Mein lieber
Vater!
Sei stark! Ich sterbe, als was ich gelebt habe: als Klassenkämpfer!
Es ist leicht, sich Kommunist zu nennen, solange man nicht dafür zu bluten
hat. Ob man wirklich einer war, beweist man erst, wenn die Stunde der
Bewährung gekommen ist.
Ich bin es, Vater! Ich habe alles getan um mich zu retten, ja, ich habe
meine Vergangenheit in gewisser Weise verleugnet, um mich zu retten und
vor allem auch, um andere nicht in diese Geschichte hineinzuziehen. Es hat
mir zwar nichts genutzt, aber den anderen, für die ich verantwortlich war.
Das ist mir ein Trost.
Ich leide nicht, Vater, glaube mir das! Ich gönne keinem, mich schwach zu
sehen. Anständig aus dem Leben zu gehen, das ist die letzte Aufgabe, die
ich mir gestellt habe. Erweise Dich Deines Sohnes würdig!
Ueberwinde den Schmerz! Du hast noch Deine Aufgabe zu erfüllen. Du hast
sie doppelt und dreifach zu erfüllen, denn Deine Söhne sind nicht mehr.
Armer Vater, aber auch glücklicher Vater, der seiner Idee das Beste opfern
muste, das er zu geben hatte. Der Krieg wird nicht mehr lange dauern — und
dann ist Eure Stunde gekommen!
Denkt an alle, die den Weg schon gegangen sind und ihn noch gehen werden,
den ich heute gehen muss — und lernt eines von den Nazis: jede Schwäche
wird mit Hekatomben von Blut bezahlt werden. Deshalb seid unerbittlich!
Bleibe hart!'
Ich habe nichts zu bereuen im Leben, höchstens, nicht genug getan zu
haben! Mein Tod wird aber wohl auch die versöhnen, die mit mir nicht immer
einverstanden waren! Ach Vater, Vater, Du Lieber, Guter!
Wenn ich nicht fürchten müsste, dass Du unter meinem Tod zusammenbrichst!
Hart bleiben, hart, hart.
Beweise jetzt, dass Du aus innerstem Herzen Dein Leben lang Klassenkämpfer
warst!
Helfe ihm, Frieda, richte ihn auf! Er darf nicht zugrunde gehen! Sein
Leben gehört nicht ihm, sondern der Bewegung! fetzt tausendmal mehr als
bisher. Jetzt muss er beweisen, dass seine Ueberzeugung nicht in einem
romantischen Ideal, sondern in unerbittlicher Notwendigkeit wurzelt!
Sorge für Martha! Sie ist Eure Tochter. Sie wird es Euch leichter ertragen
lassen, dass ich nicht mehr bin, Grüsst alle Bekannten und Freunde. Ich
will sie nicht mit Namen nennen. Aber ich drücke noch jedem einzeln in
Gedanken die Hand und danke für alle Liebe und alles Gute.
Ich sterbe leicht, weil ich weiss, warum ich sterben muss. Die mich töten,
werden in nicht so langer Zeit einen schwereren Tod haben.
Das ist meine Ueberzeugung. Hart bleiben, Vetter! Hart! Nicht nachgeben!
Denke in jeder schwachen Stunde an diese letzte Forderung Deines Sohnes
Walter
" Und die Flamme soll euch nicht versengen" / 1955 Steinberg Verlag Zürich
1955