BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

MICHAEL KITZELMANN
1916 -1942

Student

 






Michael Kitzelmann, geboren als Bauernsohn am 29. Januar 1916 in Korben bei Brugg im Allgäu, studierte drei Semester Theologie und erfüllte im Anschluß daran seine Militärdienst-Pflicht, die ihn nach Polen und Rußland führte.
Am 3. April 1942 wurde er vor dem Kriegsgericht wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt - „Wenn diese Verbrecher siegen mag ich nicht mehr leben" - und am 11. Juni 1942 in Orel hingerichtet.

 

 

Tagebuchnotizen aus der Haftzeit

11. April 1942



... Finsternis und Grauen umnachten meine Seele. Stille, un­erträglich still ist es um mich. Hilflos bin ich mir selbst über­lassen. Zum Tode verurteilt ! -

Wer vermöchte meine Seelenqualen zu ermessen? Wie furchtbare Gespenster verfolgen sie mich Tag und Nacht.
Und dabei diese entsetzliche Verlassenheit, dieses Eingesperrtsein, diese erdrückende Stille.
Stundenlang schreite ich in der Zelle umher, um meine Schritte zu hören; ich heize den Ofen, nur um das Knistern des Feuers zu hören; ich fange an laut zu beten, um meine eigene Stimme zu vernehmen.
Und ich schreie empor zum Himmel, zu Gott um Hilfe in meiner gewaltigen Seelennot . . .

Von unbeschreiblichem Heimweh ist mein Herz zerwühlt, dieses Weh übersteigt alle anderen Kümmernisse.
Die ferne, schöne Heimat; nie wirst du sie wiedersehen, das Elternhaus, den Garten davor, die vielen Obstbäume, die grünen Wiesen und die rauschenden Wälder rundum, das stille Pfarrkirchlein im Argental, den Kranz der nahen Berge.
Ein Gottesgarten, ein halber Himmel bist du auf dieser leidvollen Welt. Welch namenloses Leid habe ich durch mein Ungeschick über Euch alle, Ihr Lieben, bringen müssen. Der größte Schmerz für ein Menschenherz ist es, der Liebe weh tun zu müssen . . .
In flehentlichem Gebet wende ich mich an Jesus den Gekreuzigten, der uns den Weg durch bitteres Leid vorangegangen ist.
Er aber spricht zu mir: „Wenn du mein Jünger sein willst, so nimm dein Kreuz und folge mir!"

Und wieder rufe ich ihn an: „Herr, ich bin noch so jung, zu jung für ein solch schweres Kreuz, mein Leben ist noch ungelebt, all meine Hoffnungen, Ziele, Pläne unerfüllt." Er sagt zu mir: „Sieh' an, auch ich war jung, hatte das Leben noch vor mir und jung habe ich mein Kreuz getragen und mein junges Leben hingegeben."
Abermals klagt meine Seele: „Sieh an mein bitteres Heimweh, das Leid der Meinen. Laß mich zum Leben zurückkehren und laß mich ihrer Liebe nicht weh tun." Jesus entgegnet mir: „Wenn du nicht aller Habe, aller irdischen Liebe entsagst, kannst du nicht mein Jünger sein. Folge mir!" Wieder beginnt meine Seele zu klagen: „Ach, Herr, zu schwer lastet die Drangsal auf meiner Schulter; nimm weg von mir das schreckliche Joch; kürze ab mein Leid und trockne meine Tränen!"
Voll Liebe spricht Sein Mund: „Mein Sohn, nur Mut, verzage nicht! So schwer habe ich gelitten für euch Menschen, auch für dich, hab euch den Himmel aufgeschlossen. Und ich bleibe bei euch bis an das Ende."

Ich antworte: „Hab tausend Dank für Deine allerbarmende Liebe, mein Erlöser! Ich will Dein Jünger sein und Dein Kreuz Dir nachtragen. So nimm Du meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich . .."

Die schwersten Stunden, das sind die frühen Morgenstunden. Bei jedem Erwachen fällt die Furchtbarkeit meines Schicksals wie ein zermalmender Felsblock auf meine Seele. Todesbangen erfüllt mein Herz; wie oft noch wirst du dich hier hinlegen zur Ruhe?
Wirst du den morgigen Tag erleben?
Es ist mir zumute wie einem Ertrinkenden.
Verzweifelt suche ich nach einem Halt.
Ich klettere förmlich am Kreuz des Heilands empor, um Trost und Kraft zu erflehen. Ich beginne meine Morgenandacht und verharre solange darin, bis sich mein Herz wieder beruhigt hat.

24. Mai, Pfingstsonntag

Pfingsten im Gefängnis im Schatten des Todes!

Die leidvollen Stürme in meiner Seele haben sich etwas beruhigt. Die Pfingstsonne, der göttliche Geist, der Tröster und Seligmacher, leuchtet auch in meine hoffnungslose Verlassenheit. Und indem ich in und mit der Heimat die Wiederkunft des Heiligen Geistes feiere, fällt auch in meine Klause ein Schimmer des heimatlichen Pfingstglanzes.
Und als stünde ich zu Hause in der Schar der Kirchenchorsänger, singe ich immer wieder das unsterbliche Pfingstlied „Veni creator Spiritus". Ich weiß mich in Gottes Nähe; da verebben alle menschlichen Nöte und Leiden; da verliert selbst die schreckliche Maske des Todes ihre Strecken...Mein Leben ist ganz und gar ein Einsiedlerleben geworden.
Mein Tagewerk ist Gebet, Lesen der Heiligen Schrift und ab und zu Tagebuch oder Briefschreiben. Schmerzlich ist dieses Sichlostrennen vom Leben, von der Vergangenheit, von allen Unten Hoffnungen und Plänen und besonders von der Heimat.
So schwer ist es, in solcher Trübsal sich ganz in Gottes Willen zu versenken; aber es ist der einzige bleibende Trost und Halt, in solchem Unglück und Leid aufrecht auszuharren bis ans Ende . . .

Am 11. Juni 1942 wird mir mitgeteilt, daß mein Gnadengesuch verworfen wurde und daß die Vollstreckung des Urteils am 12. Juni stattfindet. Herr, Dein Wille geschehe. Abends wird mir noch eine große Freude zuteil: Der liebe Pfarrer Schmitter will die letzten Stunden meines Lebens mit mir gehen.
Ich lege ihm meine letzten Wünsche und Grüße an die Heimat ans Herz und bespreche mit ihm den Verlauf der letzten Stunde. Ich werde nochmals eine Lebensbeichte ablegen.
Dann feiern wir zusammen eine heilige Messe mit Kommunionfeier . . .

Gott hat mir das große Glück einer gnadenvollen Todesstunde bereitet



Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 

 


 

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