Michael Kitzelmann,
geboren als Bauernsohn am 29. Januar 1916 in Korben bei Brugg im Allgäu,
studierte drei Semester Theologie und erfüllte im Anschluß daran seine
Militärdienst-Pflicht, die ihn nach Polen und Rußland führte.
Am 3. April 1942 wurde er vor dem Kriegsgericht wegen Zersetzung der
Wehrkraft zum Tode verurteilt - „Wenn diese Verbrecher siegen mag ich
nicht mehr leben" - und am 11. Juni 1942 in Orel hingerichtet.
Tagebuchnotizen aus der Haftzeit
11. April 1942
... Finsternis und Grauen umnachten meine Seele. Stille, unerträglich
still ist es um mich. Hilflos bin ich mir selbst überlassen. Zum Tode
verurteilt ! -
Wer vermöchte meine Seelenqualen zu ermessen? Wie furchtbare Gespenster
verfolgen sie mich Tag und Nacht.
Und dabei diese entsetzliche Verlassenheit, dieses Eingesperrtsein, diese
erdrückende Stille.
Stundenlang schreite ich in der Zelle umher, um meine Schritte zu hören;
ich heize den Ofen, nur um das Knistern des Feuers zu hören; ich fange an
laut zu beten, um meine eigene Stimme zu vernehmen.
Und ich schreie empor zum Himmel, zu Gott um Hilfe in meiner gewaltigen
Seelennot . . .
Von unbeschreiblichem Heimweh ist mein Herz zerwühlt, dieses Weh
übersteigt alle anderen Kümmernisse.
Die ferne, schöne Heimat; nie wirst du sie wiedersehen, das Elternhaus,
den Garten davor, die vielen Obstbäume, die grünen Wiesen und die
rauschenden Wälder rundum, das stille Pfarrkirchlein im Argental, den
Kranz der nahen Berge.
Ein Gottesgarten, ein halber Himmel bist du auf dieser leidvollen Welt.
Welch namenloses Leid habe ich durch mein Ungeschick über Euch alle, Ihr
Lieben, bringen müssen. Der größte Schmerz für ein Menschenherz ist es,
der Liebe weh tun zu müssen . . .
In flehentlichem Gebet wende ich mich an Jesus den Gekreuzigten, der uns
den Weg durch bitteres Leid vorangegangen ist.
Er aber spricht zu mir: „Wenn du mein Jünger sein willst, so nimm dein
Kreuz und folge mir!"
Und wieder rufe ich ihn an: „Herr, ich bin noch so jung, zu jung für ein
solch schweres Kreuz, mein Leben ist noch ungelebt, all meine Hoffnungen,
Ziele, Pläne unerfüllt." Er sagt zu mir: „Sieh' an, auch ich war jung,
hatte das Leben noch vor mir und jung habe ich mein Kreuz getragen und
mein junges Leben hingegeben."
Abermals klagt meine Seele: „Sieh an mein bitteres Heimweh, das Leid der
Meinen. Laß mich zum Leben zurückkehren und laß mich ihrer Liebe nicht weh
tun." Jesus entgegnet mir: „Wenn du nicht aller Habe, aller irdischen
Liebe entsagst, kannst du nicht mein Jünger sein. Folge mir!" Wieder
beginnt meine Seele zu klagen: „Ach, Herr, zu schwer lastet die Drangsal
auf meiner Schulter; nimm weg von mir das schreckliche Joch; kürze ab mein
Leid und trockne meine Tränen!"
Voll Liebe spricht Sein Mund: „Mein Sohn, nur Mut, verzage nicht! So
schwer habe ich gelitten für euch Menschen, auch für dich, hab euch den
Himmel aufgeschlossen. Und ich bleibe bei euch bis an das Ende."
Ich antworte: „Hab tausend Dank für Deine allerbarmende Liebe, mein
Erlöser! Ich will Dein Jünger sein und Dein Kreuz Dir nachtragen. So nimm
Du meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich . .."
Die schwersten Stunden, das sind die frühen Morgenstunden. Bei jedem
Erwachen fällt die Furchtbarkeit meines Schicksals wie ein zermalmender
Felsblock auf meine Seele. Todesbangen erfüllt mein Herz; wie oft noch
wirst du dich hier hinlegen zur Ruhe?
Wirst du den morgigen Tag erleben?
Es ist mir zumute wie einem Ertrinkenden.
Verzweifelt suche ich nach einem Halt.
Ich klettere förmlich am Kreuz des Heilands empor, um Trost und Kraft zu
erflehen. Ich beginne meine Morgenandacht und verharre solange darin, bis
sich mein Herz wieder beruhigt hat.
24. Mai, Pfingstsonntag
Pfingsten im Gefängnis im Schatten des Todes!
Die leidvollen Stürme in meiner Seele haben sich etwas beruhigt. Die
Pfingstsonne, der göttliche Geist, der Tröster und Seligmacher, leuchtet
auch in meine hoffnungslose Verlassenheit. Und indem ich in und mit der
Heimat die Wiederkunft des Heiligen Geistes feiere, fällt auch in meine
Klause ein Schimmer des heimatlichen Pfingstglanzes.
Und als stünde ich zu Hause in der Schar der Kirchenchorsänger, singe ich
immer wieder das unsterbliche Pfingstlied „Veni creator Spiritus". Ich
weiß mich in Gottes Nähe; da verebben alle menschlichen Nöte und Leiden;
da verliert selbst die schreckliche Maske des Todes ihre Strecken...Mein
Leben ist ganz und gar ein Einsiedlerleben geworden.
Mein Tagewerk ist Gebet, Lesen der Heiligen Schrift und ab und zu Tagebuch
oder Briefschreiben. Schmerzlich ist dieses Sichlostrennen vom Leben, von
der Vergangenheit, von allen Unten Hoffnungen und Plänen und besonders von
der Heimat.
So schwer ist es, in solcher Trübsal sich ganz in Gottes Willen zu
versenken; aber es ist der einzige bleibende Trost und Halt, in solchem
Unglück und Leid aufrecht auszuharren bis ans Ende . . .
Am 11. Juni 1942 wird mir mitgeteilt, daß mein Gnadengesuch verworfen
wurde und daß die Vollstreckung des Urteils am 12. Juni stattfindet. Herr,
Dein Wille geschehe. Abends wird mir noch eine große Freude zuteil: Der
liebe Pfarrer Schmitter will die letzten Stunden meines Lebens mit mir
gehen.
Ich lege ihm meine letzten Wünsche und Grüße an die Heimat ans Herz und
bespreche mit ihm den Verlauf der letzten Stunde. Ich werde nochmals eine
Lebensbeichte ablegen.
Dann feiern wir zusammen eine heilige Messe mit Kommunionfeier . . .
Gott hat mir das große Glück einer gnadenvollen Todesstunde bereitet
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider