Luxemburg Rosa
1871 - 1919
Briefe aus dem Gefängnis
Breslau, den 18. 10. 1918.
Liebste Sonitschka, ich schrieb Ihnen vorgestern. Bis heute habe ich noch
keinen Bescheid auf mein Telegramm an den Reichskanzler, es kann
vielleicht noch einige Tage dauern. Jedenfalls steht aber eins fest: meine
Stimmung ist schon derart, daß mir ein Besuch meiner Freunde unter
Aufsicht zur Unmöglichkeit geworden ist. Ich ertrug alles ganz geduldig
die Jahre hindurch und wäre unter anderen Umständen noch weitere Jahre
ebenso geduldig geblieben. Nachdem aber der allgemeine Umschwung in der
Lage kam, gab es auch in meiner Psychologie einen Knick. Die Unterredungen
unter Aufsicht, die Unmöglichkeit, darüber zu reden, was mich wirklich
interessiert, sind mir schon so lästig, daß ich lieber auf jeden Besuch
verzichte, bis wir uns als freie Menschen sehn.
Lange kann es ja nicht mehr dauern. Wenn Dittmann und Kurt Eisner
freigelassen sind, können sie mich nicht länger im Gefängnis halten und
auch Karl wird bald frei sein.
Warten wir also lieber auf das Wiedersehen in Berlin.
Bis dahin tausend Gruße.
Stets Ihre
Rosa.
Rosa Luxemburg Briefe
aus dem Gefängns Verlag der Jugend Internationale für Deutschland Verlag
Junge Garde, Berlin