BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

ALFRED SCHMIDT - SAS

1895 - 1943


 




Am Ende des Lebens gehen dem gefaßten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare;
sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.
Goethe



Alfred Sdimidt-Sas, geboren am 26. März 1895 in Schlegel bei Zittau in der Lausitz, Lehrer und Musiker, widmete sich als Erzieher und Agitator dem Kampf gegen die nationalsozialistische Bewegung. Mehrfach erlitt er Haft im Konzentrations­lager. Am 9. Oktober 1942 wurde er vom Volksgericht zum Tode verurteilt und am 9. April 1943 in Plötzensee hingerichtet.





Ob einer mit hölzernen oder goldenen Figuren ficht,
Das entscheidet beim Schachspiel und auch im Leben nicht.
Wie einer spielt, wofür einer spielt, darauf kommt es an.
Das zeigt den Mann.

Ob dich nach der Sektion eiligst ein Diener wegträgt,
Oder ein Staatsbegräbnis dich zum Prachtgrab bewegt,
Wie einer stirbt, wofür einer stirbt, darauf kommt es an, Das zeigt den Mann.


Oktober 1942 in der Todeszelle geschrieben

Aus Plötzensee.

Dies schreibe ich am Montag, den 8. März (1943). Auch die schrecklichen Minuten gegen 13 Uhr, wenn man die Abendopfer aus den Zellen holt und das Haus den Atem anhält, auch diese Minuten sind für heute vorüber, und der Tag kann als gewonnen gebucht werden ...



21. März 1943

Morgen ist wieder ein kritischer Tag erster Ordnung, und niemand weiß, ob ich in vierundzwanzig Stunden noch in dieser Zelle und in dreißig noch am Leben bin. Aber dem Tode ist alle Bitterkeit genommen — nicht die Traurigkeit natürlich, aber ist sie nicht beinahe süß? Gerade jetzt empfinde ich dies ganz stark, wo ich eben aus einer tiefen, namenlosen Vereinigung mit Dir mich wieder zu Worten und Begriffen zurückfinde. Woher mag es stammen, was unsere Seele mit Zaubergewalt anrührt und zusammenführt?
Warum springt dieser Brunnen nicht immer? ... Ich saß auf meinem harten Stuhl in der Zelle wie die hundert und hundert Stunden vordem und steckte doch ganz und ungeteilt in allem: in Natur, Mensch und Kunst. Die Unterschiede zwischen Tod und Leben ver­schwanden über der Freude: zu sein...

28. März 1943

Mittags halb ein Uhr. Vier Märtyrer wurden eben aus den Zellen geholt... So werde ich zwei - bis dreimal in der Woche nahe an den Abgrund geführt, und während ich mich zwinge ruhig hinabzuschauen, warte ich auf den kleinen Stoß, der genügt, mich hinabzustürzen ...

4. April 1943

Ich nähere mich wieder einer Dämmerung ... es ist die Dämmerung, die den Morgen und den neuen Tag verkündet. Diesen vermag ich mir nicht anders vorzustellen als mit Dir, an Dir, in Dir ... Es ist fünf Stunden später; eben bin ich nach sieben verlegt worden, d. h. heute abend, in weiteren fünf Stunden werde ich hingerichtet.
Ein großer Friede erfüllt mich und eine große Leichtigkeit.
Alles Schwere ist abgetan! Und niemals hatte ich Deine und der anderen Liebe so rein, so innig und unbefleckt. Ich bin auf unerklärliche Art glücklich.
Behaltet mich so im Gedächtnis ...



Letzter Brief

Am hohen blaßblauen Frühlingshimmel stand eine kleine weiße Wolke. Einige Atemzüge später hatte sie sich im All aufgelöst. War sie deshalb weniger da als vorher? Nichts kann vergehen was einmal war. Es bleibt im Weltgesicht! Ein tiefer, lösender Friede umfängt mich. In mir blüht eine staunende Ergriffenheit auf und erfüllt mich ganz: das Wesentliche im Leben und im Menschen wird durch den Tod nicht betroffen. Und so bleibe ich ganz bei Dir und Du bei mir. Ich sterbe mit einer Beschwingtheit, die nicht einmal Tränen duldet, denke doch, nicht einmal Tränen.
In unsagbarer Reinheit stehe ich der Welt gegenüber, stehe mitten in ihr, und diese letzten Stunden sind in Wahrheit die Höhe des Lebens die Höhe des Lebens. Was ich nun noch zu schreiben habe, ist nur zweierlei: Worte des Dankes und Worte meiner nie endenden Liebe zu Dir.

Meine unvollkommenen Gedichtzeilen sind ein schwacher Abglanz von dem, was Du mir erst gegeben hast. In dem Maße, wie mir Deine Liebe steigend bewußt wurde (und wie sie sich steigerte bis zur Hingabe des eigenen Lebens), in dem Maße wie ich Dich lieben, immer inniger lieben lernte; im gleichen Maße wurde ich vollkommen, verbreitete sich der lichte Schein der Güte, entwirrte sich die Welt, wuchsen Kraft und Glück in mir, und allen Menschen wurde ich gut, unsere Erde liebte ich neu; das, Liebste, schufst Du!

Und eine gnadenvolle Fügung war Dein letzter Besuch, unsere letzte sinnlich-sichtbare Vereinigung; wenn wir die Zukunft gewußt hätten, wären wir wohl nicht stark genug gewesen. So sehe ich Dich bei mir als Bild glückseligster Hoffnung, und ich sterbe, als ob ich im Kuß an Deinen Lippen hinge.
Von meiner Liebe kann ich Dir nicht sprechen, sie ist so stark geworden, daß sie alle Sprachformen auseinandersprengt. Meine Bitte: Verschließ Dich nicht der Schönheit dieser Welt, gib Dich dem Leben hin, bringe durch Dein Wesen, Deine Kunst, durch Deine Stimme Freude, Glück, Güte und Friede. Wie gern wollte ich Dir dabei helfen! Laß alle wissen, die mit an mir gebaut haben, daß die letzten Stunden und der Tod die Krönung meines Lebens sind, daß ich bleibe ganz der Deine!


O seltsam lichtes Leben dicht am Tod

Fast neun Schritte lang
ist meine letzte weißgetünchte Welt
vielleicht neun Tage noch,
dann fällt mein Kopf,
der jetzt noch denkt und spricht und sieht und hört

So nahe wartet schon der große Schlaf
mit seiner dunklen Schwinge überschattend
die grelle Glut von Wünschen oder Ängsten.
Er sänftiget die längsten, allerbängsten,
die Augenblicke bitt'rer Menschennot.
O seltsam lichtes Leben dicht am Tod.

(Mit gefesselten Händen geschrieben)





Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider



 

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