Carl Lampert
1894- 1944
DER FALL STETTIN
Am 13. November 1944, um 16 Uhr, wurden im Zuchthaus zu Halle durch das
Fallbeil hingerichtet: der 50jährige Provikar der Diözese Innsbruck,
Prälat Dr. Carl Lampert, der 47jäh-rige Oblatenpater Friedrich Lorenz, der
36jährige Kaplan Herbert Simoleit.
Seit Jahren hatten diese drei Priester, aus verschiedenen Gegenden
Deutschlands stammend und ebenso verschiedenen Bereichen der kirchlichen
Hierarchie angehörend, in Stettin als Priester gewirkt, wo sie im Februar
1943 im Zuge einer groß angelegten Gestapo-Aktion gegen den
mecklenburgisch - pommerschen Klerus verhaftet und nach einer langen
Leidenszeit zum Tode verurteilt worden waren — „nicht weil sie", wie bei
der Hauptverhandlung in Torgau einer der Richter wörtlich erklärte,
„Verbrecher waren, sondern weil ihre Tragik darin bestand, daß sie
katholische Priester waren".
Zwei Stunden vor der Hinrichtung schreibt Prälat Lampert an seinen Bruder:
Nun ist die Stunde gekommen —die so „schreckliche" für Dich und für alle
meine Lieben, die „erlösende" für mich. Der Kreuzweg geht nun zur letzten
Station, Finsternisse sind hereingebrochen, aber der „Tag" dämmert herauf,
auf Dich, o Herr, hoffe ich, alleluja ... Ich kann Dir nichts mehr
schenken als meine Bruderliebe und -sorge übers Grab hinaus; denn die
Liebe stirbt ja nicht, und ich trage sie nun zum Quell aller Liebe, zu
Gott, und dort wird sie nur noch inniger, reiner, fester und hilfreicher .
. . Oh, wie bin ich froh, daß endlich ein Ende kommt von all dem harten
Leid — nun geht's heim — und ich bleib' doch bei Euch. — Nun kam gerade
der höchste Besuch —letzte Kommunion! So trete ich jetzt mein letztes
Opfer an, um 4 Uhr mit dem Confiteor meiner Herzenstreue. Mit dem Christ -
Kyrie- Ruf eines armen Sünders, mit dem letzten „Gloria in excelsis" und
„Credo in unum Deum", mein letztes „suscipe" und „Orate fratres", meine
letzte Anbetung des eucharistischen Heilandes - o wie danke ich Ihm — und
dann jetzt die letzte Kommunion vor der großen endgültigen. So spreche ich
jubelnd mein „ite missa est" „consummatum est" — und segne nochmals alle,
alle, die meinem Herzen nahe durch die Bande des Blutes, der Liebe, des
Berufes und besonders des Leides . . . Nunc dimittis servum tuum . . ,
Magniflcat anima mea!
Simoleits letzter Gruß
Meine geliebten Eltern und Geschwister! Bevor ich mich in die Arme des
gerechten und barmherzigen Gottes werfe, will ich noch einmal hier auf
Erden Euch herzlich umarmen. Verzeiht mir den schweren Schmerz, den ich
Euch antun muß, und, bitte, weint und klagt nicht um mich, denn ich gehe
zum Vater, zu Gott, der meine Jugend erfreut hat ... 22 Monate war ich nun
abgeschlossen von aller Welt, endlich kann ich sagen; „Laqueus contritus
est et nos liberati sumus! — die Schlinge ist zerrissen und wir sind
frei!"
Mein geliebtes Muttchen!
Alles habe ich Dir zu verdanken, alles, was in meinem Leben groß und schön
war! Nun dieser Schmerz. Ich fühle Dich heute den ganzen Tag in meiner
Nähe ... O Mutti, was sind wir doch trotz vieler Not gesegnet gewesen und
glücklich. Jetzt wollen wir vom Vater nehmen, was Er uns auferlegt, das
Kreuz Seines geliebten Sohnes. „Wer mein jünger sein will, der nehme sein
Kreuz auf sich und folge mir nach.
" Das will ich jetzt versuchen, denn die größte Wirksamkeit in der Welt
ist das Leiden. Auf Wiedersehen dort, wo alle Tränen versiegen, auf
Wiedersehen bei unserem himmlischen Vater. Maria, die unter dem Kreuze
ihres Sohnes stand, steht bei mir und hilft meiner Schwachheit . . . Meine
Lieben alle! Ganz weit breite ich meine Hände über Euch alle und sende
Euch aus meinem priesterlichen Amte meinen priesterlichen Segen: „Im Namen
des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen."
In dieser Stunde schließe ich Euch alle, unsere heilige Kirche und mein
geliebtes Vaterland, in meinen Segen ein, daß Frieden und Segen und Glück
überall herrsche. Wie freute ich mich, als man mir sagte: „Jetzt gehen wir
in das Haus des Herrn!" Auf Wiedersehen in Gott! Euer alle herzlich
liebender Sohn und Bruder
Herbert
Mein Testament!
Es geschehe der Wille Gottes. Er wollte, daß ich nicht länger als 48 Jahre
leben, nicht länger als 20 Jahre Priester sein sollte. Ich empfehle meine
Seele der Barmherzigkeit, Güte und Liebe Gottes.
Meinen Leib übergebe ich der Erde, von der er genommen ist. Blut ist
geflossen am Kreuze, Blut fließt auf unsern Altären als Erneuerung des
Kreuzopfers. Mit diesem Blut vereinigt sich mein Tröpflein Blut zur
Anbetung, Ehre und Verherrlichung Gottes, dem ich gedient habe, zum Dank
für alle Gnaden und Wohltaten, die ich empfangen habe, besonders für die
der Geburt, der heiligen Taufe, der ersten heiligen Kommunion, der
Oblation und der heiligen Priesterweihe, zur Sühne für meine Sünden und
die Sünden der ganzen Welt, besonders für jene, die ich nicht verhindert
oder an denen ich gar schuldig bin; zur Bitte um Gnade für mich und alle,
die mir lieb und teuer sind.
Ich sterbe als katholischer Priester und als Oblate der Unbefleckten
Jungfrau Maria, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen!
Gelobt sei Jesus Christus und die Unbefleckte Jungfrau Maria. Amen!
P. Friedrich Lorenz, Halle/Saale,
den 13. November 1944
16 Uhr
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider