BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



Reck - Malleczewen Friedrich Percyval

1884 - 1945


 




Friedrich Reck, geboren am 11. August 1884 auf dem Dominium Malleczewen in Ostpreußen, wirkte als Schriftsteller in seiner bayerischen Wahlheimat. Durch seine Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime wurde er zum politischen Kämpfer. Er wagte es, in seinen Büchern, vor allem in seinem „Jan Bockelson", in verschlüsselter Form den Fanatismus des „Führers" und seiner Bewegung anzuprangern. Seine Aufzeichnungen aus der Kampfzeit wurden 1947 unter dem Titel „Tagebuch eines Verzweifelten" (Bürger-Verlag Lorch-Stuttgart) veröffentlicht. Schließlich erfüllte sich, was er in seinem Brief an Dr. Max Stefl vom 5. Juni 1935 vorausgesagt hatte. Er wurde von der Gestapo verhaftet und starb im Februar 1945 im Konzentrationslager Dachau. In einem kurz vor seinem Tod an seine Frau gerichteten Brief schrieb er: „. . . Mein Andenken ehret Ihr, wenn Ihr Böses mit Gutem, ja, mit tätiger Hilfe vergeltet."

Poing, Post Truchtlaching, 5. Juni 1935

... Es übersteigt zwar fast menschliche Kräfte, sehn zu müssen, daß an sich wertvolle Menschen in der zeitüblichen Weise moralisch verfallen — ich nehme mein Los, was ich Ihnen ohne jede Frömmelei zu sagen wünsche, durchaus als ein Teillos und ein Teilmartyrium, das heute ja alles belastet und beschwert, was geistig sich entscheidet. Sehe ich, wie dieser seelische Verfall gerade unter hochwertigen Menschen wütet, sehe ich diese Fülle von Büberei, Verrat, Ruchlosigkeit: dann, mein lieber Doktor Stefl, sehe ich jenes von mir lange geahnte Gesetz sich vollziehen, von dem das letzte Kapitel meiner „Renaissance" spricht: jenes Gesetz, nach dem der (für mich unausbleibliche) Sieg der geistigen Eliten über den Massenmenschen erkauft wird durch den Abstieg in die Katakombe, dem Martyrium und den physischen Untergang. „Für unser leibliches Ergehen haben wir nichts, für den Sinn unserer Todesstunde haben wir alles zu erhoffen." Den Satz schrieb ich dummer junge vor Jahren nieder, wußte nicht, was ich schrieb. Heute gilt's, alle großen Worte, die einem mal aus dem Munde gingen, zu bestätigen.
Glauben Sie ja nicht an eine „ecclesia triumphans" in dem so oft gehörten, billig-optimistischen Sinne. Mich hat, während ich dieses Renaissance-Werk schrieb (das Schönborn gewidmet ist und das er, der Renaissance-Mensch, wahrscheinlich nicht goutieren wird) . . . mich hat die Vision dieser furchtbaren Zeitkrise befallen und ich sehe mit Augen, die leider immer sehender und beinahe ungebührlich hellsichtig werden, unser Schicksal in aller Deutlichkeit voraus.

Die Entgottung der Renaissance zeugt den „sachlichen Menschen" der letzten vierhundert Jahre, der sachliche Mensch zeugte zuerst den kapitalistischen Großbürger und dann den Bourgeois, der Bourgeois aber den Massenmenschen, der sich heute, wo die Pionierzeiten des Erdballes beendigt sind, in seinen Existenzgrundlagen bedroht sieht und um sich zu schlagen beginnt.
Sie kennen mich nun genug und wissen, daß ich nicht so traurig und steril bin, um nun etwa diesen Massen (die weder gut noch böse, sondern im Grunde überhaupt nichts sind) den Triumph vorauszusagen oh , ganz das Gegenteil (und mein eigenes Schicksal ist nur ein winziges Teillos von dem, was heute allenthalben in unseren Reihen wiederkehrt).
Da aber, wo die Elite diese Avantgarden-Stellung auch nur bezieht: dort ist eigentlich schon ihr Sieg da. Die Massen, als echte Produkte der Renaissance, werden verschwinden — wir wollen die Technik jenes gigantischen historischen Bebens, das sie abschütteln wird, getrost der obersten Befehlsstelle überlassen. Wir werden bei diesem Prozeß leiblich zugrunde gehn und in unseren Ideen allein siegreich bleiben. Wir, an der Lötfuge zweier Zeiten stehend, haben den historischen Auftrug, zu leiden und leidend und glaubend zu fallen. In dieser Erkenntnis ist bereits die Unbesiegbarkeit enthalten.

Es komme mir aber Niemand daher und sage mir, daß das, was diesem armen Erdball so fehlt — der "neue und gewisse Geist", die große Zentralidee, schon da wäre oder, soweit es vorhanden ist, noch stark genug wäre, um ohne dieses Martyrium neue Geschlechter zu bewegen. Das Christentum, ja, die gesamte steril gewordene Geistigkeit Europas, bedarf dieser neuen Blutzeugenschaft und dieser Schreie aus dem Acheron. Ich bin kein Chiliastiker und kein Adventist — ich mache Halt mit meinen Gedanken an der Stelle, wo ich klar, aus sämtlichen Disziplinen des heutigen Menschengeistes, die Erkenntnis ziehe: daß die Probleme des heutigen Erdensohnes ohne den Eingriff der höheren Hand überhaupt nicht zu lösen sind. Was an dieser Stelle einsetzt, wissen Sie.
Erfüllung wird nämlich nach meines müden Herzens Überzeugung jedem großen Menschenwunsch, wofern der Wünschende nur diesen Eine fühlt: „Ich will lieber tausend bittere Tode sterben, ehe ich dies nicht erfüllt sehn mag."


Der eigentliche Beweger der Geschichte ist in meiner Brust die Idee, und der also gehegte heiße Wunsch beinahe schon des Wunsches Erfüllung. Das klänge anmaßend, wenn nicht diese schon ausgesprochene Erkenntnis dazuträte: daß wer diese Vision erst einmal gehabt hat, von seinem physischen Leben inner­lich Abschied genommen haben muß . . .
Ihnen sage ich freimütig, daß ich mich, greift nicht ein Wunder ein, am Ende meiner Tage fühle und von Gott das erhoffe, was er mir eigentlich schuldig ist: eine Todesstunde, die alle großen einmal ausgesprochenen Worte einlöst und der armen, von der Zeit hin und her gerissenen Kreatur endlich sagt, wer sie gewesen ist und jenen Frieden schickt, der jedem winkt, der sich, physisch oder seelisch, verblutet hat. Sie müssen nicht denken, daß ich das Atomgewicht meines Lebens im Aspekt dieser gigantischen Zeitwende überschätze — ich werte es als Material und als den Fall des ersten besten Soldaten aus dem „Verlorenen Haufen", der heute für den Geist ficht.
Das ist alles, teuerster Doktor... Leben Sie wohl und bleiben Sie tapfer. Diesmal liegt in der Tapferkeit allein schon der Sieg. Sie haben in der Stille gearbeitet und haben nicht die Verpflichtungen wie ich. Ich habe, mitten auf der Agora, große Worte gesprochen. Und muß sie einlösen. Das ist die Aufgabe, die auf meinen etwas unzulänglichen Schultern drückt.



Aufzeichnung vom April 1944, nach einem schweren Luftangriff auf München

Auf den ersten Blick, wenn der Zug in diese rührende romanische Glashalle hineingeleitet, scheint alles beim alten zu sein — genau wie in jenen fernen Tagen, wenn ich hier dich erwartete, wenn aus der großen versunkenen Welt die großen eleganten Trains hier einliefen . . .

Auf den ersten Blick also wäre alles in Ordnung. Auf den zweiten, wenn man die Schalterhalle passiert hat, sieht man in eine grausame und ungeheuerliche Veränderung hinein, die zunächst dem Ankommenden die Orientierung nimmt. Ein riesiges Brotmesser hat von oben nach unten die ganze Fassade fortgesäbelt, und da jenseits des Platzes nur noch ein riesiges Trümmerfeld sich dehnt, sieht man tief hinein in die Eingeweide eines Stadtkadavers. Fast bis zum Marienplatz.
Hinweg über pulverisierten Mörtel, hindurch zwischen Staubwirbeln, die der kalte Frühlingswind als Schemen der toten Vergangenheit über die Wüstenei tanzen läßt. Dies also wäre München. Dies der Platz mit dem rauschenden Brunnen und den vertrauten Kastanien, deren Blütenkerzen einst so blutrot glühten im Frühlingslicht. Keine Bank mehr, keine Kastanien, kein Brunnenrauschen. Wirrsal von gefälltem Baumgeäste, verrostete Drahtspiralen, geborstene Kabel, geschmolzene Asphaltbrocken. Verdorbener Hausrat, abgeblätterte Affichen, eine geborstene Litfaßläule. „Odeon, Generalprobe der Matthäuspassion." „Residenztheater, Cosi fan tutte." Vergangenheit, verschlungen von einem sagenhaften Ungeheuer, wieder ausgespien vor unsere Füße. Vergangenheit.
Die Gegenwart heißt totaler Krieg.
Exekutiert von dem, den sie nun den größten Feldherrn aller Zeiten nennen. Und nun wären wir wohl so weit. April 1944. München, das sie einmal die Stadt der Jugend und der Freude genannt haben. Weißt du noch um das kleine Rokokotheater, das an seinem Pult noch den Salzburger Wunderknaben gesehen, hörst du noch den silbernen Flügelschlag jenes Spinetts, darauf seine Hände geruht.

Weißt du noch, wenn aus diesem zerschlagenen Schloß der königliche Patriarch dieser Stadt, Herzog über ein bukolisches Volk, auszog, mit Bauern Erntefest zu halten und nach der Scheibe zu schießen . . . weißt du noch um den Blick vom Monopteros, wenn herb und rein die Silhouette der Stadt vor uns stand . . . Stehe stille und verhülle dein Haupt.
Liebe mütterliche Stadt, geliebte und wahrhaft schuldlose Stadt, auf deinem Grabe noch will ich dir danken, auf deinen schwelenden Trümmern, Mutter, Abschied nehmen vom Gestern und die ewig zeugende und gebärende Erde anflehen um die Gnade neuen Lebens.
Könnte mir ein süßerer Trost, ein glanzvolleres Lebensende werden, als ein frommer und getreuer Dienst am Bette deiner Auferstehung? Vor dem lohenden Himmel des deutschen Städtebrandes regt als riesiger Schatten sich die Frage nach der Schuld.
Du armes krankes Volk, du bist im Begriff, zum zweiten Male dich hinwegzulügen über die Stunde der Selbsteinkehr und vergißt, daß Selbsteinkehr den letzten Schlüssel deiner Zukunft bedeutet.






Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 

 

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