Gertrud Lutz-Schlotlerbeck
( 1920 -1944)
24 Jahre alt - diplomierte Rechnungsfilhrerin und Buchhalterin - geboren
1920 in Stuttgart - aus einer antinazistischen Arbeiterfamilie, deren
Mitglieder seit dem Aufkommen des Nationalsozialismus verfolgt wurden. -
Nach Hitlers Machtergreifung zum ersten Mal verhaftet und während drei
Jahren in Gefängnissen und Konzentrationslagern interniert -
freigelassen, nahm sie die Tätigkeit inder Widerstandsbewegung auf und
setzte diese auch nach 1942 fort, als ihr eine Tochter geboren wurde und
der Gatte in der Schlacht um Stalingrad den Tod fand. - im Sommer 1944
mit ihrer ganzen Familie von der Gestapo ein zweites Mal verhaftet; das
Kind wurde ihr weggenommen und ein Bruder ermordet. -Am 30. November
1944 zusammen mit Vater, Mutter, einer Schwägerin und fünf Freunden der
Familie im Konzentrationslager Dachau umgebracht.
Liebe Alma und Otto!
Ich wende mich heute an Euch! Es geht mir um mein Kind — und an meine
Angehörigen kann ich mich nicht wenden, da ich von diesen nichts weiss.
Ich befinde mich seit dem 10. Juni hier in Schutzhaft.
Wie lange diese Massnahme dauern wird, entzieht sich meiner Kenntnis.
Klein-Wilfriede wurde mir am 10, Juni sofort genommen und in das NSV -
Kinderheim nach Waiblingen gebracht.
Nie werde ich das herzzerreissende Weinen des Kindes vergessen, als es
mir von fremden Händen genommen wurde.
Es könnte immerhin sein, dass das Kind eines Tages auch noch die Mutter
der Zeit zum Opfer bringen muss.
Da möchte ich vorsorgen. Ich bitte Euch also, wenn das Schlimmste
eintreten sollte, nehmt Euch des Kindes an, seid ihm Vater und Matter
und erzieht es zu einem rechten Menschen.
Vergesst aber nie, unserm Kind, wenn es einmal in ein verständiges Alter
gekommen ist, - vom Lehen und Sterben seiner Eltern zu erzählen.
Ich wünsche unserem Kind ein glücklicheres Leben, als es das meine
bisher war. Möge es nie solche Schläge im Leben bekommen.
Für mich war das Kind ein unsagbares Glück, insbesondere als mich die
grausame Nachricht von Walters Tod traf.
Heute bereitet mir das Kind schmerzlichen Kummer. Vielleicht wäre es
besser gewesen, das Kindchen wäre mir nie geschenkt worden.
Das mein Herz voll Bitternis ist, versteht Ihr vielleicht, vielleicht
auch nicht. Bleibt gesund und wohlbehalten Mit vielen herzlichen Grüßen
Eure Trudel
" Und die Flamme soll euch nicht versengen" / 1955 Steinberg Verlag
Zürich 1955