JOHN RITTMEISTER
1898 - 1943
Neurologe
John Rittmeister, geboren am 21. August 1898, war Leiter der Poliklinik
des Psychotherapeutischen Instituts zu Berlin. Sein waches soziales
Gewissen führte ihn zur Widerstandsbewegung, an deren linkem Flügel er
unter Einsatz seiner Person wirkte. Er wurde am 29. September 1942
verhaftet, am 13. Mai 1943 hingerichtet.
Aus dem letzten Brief
13. Mai 1943
Mein geliebtes, einziges Mäckilein, nun sitze ich hier (in Gegenwart von
Wachtmeistern) und sehe meinem letzten Stündlein entgegen. Ich bin ganz
ruhig und gefaßt... Das kleine Crucifix liegt vor mir, Deine Zeichnung von
der Zelle auch, Du bist bei mir, ich bei Dir, Du wirst weiterwandeln auf
der Erde, wie Gott in Christus ein diesseitig menschliches Leben lebte,
der Mensch soll nicht in Askese, sondern fröhlich und liebend (wie
Christus auch gern zu Tisch saß und mit den Einfachen und Zöllnern
verkehrte) wandeln, mitten im Zeitlichen sieb aber des Menschlich -
Zeitlosen bewußt bleiben, woher er stammt und wohin er zurückkehrt.
Behalte Deine Lebensbejahung, Du mein liebreiches Herz, wir haben uns
nicht in Wüsten zurückzuziehen, oder die Welt zur Wüste zu machen, sondern
im Werden, in der Selbstverwirklichung unser zugrundeliegendes Sein zu
gestalten. Wenn ich auch noch sehr das Gefühl hatte (und Du ja auch), daß
mir in diesem Leben noch Aufgaben bevorständen, nun weiß ich (außer daß
sich vielleicht hier noch Einiges auswirkt), daß meine Weitergestaltung
eine jenseitige sein wird. Ich denke viel an das, was Du mir von Sokrates
sagtest, Mäckie, wir gehen uns nicht verloren, und Du bist so weit, auch
dies Schlimme zu tragen. Du brauchst nicht sagen, ach, wenn ich die Zeit
nutzbringend verwandt hätte!
Außer daß Du lebensnah warst, wie sehr hast Du an Dir gearbeitet, mit dem
Abitur fing es doch an! Und welch ein Glück hast Du mit Deiner
Anschmiegsamkeit in mein nicht einfaches Leben gebracht, wie griffest Du
doch all' die Anregungen auf, wenn es so weit war. Deine Tagebuchnotizen
haben mich gerührt. Keyserling spricht über die générosite, die ja bei
Descartes eine Rolle spielt, Selbstachtung und freimütig gegen sich
selbst, sich nicht zerquälen und zerknittern. Meine Mäckie, heute Abend,
wo es sein wird, stelle ich mir diesen blumigen Weg vor, wir wandern und
sprechen über die tiefen Dinge — und irgendwo ist unser Ziel... Also meine
Mäckie, lebe wohl, lebe wohl! „Ich fürchte nichts -nährte die Parze nicht
selber mich?" Diesen schönen Vers, den Du mir schicktest, von meinem schon
als Jungen geliebten Hölderlin — er wärmte mich und er schützt mich auch
jetzt bei meinem letzten Gang.
Ich habe ja weiter nichts auszustehen, Du mögest die Kraft vom Schicksal
erhalten, weiter die schwere Zeit durchzustehen und Dich bereit zu halten
für weitere und sicher große, Deiner Berufung, Deinem Sein, Deiner Kraft
gemessene Gaben. — Denke Dir doch, den Don Quidiote las ich vorige Woche!
Über Schein und Sein findest Du Notizen in meiner Kladde, die ich hier
schrieb. -
Lebe wohl, mein kleines, liebes Frauchen, zum letzten Mal umarme ich Dich
und küsse Dich innig und danke Dir für die Sonnenstrahlen, die Du in mein
Leben brachtest.
Dein John
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider