Fürchte dich nicht vor dem,
was dir an Leiden noch bevorsteht. Siehe, der Teufel wird einige von euch
ins Gefängnis bringen, damit ihr geprüft werdet. Ihr werdet eine
Bedrängnis von zehn Tagen zu bestehen haben. Sei treu bis zum Tode, so
will ich dir das Leben als Siegeskranz geben., Apokalypse 2,10
Dompropst
Bernhard Lichtenberg, zu Ohlau in Schlesien am 3. Dezember 1875 geboren,
seit 1938 Dompropst von St. Hedwig zu Berlin, war, als die große Prüfung
seines Lebens an ihn herantrat, ein würdiger, betagter Priester, dessen
Körper, in langen Jahren aufopfernder Seelsorge verbraucht, seinen Dienst
nur noch verrichtete, weil ihn ein feuriger Wille dazu zwang. In ihm
verband sich die Zartheit des glühenden Beters mit der Derbheit des
Kämpfers für das beleidigte Recht.
Er gehörte zu denen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. So
war der Konflikt mit dem Nationalsozialismus unausbleiblich.
Als Pazifist wurde er schon vor der Machtergreifung zum Gegenstand des
Hasses für die braunen Kohorten.
Als dann der Terror in Deutschland zur Staatsform erhoben wurde, konnte
und wollte Pater Lichtenberg nicht schweigen, denn für den Priester war
Schweigen Komplizität. In Antwort auf die Mitte Oktober 1941 von der
Partei verteilten Hetzblätter ließ er folgende Kanzelvermeldung in allen
Kirchen der Diözese verlesen:
Vermeldung.
In Berliner Häusern wird ein anonymes Hetzblatt gegen die Juden
verbreitet. Darin wird behauptet, daß jeder Deutsche, der aus angeblicher
falscher Sentimentalität die Juden irgendwie unterstützt, und sei es auch
nur durch ein freundliches Entgegenkommen, Verrat an seinem Volke übt.
Laßt euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern
handelt nach dem strengen Gebot Jesu Christi: „Du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst."
" Niemand hat ihn je die Hand zum Hitlergruß heben sehen. "
Auf die Frage, wie er zum Führer stehe, antwortete er dem
Gestapo-Kommissar: „Ich habe nur einen Führer: Jesus Christus." Wegen
seiner öffentlichen Gebete für KZ-Gefangene und Juden angezeigt, wurde er
am 23. Oktober 1941 verhaftet, vor ein Gericht gestellt und zu zwei Jahren
Gefängnis verurteilt. „Ich wußte von den vielen Verhaftungen von
Priestern", bekennt er bei der Hauptversammlung, „und ahnte schon damals,
was ich heute weiß, weil ich es selbst nun seit sieben Monaten durchkosten
muß und am eigenen Leib zu spüren bekam: wie schwer auch für einen
Priester das Los der Gefangenschaft ist und wie sehr auch er in dieser Not
der Kraft und des Trostes durch Gott bedarf."
Am 17.1.1943 im Strafgefängnis Tegel schreibt „der Strafgefangene
Dornpropst B. L., Karthäusermönch", in einer Briefbeilage nieder:
Ich will nichts anderes haben Als was mein Heiland will, Drum hält der
Strafgefangene Bis an das Ende still. Und was der Heiland will, Das steht
schon lange fest: Apokalypse Zwei Vom 10. Vers den Rest.
Die Freiheitsstrafe war gleichbedeutend mit einem Todesurteil.
Propst Lichtenberg starb am 5. November 1943 in Hof auf dem Wege nach
Dachau, wohin ihn die Gestapo nach seiner Entlassung aus dem
Strafgefängnis Tegel wegen „Gefährdung der Öffentlichkeit" überführen
wollte. Seinem letzten Brief, den wir hier folgen lassen, sei das
Gebetswort vorangestellt,, dem er einst ein Buch hatte widmen wollen:
Deus, Deus meus, ad te de luce vigilo.
Gefangentagebuch Nr. 717 Strafgefängnis Tegel in Berlin
Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit. Amen. Ehrwürdige Schwester Oberin!
Der liebe Gott hat mich zum dritten Mal ins Lazarett des Gefängnisses
geschickt.
So muß ich meinen wahrscheinlich letzten Gefängnisbrief im Bett schreiben.
Wenn ich von hier aus die letzten zwei Jahre überblicke, so will und muß
ich Gott, aus ganzer Seele danken, auch allen, die Seinen heiligen Willen
an mir zur Ausführung brachten. Es ist mein fester Entschluß, die
Exerzitienvorsätze mit Gottes Hilfe zur Ausführung zu bringen, die ich vor
Ihm nach den dreißigtägigen Exerzitien gefaßt habe, nämlich: ich will
alles, was mir widerfährt, Freudiges und Schmerzliches, Erhebendes und
Niederdrückendes, im Lichte der Ewigkeit ansehen, ich will meine Seele
besitzen in meiner Geduld, in keinem Worte und in keinem Werk sündigen und
alles aus Liebe tun und alles aus Liebe leiden. Lebensmut habe ich noch
für zwanzig Jahre, aber wenn der liebe Gott will, daß ich noch heute
sterbe, so soll Sein heiliger Wille geschehen.
1000 Grüße meinem hochwürdigen Bischof, dem Domkapitel, dem Pfarrhaus, der
Pfarrwohnung, der St. Hedwigsgemeinde, allen, die für mich gebetet und mir
geschrieben und mich dadurch getröstet haben.
Es geschehe, werde gelobt und in Ewigkeit hochgepriesen der süßeste,
heiligste und gerechteste Wille Gottes, unerforschlich in seinen Höhen und
Tiefen, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.
Der Gefangene im Herrn
Bernhard Lichtenberg Dornpropst von St. Hedwig
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider