ALEXIS FREIHERR VON ROENNE
1902 - 1944
Oberst. - Geboren am 12. Februar 1902; hingerichtet am 12. Oktober 1944
in Berlin -Plötzensee. Freiherr von Roenne sah seit der Machtübernahme
im Nationalsozialismus das Unglück Deutschlands. Gewissensbedenken
verboten es ihm, an der Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli
mitzuwirken. Doch die freundschaftlichen Beziehungen, die ihn mit den
Führern des Widerstands verbanden, waren Grund genug zur Verurteilung.
Er starb am 12. Oktober 1944 durch Henkershand.
Abschiedsbrief an die Mutter
Berlin, 11. Oktober 1944 abends Meine einzig geliebte Mama!
Heute kam mir aus einem besonderen Anlaß der Gedanke, Dir noch einmal zu
schreiben, obgleich ein kurzer Brief an Dich schon meinen vorigen
Abschiedsbriefen beiliegt.
Ich weiß, daß Dich trotz Deiner großen Sehnsucht und Freude, zum Heiland
zu gehen, mitunter die Todesfurcht einfach vor dem körperlichen
Todesvorgang quälte.
Und da wollte ich Dir so gerne sagen, daß unser Herr auch die ganz
fortwischen kann, wenn wir Ihn darum bitten. Ängstige Dich also gar
nicht, schon Papa sagte mir, daß unser Großpapa sterbend ein linderndes
Mittel von sich wies mit den Worten: »Es muß alles ausgehalten werden!«
So souverän stand er über dem Sterben, ganz herrlich.
Ich selbst nun erwarte seit einer Woche von Tag zu Tag den Tod, jetzt z.
B. für morgen, und der Heiland hat in Seiner grenzenlosen Gnade mich von
allem Grauen frei gemacht.
Ich bete und denke tagsüber ganz ruhig und fast ausschließlich an Ihn
und dabei natürlich an meine Liebsten, esse mit Appetit, freue mich am
Sonnenschein und habe mich nur insofern ganz aus der Welt zu lösen
versucht, als ich nicht mehr lese und mich auch möglichst von allen
militärischen und politischen Gedanken fern und nur für den Heiland
verfügbar halte.
Ich gehe früh und betend zu Bett, schlafe ganz ruhig und fest die ganze
Nacht wie ein Kind und wende mich erwachend gleich Ihm zu und bin dabei
innerlich völlig frei und dazu, abgesehen von meinen Gedanken an meine
kleine Schar (seine Frau und zwei kleine Kinder), ein vollkommen
glücklicher Mensch, ein Vorgang, der hier schon oft auffiel und durch
Hinweise auf Ihn erklärt wurde.
Ich hatte mir erst selbst Gedankengänge überlegt, die mir Kraft und
Freudigkeit zum Sterben geben sollten, da zeigte Er mir plötzlich zwei
Mittel: Vor allem sollte ich mir doch in voller Realität mein Sterben
vergegenwärtigen und erst mit Seinem vergleichen! Das hat mir unendlich
geholfen: Dort der Sündenlose, freiwillig von seinen »Erlösten« viele
Stunden zu Tode gemartert, hier gegenüber ein Augenblicksgeschehen eines
Vorganges, der mir sowieso einmal und vielleicht viel qualvoller - lange
Krankheit - bevorstehen muß.
Den Hinweis erhielt ich durch die zwei schönen Verse »Wenn ich einmal
soll scheiden« und besonders »Und laß mich sehn Dein Bilde in Deiner
Kreuzesnot«. Da schämte ich mich aller Hemmungen und wurde furchtlos.
Und dann verwies er mich noch darauf, daß ja der Todesaugenblick
zugleich der erste in Seiner seligen Ruhe und Gottesfrieden ist.
Diese Gedanken festhaltend, sehe ich seit Tagen stündlich der Abfahrt zu
raschem Heimgang völlig ruhig und frei entgegen mit ganz stillen
Gedanken und Puls und habe volle Zuversicht, daß das kurze letzte
Geschehen ebenso von Seiner unbeschreiblichen Gnade durchleuchtet sein
wird. -
Ich schreibe es Dir so genau, meine geliebte Mama, weil ich Dir damit
vielleicht in Seinem Auftrage eine kleine Hilfe geben kann.
Für mich besteht schon seit Anbeginn dieser letzten ausschließlichen
Gnadenzeit (2,5 Monate) kein Zweifel daran, daß ich all die unverdiente
Barmherzigkeit zu einem ganz großen Teil Deiner jahrzehntelangen
Fürbitte verdanke, und ich kann Dir mit Worten gar nicht dafür danken!
Ich halte diese Deine Fürbitte für das weitaus Größte Deiner unendlichen
Liebe zu mir, und wir werden in der Ewigkeit noch oft davon sprechen.
Ich bitte Dich aber von ganzem Herzen, daß Du für den Rest Deiner
Erdenzeit diese Fürbitte auf Ursel und meine zwei Kleinen überträgst.
Ach, tue es doch bitte, bitte mit der gleichen Liebe und Treue! Es ist
ein unvorstellbarer Schatz, den Du damit meiner geliebten kleinen Schar
schenkst, die ihn so bitterlich nötig hat.
Ich weiß genau, daß Du meine Bitte erfüllen wirst!
Ich habe natürlich unablässig die Meinen im Gebet vor Ihn gebracht, an
manchen bereits erkannten Erhörungen und kleinen, großen Gnaden Sein
Wirken erkannt und bin von Ihm mit der Zuversicht erfüllt worden, daß,
»wer auf diesen Felsen sein Vertrauen setzt, nicht zuschanden wird!« Ich
habe Ihn dabei für sie nie um langes Erdenleben, sondern nur um Kraft
und Bewahrung vor Grauen und Not und Lieblosigkeit gebeten und dann
natürlich um seligen Heimgang. Der Tod jetzt bedeutet mir gar nichts,
aber wie gerne wäre ich mit der kleinen Schar heimgegangen, die ich nun
nicht hüten und schützen kann! Doch bei solchen irdischen Gedanken
erinnert der Herr mich immer daran, daß ich ihr nach menschlichem
Ermessen im Schweren sowieso nicht zur Seite gewesen wäre und daß vor
allem Er ein weit besserer Schutz und Schirm ist!
Wie herrlich ist mir das Bewußtsein, so liebe Geschwister zu besitzen,
die ihr gewiß, wo sie nur können, wie ein Block zur Seite stehen werden!
Aber sie selbst erleben ja jetzt auch viel Schweres, und es will mir
scheinen, daß als erstes das liebe, vertraute Lapienen nun schon im
Kampfgebiet liegt, auch Hermanns Wirkungskreis ist sicher nicht mehr
einfach zu steuern, und wie mag es dem lieben Ebo ergehen, bei dem ich
so oft im Gebet war? Die nachrichtenmäßige Trennung von Euch allen war
mir wohl oft schwer, aber zugleich wuchs das Bewußtsein engster
Verbundenheit vor Gottes Thron und vor allem der Bedeutungslosigkeit der
Erdenzeit.
Und immer größer wurde die Freude auf die dortige frohe
Trennungslosigkeit. Wie unbeschreiblich herrlich wird es sein, und wie
glücklich wäre ich erst, wüßte ich meine Liebsten und Euch alle nur
schon im Gottesfrieden, leidentrückt!
Ich grüße Euch alle, die Ihr etwa jetzt in Rönkendorf seid, von ganzem
Herzen und befehle Euch in Gottes Hand und Segen (Erführe Euch gnädig
auf linden Pfaden in Sein Reich wie mich, der ich dem Schacher gleich
dorthin gelange! Ich weiß, daß Ihr nie von meinem Liebsten lassen und
besonders seines so unendlich weichen, liebebedürftigen Herzens gedenken
werdet, das Euch alle auch so liebhat.
Dafür und für all die unendliche Liebe von fast 42 Jahren danke ich Euch
und vor allem Dir, meine unbeschreiblich geliebte Mama, aus tiefstem
Herzen!
Reichere und innigere Liebe von seiner Mutter hat nie ein Kind empfangen
als Dein Alecci. Mit unendlichem Dank habe ich heute noch an die
herrliche Kindheit gedacht, die vor allem Deine Liebe mir in Mitau und
Wilkajen bereitete! Alles in goldenem Glanz, Du im Mittelpunkt !
Letzte Briefe an seine Frau
Noch vor der Gefangenschaft geschrieben
25. Juli 1944
Mein geliebtes Herz!
Du weißt, welche Ereignisse über Deutschland dahinziehen, und kannst
ihre Tragweite erahnen. Es ist bei meiner Stellung gut möglich, daß die
Welle auch mich erfaßt und in ihren Strudel zieht. Da will ich Dir nun
ein Wort des Abschieds, aber nur für diese Zeit auf Erden, sagen und des
heißen Dankes. Zunächst sollst Du und die Kleinen wissen, daß ich an dem
Geschehen unbeteiligt und unschuldig war, was auch immer hernach gesagt
werden mag. Alles andere ist daneben nicht wichtig. Aber einen
ungeheuren Gewinn habe ich von der so überaus ernsten Zeit gehabt: Ich
bin ganz und gar in die geöffneten Arme unseres Herrn und Heilands
zurückgekehrt, die ich im Drang der Ereignisse oft genug vergessen
hatte. Ich verbringe fast alle freie Zeit im Gebet, ein Gebet um Kraft
für mich für alles Kommende und um Segen und Hilfe für Dich, mein
Allerliebstes, und die Kinder.
Und ich spüre das Geschenk der Kraft für mich so deutlich, daß ich mit
der frohen Zuversicht in Alles hineingehe, daß es doch nur enden kann am
Herzen Gottes im ewigen Frieden; da scheint dann das Vorausgehende
unwichtig genug und soll Dich auch gar nicht beschäftigen: mein inneres
Auge wird jeden Augenblick hinter Allem nur die geöffneten Arme meines
Herrn und Heilands sehen. Mein fester Trost und Grund sind die Sprüche:
»Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen« und »Wenn Eure
Sünde blutrot wäre, so will ich sie doch schneeweiß machen« und dann
noch die vielen Kernworte von Gottes Liebe als dem tiefsten Grund Seiner
Einstellung zu uns. Daran halte ich mich fest und gewinne Kraft und vor
allem auch die Gewißheit, daß mein heißes Flehen um Euch nicht
vergeblich sein wird! Denn Euch gelten Gebete und Gedanken vor Allem und
umfassen in größter Liebe Euer ganzes kommendes Leben. Mein
Allerliebstes, Du sollst in allem Schmerz immer wieder spüren, daß Du
nicht allein dem Leben gegenüberstehst: Er ist bei Dir jeden Augenblick
und mag auch meines Flehens für Euch gedenken, wenn Er hilft. -
So wie Dein und Mamas Gebete mir den Weg geebnet haben.
Dann aber ist daneben die feste Zuversicht, daß wir beide einmal an
Seinem Thron vereint danken und loben werden für alle unverdiente Gnade,
von denen die größte ist, daß Er uns einst zusammenführte, wenigstens
von den irdischen Gaben.
Du sollst es ganz fest wissen, daß mein ganzes Herz nur Dir gehört, mit
Banden, die im Leben nur einmal geschenkt werden können, weil sie über
das Leben hinaus in die Ewigkeit reichen. Und neben dem Dank an den
Herrn gilt mein heißester, unaufhörlicher Dir, mein geliebtes Herz, und
wird Dir Begleiter meines letzten Herzschlages sein. Dank für die
unaussprechliche Liebe, die Du ohne Unterlaß um mich breitetest wie
einen goldenen Mantel. —
Und nun unsere beiden geliebten Kinder, die ich nach Gottes Willen ohne
mich lassen muß, aber in Seiner Liebe und Deiner Hut geborgen weiß. Sage
ihnen, daß die heißen letzten Gebete ihres Vaters und seine größte Liebe
sie auf der Erdenbahn begleiten und daß ich sie bitte, alle ihre Liebe
Dir zu schenken und immer, wenn sie meiner gedenken, Dir etwas besonders
Liebes zu tun als Gruß von mir. Was sie einmal werden und tun, ist nicht
wichtig. Wie sie es tun, nämlich an Gottes Hand, darauf kommt es an. Ihr
Vater hat da viel gefehlt, aber des Herrn Hand hat ihn doch nicht
losgelassen; sie will nur mit Inbrunst gesucht werden. Sag meinen Dank
auch allen anderen Lieben: Mama, den Geschwistern, den Eltern.
Sie alle haben mir, vor allem meine geliebte Mama, viel, viel mehr Liebe
geschenkt als empfangen und damit viel mehr Sonne in mein Leben
getragen, das ein so reiches und glückliches war, als sie es gewußt
haben.
Auch für sie gilt es: »Einst droben im Licht!«
Berlin - Plötzensee, 12. Oktober 1944 Königsdamm 7
Mein Allerliebstes!
Gleich gehe ich nun heim zu unserem Herrn in voller Ruhe und
Heilsgewißheit. Meine Gedanken sind in allergrößter Liebe und voll Dank
bei Dir, bei Euch. Ich bitte Dich als letztes: Klammere Dich nur an Ihn
und habe in Ihm volle Zuversicht: Er liebt Dich.
Jeder Entschluß, den Du nach Gebet im Leben für Euch faßt, hat meine
volle Billigung und meinen Segen. Wenn Du wüßtest, wie unvorstellbar
treu Er mir in diesem Augenblick zur Seite steht, wärst auch Du für Dein
ganzes schweres Leben gewappnet und ruhig. Er wird Dir Kraft zu Allem
geben. Ich segne die beiden geliebten Kleinen und schließe in mein
letztes Gebet innig ein: Der Herr lasse Sein Angesicht leuchten über
ihnen und führe sie Heim.
Innige Grüße und Dank meiner geliebten Mama, den Eltern und
Geschwistern. Mögen sie von Ihm behütet, im heißgeliebten Vaterland auch
schwere Zeiten überdauern.
Dir, mein Allerliebstes, gehört meine heiße Liebe und Dank bis zum
letzten Augenblick und seligen Wiedersehn. Gott behüte Dich.
Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider