weiter der liebe,
gute Engel, der Du uns warst Liebster tapferer kleiner Wolfi!
Vor Dir liegt noch das ganze schöne Leben offen. Du wirst ein braver Bub
und ein tüchtiger Mann, Mutters Beschützer und Stolz! Und denke immer,
wenn es Dir einmal schwer wird im Leben, an den Vadder, der für seinen
lieben Buben weiter sorgt.
Ihr Liebsten! weint nicht um mich - ich bin glücklich und geborgen. Die
Alpenrosen, Euer letzter lieber Gruß aus den geliebten Bergen, stehen
verblüht vor mir. Ich gehe in zwei Stunden in die wahre Bergfreiheit ein,
um die ich ein Leben gekämpft habe. Geliebte!
Noch eine kleine Stunde! Mein letzter Wunsch!
Herr, o Herr, ich bin bereit, Reis' an Deiner Freundeshand Fröhlich in die
Ewigkeit!
Segne unser deutsches Land, Segne Frau und Kinder mein, Tröste sie in
aller Pein, Schenk den Liebsten Du hienieden Deiner Liebe Gottesfrieden!
Es segne Euch der allmächtige Gott und nehme Euch in seinen Schutz! Euer
Euch liebender Vater
Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider