Leben ward den
Märtyrern . . . daß sie nicht, das Leben liebend das Leben verleugneten,
und, das Leben verleugnend das Leben verlören. Und so geschah es, daß sie,
die für das Leben die Wahrheit nicht verlassen wollten, durch ihr Sterben
für die Wahrheil lebten.
St. Augustinus in Ps. 118
WO SEINE ZEUGEN STERBEN IST SEIN REICH
Am 10. November 1943 wurden vier Lübecker Geistliche — die drei
katholischen Kapläne Johannes Prassek (geb. 1911 in Hamburg), Hermann
Lange (geb. 1912 zu Leer in Ostfriesland), Eduard Müller (geb. 1911 in
Neumünster) und der evangelisch-lutherische Pastor Karl Friedrich
Stellbrink (geb. 1894 in Münster] - in Hamburg durch das Fallbeil
hingerichtet. Sie hatten den Brand von Lübeck von der Kanzel her als
Gottesgericht bezeichnet.
Hermann Lange schrieb aus dem Hamburger Gefängnis am 11. Juli 1943: Ich
persönlich bin ganz ruhig und sehe fest dem Kommenden entgegen. Wenn man
wirklich die ganze Hingabe an den Willen Gottes vollzogen hat, dann gibt
das eine wunderbare Ruhe und das Bewußtsein unbedingter Geborgenheit....
Menschen sind doch nur Werkzeuge in Gottes Hand. Wenn Gott also meinen Tod
will — es geschehe Sein Wille. Für mich ist dann eben das Leben in diesem
Jammertal beendet und es nimmt dasjenige seinen Anfang, von dem der
Apostel sagt: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines
Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn
lieben." Der Tod bedeutet doch Heimkehr! Das, was uns dann geschenkt wird,
ist so unvorstellbar groß, daß alle menschlichen Freuden dagegen
verblassen, und das Bittere des Todes als solchen — was er auch für unsere
menschliche Natur im Dunklem an sich hat — dadurch gänzlich überwunden
wird ...
Aus dem Abschiedsbrief an die Eltern am 10. November 1943
Wenn Ihr diesen Brief in Händen habt, weile ich nicht mehr unter den
Lebenden! Das, was nun seit vielen Monaten unsere Gedanken immer wieder
beschäftigte und nicht mehr loslassen wollte, wird nun eintreffen. Wenn
Ihr mich fragt, wie mir zu Mute ist, kann ich Euch nur antworten: Ich bin
1. froh bewegt, 2. voll großer Spannung!
Zu 1. Für mich ist mit dem heutigen Tage alles Leid, aller Erdenjammer
vorbei - und „Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen!"
Welcher Trost, welch wunderbare Kraft geht doch aus vom Glauben an
Christus, der uns im Tod vorangegangen ist. An Ihn habe ich geglaubt und
gerade heute glaube ich fester an Ihn und ich werde nicht zuschanden
werden. Wie schon so oft möchte ich Euch auch jetzt noch einmal hinweisen
auf Paulus.
Schlagt die folgenden Stellen einmal auf: 1. Kor, 15, 43 f., 551 Rom. 14,
8. Ach, schaut doch hin, wo immer Ihr wollt, überall begegnet uns der
Jubel über die Gnade der Gotteskindschaft. Was kann einem Gotteskinde
schon geschehen? Wovor sollte ich mich denn wohl fürchten? Im Gegenteil:
Freuet Euch, nochmals sage ich Euch, freuet Euch! Und 2. Heute kommt die
größte Stunde meines Lebens! Alles, was ich bis jetzt getan, erstrebt und
gewirkt habe, es war letztlich doch alles hinbezogen auf dieses eine Ziel,
dessen Band heute durchrissen wird.
„Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen
Herz gedrungen ist, hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben" (1. Kor. 2,
9).
Jetzt wird für mich der Glaube übergehen in Schauen, die Hoffnung in
Besitz und für immer werde ich Anteil haben an dem, der die Liebe ist! Da
sollte ich nicht voller Spannung sein?
Wie mag alles sein? Das, worüber ich bisher predigen durfte, darf ich dann
schauen! Da gibt es keine Geheimnisse und quälenden Rätsel mehr. Heute ist
die große Heimkehr ins Vaterhaus, und da sollte ich nicht froh und voller
Spannung sein?
Und dann werde ich auch all die wiedersehen, die mir hier auf Erden lieb
waren und nahe standen! Ich habe von Anfang an alles in Gottes Hand
gelegt. Wenn Er nun dieses Ende von mir fordert — gut, es geschehe Sein
Wille.
Ganz der Wille Gottes
Wenn der Tag sich neigt,
wenn des Lebens Sonne
nur noch mattes Glänzen zeigt,
wenn sie tiefer sinkend,
nah' dem Untergehn,
ganz der Wille Gottes
soll auch dann geschehn!
Ganz der Wille Gottes!
Ob nach kurzem Pfad'
ob nach langem Wandern
diese Stunde naht,
Freunde oder Feinde
mich dann sterben sehen,
ganz der Wille Gottes
soll auch da geschehen!
Auf Wiedersehen oben beim Vater des Lichtes!
Euer glücklicher Hermann
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider