BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

ALEXIS FREIHERR VON ROENNE

1902 - 1944

 



Oberst. - Geboren am 12. Februar 1902; hingerichtet am 12. Oktober 1944 in Berlin -Plötzensee. Freiherr von Roenne sah seit der Machtübernahme im Nationalsozialismus das Unglück Deutschlands. Gewissensbedenken verboten es ihm, an der Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli mitzuwirken. Doch die freundschaftlichen Beziehungen, die ihn mit den Führern des Widerstands verbanden, waren Grund genug zur Verurteilung. Er starb am 12. Oktober 1944 durch Henkershand.




Abschiedsbrief an die Mutter


Berlin, 11. Oktober 1944 abends Meine einzig geliebte Mama!

Heute kam mir aus einem besonderen Anlaß der Gedanke, Dir noch einmal zu schreiben, obgleich ein kurzer Brief an Dich schon meinen vorigen Abschiedsbriefen beiliegt.
Ich weiß, daß Dich trotz Deiner großen Sehnsucht und Freude, zum Heiland zu gehen, mitunter die Todesfurcht einfach vor dem körperlichen Todesvorgang quälte.
Und da wollte ich Dir so gerne sagen, daß unser Herr auch die ganz fortwischen kann, wenn wir Ihn darum bitten. Ängstige Dich also gar nicht, schon Papa sagte mir, daß unser Großpapa sterbend ein linderndes Mittel von sich wies mit den Worten: »Es muß alles ausgehalten werden!« So souverän stand er über dem Sterben, ganz herrlich.
Ich selbst nun erwarte seit einer Woche von Tag zu Tag den Tod, jetzt z. B. für morgen, und der Heiland hat in Seiner grenzenlosen Gnade mich von allem Grauen frei gemacht.
Ich bete und denke tagsüber ganz ruhig und fast ausschließlich an Ihn und dabei natürlich an meine Liebsten, esse mit Appetit, freue mich am Sonnenschein und habe mich nur insofern ganz aus der Welt zu lösen versucht, als ich nicht mehr lese und mich auch möglichst von allen militärischen und politischen Gedanken fern und nur für den Heiland verfügbar halte.
Ich gehe früh und betend zu Bett, schlafe ganz ruhig und fest die ganze Nacht wie ein Kind und wende mich erwachend gleich Ihm zu und bin dabei innerlich völlig frei und dazu, abgesehen von meinen Gedanken an meine kleine Schar (seine Frau und zwei kleine Kinder), ein vollkommen glücklicher Mensch, ein Vorgang, der hier schon oft auffiel und durch Hinweise auf Ihn erklärt wurde.

Ich hatte mir erst selbst Gedankengänge überlegt, die mir Kraft und Freudigkeit zum Sterben geben sollten, da zeigte Er mir plötzlich zwei Mittel: Vor allem sollte ich mir doch in voller Realität mein Sterben vergegenwärtigen und erst mit Seinem vergleichen! Das hat mir unendlich geholfen: Dort der Sündenlose, freiwillig von seinen »Erlösten« viele Stunden zu Tode gemartert, hier gegenüber ein Augenblicksgeschehen eines Vorganges, der mir sowieso einmal und vielleicht viel qualvoller - lange Krankheit - bevorstehen muß.

Den Hinweis erhielt ich durch die zwei schönen Verse »Wenn ich einmal soll scheiden« und besonders »Und laß mich sehn Dein Bilde in Deiner Kreuzesnot«. Da schämte ich mich aller Hemmungen und wurde furchtlos. Und dann verwies er mich noch darauf, daß ja der Todesaugenblick zugleich der erste in Seiner seligen Ruhe und Gottesfrieden ist.
Diese Gedanken festhaltend, sehe ich seit Tagen stündlich der Abfahrt zu raschem Heimgang völlig ruhig und frei entgegen mit ganz stillen Gedanken und Puls und habe volle Zuversicht, daß das kurze letzte Geschehen ebenso von Seiner unbeschreiblichen Gnade durchleuchtet sein wird. -
Ich schreibe es Dir so genau, meine geliebte Mama, weil ich Dir damit vielleicht in Seinem Auftrage eine kleine Hilfe geben kann.
Für mich besteht schon seit Anbeginn dieser letzten ausschließlichen Gnadenzeit (2,5 Monate) kein Zweifel daran, daß ich all die unverdiente Barmherzigkeit zu einem ganz großen Teil Deiner jahrzehntelangen Fürbitte verdanke, und ich kann Dir mit Worten gar nicht dafür danken! Ich halte diese Deine Fürbitte für das weitaus Größte Deiner unendlichen Liebe zu mir, und wir werden in der Ewigkeit noch oft davon sprechen. Ich bitte Dich aber von ganzem Herzen, daß Du für den Rest Deiner Erdenzeit diese Fürbitte auf Ursel und meine zwei Kleinen überträgst.
Ach, tue es doch bitte, bitte mit der gleichen Liebe und Treue! Es ist ein unvorstellbarer Schatz, den Du damit meiner geliebten kleinen Schar schenkst, die ihn so bitterlich nötig hat.
Ich weiß genau, daß Du meine Bitte erfüllen wirst!

Ich habe natürlich unablässig die Meinen im Gebet vor Ihn gebracht, an manchen bereits erkannten Erhörungen und kleinen, großen Gnaden Sein Wirken erkannt und bin von Ihm mit der Zuversicht erfüllt worden, daß, »wer auf diesen Felsen sein Vertrauen setzt, nicht zuschanden wird!« Ich habe Ihn dabei für sie nie um langes Erdenleben, sondern nur um Kraft und Bewahrung vor Grauen und Not und Lieblosigkeit gebeten und dann natürlich um seligen Heimgang. Der Tod jetzt bedeutet mir gar nichts, aber wie gerne wäre ich mit der kleinen Schar heimgegangen, die ich nun nicht hüten und schützen kann! Doch bei solchen irdischen Gedanken erinnert der Herr mich immer daran, daß ich ihr nach menschlichem Ermessen im Schweren sowieso nicht zur Seite gewesen wäre und daß vor allem Er ein weit besserer Schutz und Schirm ist!

Wie herrlich ist mir das Bewußtsein, so liebe Geschwister zu besitzen, die ihr gewiß, wo sie nur können, wie ein Block zur Seite stehen werden! Aber sie selbst erleben ja jetzt auch viel Schweres, und es will mir scheinen, daß als erstes das liebe, vertraute Lapienen nun schon im Kampfgebiet liegt, auch Hermanns Wirkungskreis ist sicher nicht mehr einfach zu steuern, und wie mag es dem lieben Ebo ergehen, bei dem ich so oft im Gebet war? Die nachrichtenmäßige Trennung von Euch allen war mir wohl oft schwer, aber zugleich wuchs das Bewußtsein engster Verbundenheit vor Gottes Thron und vor allem der Bedeutungslosigkeit der Erdenzeit.
Und immer größer wurde die Freude auf die dortige frohe Trennungslosigkeit. Wie unbeschreiblich herrlich wird es sein, und wie glücklich wäre ich erst, wüßte ich meine Liebsten und Euch alle nur schon im Gottesfrieden, leidentrückt!

Ich grüße Euch alle, die Ihr etwa jetzt in Rönkendorf seid, von ganzem Herzen und befehle Euch in Gottes Hand und Segen (Erführe Euch gnädig auf linden Pfaden in Sein Reich wie mich, der ich dem Schacher gleich dorthin gelange! Ich weiß, daß Ihr nie von meinem Liebsten lassen und besonders seines so unendlich weichen, liebebedürftigen Herzens gedenken werdet, das Euch alle auch so liebhat.
Dafür und für all die unendliche Liebe von fast 42 Jahren danke ich Euch und vor allem Dir, meine unbeschreiblich geliebte Mama, aus tiefstem Herzen!

Reichere und innigere Liebe von seiner Mutter hat nie ein Kind empfangen als Dein Alecci. Mit unendlichem Dank habe ich heute noch an die herrliche Kindheit gedacht, die vor allem Deine Liebe mir in Mitau und Wilkajen bereitete! Alles in goldenem Glanz, Du im Mittelpunkt !

Letzte Briefe an seine Frau

Noch vor der Gefangenschaft geschrieben

25. Juli 1944

Mein geliebtes Herz!

Du weißt, welche Ereignisse über Deutschland dahinziehen, und kannst ihre Tragweite erahnen. Es ist bei meiner Stellung gut möglich, daß die Welle auch mich erfaßt und in ihren Strudel zieht. Da will ich Dir nun ein Wort des Abschieds, aber nur für diese Zeit auf Erden, sagen und des heißen Dankes. Zunächst sollst Du und die Kleinen wissen, daß ich an dem Geschehen unbeteiligt und unschuldig war, was auch immer hernach gesagt werden mag. Alles andere ist daneben nicht wichtig. Aber einen ungeheuren Gewinn habe ich von der so überaus ernsten Zeit gehabt: Ich bin ganz und gar in die geöffneten Arme unseres Herrn und Heilands zurückgekehrt, die ich im Drang der Ereignisse oft genug vergessen hatte. Ich verbringe fast alle freie Zeit im Gebet, ein Gebet um Kraft für mich für alles Kommende und um Segen und Hilfe für Dich, mein Allerliebstes, und die Kinder.

Und ich spüre das Geschenk der Kraft für mich so deutlich, daß ich mit der frohen Zuversicht in Alles hineingehe, daß es doch nur enden kann am Herzen Gottes im ewigen Frieden; da scheint dann das Vorausgehende unwichtig genug und soll Dich auch gar nicht beschäftigen: mein inneres Auge wird jeden Augenblick hinter Allem nur die geöffneten Arme meines Herrn und Heilands sehen. Mein fester Trost und Grund sind die Sprüche: »Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen« und »Wenn Eure Sünde blutrot wäre, so will ich sie doch schneeweiß machen« und dann noch die vielen Kernworte von Gottes Liebe als dem tiefsten Grund Seiner Einstellung zu uns. Daran halte ich mich fest und gewinne Kraft und vor allem auch die Gewißheit, daß mein heißes Flehen um Euch nicht vergeblich sein wird! Denn Euch gelten Gebete und Gedanken vor Allem und umfassen in größter Liebe Euer ganzes kommendes Leben. Mein Allerliebstes, Du sollst in allem Schmerz immer wieder spüren, daß Du nicht allein dem Leben gegenüberstehst: Er ist bei Dir jeden Augenblick und mag auch meines Flehens für Euch gedenken, wenn Er hilft. -
So wie Dein und Mamas Gebete mir den Weg geebnet haben.
Dann aber ist daneben die feste Zuversicht, daß wir beide einmal an Seinem Thron vereint danken und loben werden für alle unverdiente Gnade, von denen die größte ist, daß Er uns einst zusammenführte, wenigstens von den irdischen Gaben.
Du sollst es ganz fest wissen, daß mein ganzes Herz nur Dir gehört, mit Banden, die im Leben nur einmal geschenkt werden können, weil sie über das Leben hinaus in die Ewigkeit reichen. Und neben dem Dank an den Herrn gilt mein heißester, unaufhörlicher Dir, mein geliebtes Herz, und wird Dir Begleiter meines letzten Herzschlages sein. Dank für die unaussprechliche Liebe, die Du ohne Unterlaß um mich breitetest wie einen goldenen Mantel. —
Und nun unsere beiden geliebten Kinder, die ich nach Gottes Willen ohne mich lassen muß, aber in Seiner Liebe und Deiner Hut geborgen weiß. Sage ihnen, daß die heißen letzten Gebete ihres Vaters und seine größte Liebe sie auf der Erdenbahn begleiten und daß ich sie bitte, alle ihre Liebe Dir zu schenken und immer, wenn sie meiner gedenken, Dir etwas besonders Liebes zu tun als Gruß von mir. Was sie einmal werden und tun, ist nicht wichtig. Wie sie es tun, nämlich an Gottes Hand, darauf kommt es an. Ihr Vater hat da viel gefehlt, aber des Herrn Hand hat ihn doch nicht losgelassen; sie will nur mit Inbrunst gesucht werden. Sag meinen Dank auch allen anderen Lieben: Mama, den Geschwistern, den Eltern.
Sie alle haben mir, vor allem meine geliebte Mama, viel, viel mehr Liebe geschenkt als empfangen und damit viel mehr Sonne in mein Leben getragen, das ein so reiches und glückliches war, als sie es gewußt haben.

Auch für sie gilt es: »Einst droben im Licht!«

Berlin - Plötzensee, 12. Oktober 1944 Königsdamm 7

Mein Allerliebstes!

Gleich gehe ich nun heim zu unserem Herrn in voller Ruhe und Heilsgewißheit. Meine Gedanken sind in allergrößter Liebe und voll Dank bei Dir, bei Euch. Ich bitte Dich als letztes: Klammere Dich nur an Ihn und habe in Ihm volle Zuversicht: Er liebt Dich.

Jeder Entschluß, den Du nach Gebet im Leben für Euch faßt, hat meine volle Billigung und meinen Segen. Wenn Du wüßtest, wie unvorstellbar treu Er mir in diesem Augenblick zur Seite steht, wärst auch Du für Dein ganzes schweres Leben gewappnet und ruhig. Er wird Dir Kraft zu Allem geben. Ich segne die beiden geliebten Kleinen und schließe in mein letztes Gebet innig ein: Der Herr lasse Sein Angesicht leuchten über ihnen und führe sie Heim.

Innige Grüße und Dank meiner geliebten Mama, den Eltern und Geschwistern. Mögen sie von Ihm behütet, im heißgeliebten Vaterland auch schwere Zeiten überdauern.

Dir, mein Allerliebstes, gehört meine heiße Liebe und Dank bis zum letzten Augenblick und seligen Wiedersehn. Gott behüte Dich.




Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider



 

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