BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



UNBEKANNTER PREUSSISCHER OFFIZIER
 


Gefallen am 14. Oktober 1806
 



Nach der Niederlage der preußischen Truppen gegen Napoleon wurde dieser Brief von einem Bewohner gefunden. Nach den in dem Brief erwähnten Details dürfte es sich um einen Ordonnanz des Stabes Hohenlohe gehandelt haben, der wahrscheinlich der Berliner Garnison angehört hatte. Knapp zwei Wochen nach der Schlacht zog Napoleon kampflos in Berlin ein.

 



Kapellendorf, Montag nachts.

Dies ist, meine Blanche, nun wohl der letzte Brief vor dem großen Spiel der Würfel und der letzte vielleicht, den ich, hingestreckt am Lagerfeuer und umgeben von

dem Lärm der allenthalben schon erwachenden Armee Dir schreibe. Arme elende Zeilen, flattert denn hinweg über den Abgrund zwischen Leben und Tod, umarmt statt meiner die Geliebte! Ach wie gern hätte ich Dir in den letzten bewegten Tagen geschrieben, wären die Ereignisse, die mannigfachen Rufe der kriegerischen Pflicht, die Schicksalsschläge nicht allzu schnell einander gefolgt! Ritte hierhin und dorthin, durch das rauhe Gebirg, durch das Gedräng der Bagagen und ermattete Truppen, die nicht immer gutwillig und oft genug verdrossen und verstört schienen.

Vorgestern schickte mich der Fürst, Versprengte vom Bataillon Rabenau zu sammeln, das bei der Saalfelder Affäre engagiert gewesen war - ach, wie brach mein Herz beim Anblick dieser Männer, in deren Augen noch das Entsetzen war! Wie gedachte ich des Prinzen, der auf Adlersfittichen Preußens glanzvollste Hoffnungen trug und nun dahingemaht ist wie so viele Gefährten! Ach meine Blanche, schwer ist mein Herz, und noch schwerer ist, Dir zu sagen, wie ahnungsvoll es ist. Gestern Abend war ich bei der Avantgarde, sah in die dämmrigen Nebel des Tales hinab, spürte dort vielfach geheimnisvolles Werden und wußte: es ist das Schicksal, das uns allen von dort aufsteigt. So lange wir sind, wie wir diese Welt betreten, ist der Korse unüberwindlich - ach, und wer von uns vermöchte wohl, sich hinüberzuschwingen in eine neue, andere Zeit ohne Poesie des Gemütes? Blanche, meine Blanche, ich fühle, daß ich morgen sterben werde, das Stöhnen des Morgenwindes, der Duft des modrichten Herbstlaubes, jeder Puls des Herzens sagt es mir.

Und obwohl mir Todesangst nicht fremd ist: kann ichs denn anders wollen, und war es nicht in den reinsten Träumen so, daß ich mir den Tod des Jünglings wünschte? Das Leben ist noch verklärt und hell, mag es denn so bleiben, wenn mein Herz den letzten Schlag tut und mein letzter erlöschender Gedanke bei Dir ist.

Der Frühwind beginnt und
die Feuer sind herabgebrannt, es beginnt der große Tag. Geliebte leb wohl, Freundin heiligster Stunden, ich umarme Dich als der noch Atmende, wie meine letzten Gedanken Dich umfangen sollen.

Ewig der Deine Fritz


 

 


Dies sind nun also die letzten Zeilen Werner Fuld Krüger Verlag Erschienen im Krüger Verlag, einem Unternehmen des S. Fischer Verlag GmbH 2007

 

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