Alexander Schmorell
geboren am 16. September 1917 in Oreburg/Rußland,
hingerichtet am 13, Juli 1943 in München-Stadel
München, 1. Mai 1943
Viel Neues kann ich Euch ja nicht schreiben, ein Tag ist bei uns wie der
andere und die Zeit vergeht sehr schnell. Lieber Vater, liebe Muter,
wenn ich jetzt sterben muss, so müsst Ihr wissen, dass ich vor dem Tode
keine Angst habe - nein, deshalb dürft Ihr Euch keinen Kummer machen -,
ich weiß doch, dass ein schöneres Leben uns erwartet und uns alle wieder
zusammenführt.
Was mir schwerfällt, ist, dass ich mich von Euch allen trennen muss, von
Euch allen, die ich so geliebt habe, und die ihr mich so geliebt habt!
Wie ich Euch alle geliebt habe, spüre ich erst jetzt bei der Trennung,
wo ich Euch alle verlieren soll. Versucht den Schmerz des Verlustes zu
überwinden, vergeßt nicht, dass es ein Schicksal gibt, dass dieses mir
kein längeres Leben vorgesehen hatte und dass es deshalb so kommen
musste. Und gegen den Willen Gottes geschieht nichts.
Grüßt alle, alle herzlichst von mir. Es umarmt und küsst Euch viele,
viele Male
Euer Schurik
München, 3o. Mai 1943
Meine lieben Eltern!
Neues kann ich Euch von hier nicht berichten, alles ist beim alten. Aber
einiges möchte ich Euch noch sagen, damit Ihr Euer Leid etwas leichter
tragt. Sollte die Begnadigung abgelehnt werden, so bedenkt doch,
dass»Tod« nicht das Ende jeden Lebens bedeutet, sondern eigentlich im
Gegenteil - Geburt, Übergang zu einem neuen Leben, einem herrlichen und
ewig dauernden Leben! Der Tod ist also nichts Schreckliches. Hart und
schwer ist die Trennung.
Aber sie wird weniger hart und schwer bei dem Gedanken, daß wir uns ja
nicht für ewig trennen, sondern nur für eine Zeitlang - wie für eine
Reise um uns dann für immer und ewig zu treffen, in einem Leben, das
unendlich schöner ist als das jetzige, und dass es dann für das
Zusammensein kein Ende gibt.
Bedenkt das alles, dann wird Euch die Last bestimmt leichter werden! Es,
umarmt und küßt Euch
An die Schwester
Meine liebe, liebe Natascha!
München, 2. Juli 1943
Du hast die Briefe, die ich an die Eltern geschrieben habe, sicher
gelesen;
so dass Du ziemlich Bescheid weißt. Es wird Dich vielleicht wundern,
wenn ich Dir schreibe, dass ich innerlich von Tag zu Tag ruhiger werde,
ja sogar froh und fröhlich, dass meine Stimmung meistens besser ist, als
sie es früher in der Freiheit war! Woher das
kommt? Das will ich Dir gleich erzählen: Dieses ganze harte "Unglück"
war notwendig, um mich auf den wahren Weg zu bringen und deshalb war es
eigentlich gar kein Unglück.
Vor allem bin ich froh und danke, Gott dafür, daß es mir gegeben war,
diesen Fingerzeig Gottes zu verstehen und dadurch auf den rechten Weg
zugelangen.
Denn was wußte ich bisher vom Glauben, vom wahren, tiefen Glauben, von
der Wahrheit, der letzten und einzigen, von Gott? Sehr wenig! - jetzt
aber bin ich soweit daß ich auch in meiner jetzigen Lage froh und ruhig,
zuversichtlich bin - mag kommen, was da wolle.
Ich hoffe, daß auch Ihr eine ähnliche Entwicklung durchgemacht habt und
daß Ihr mit mir zusammen - nach den tiefen Schmerzen der Trennung - auf
dem Standpunkt angelangt seid, wo Ihr für alles Gott dankt.
- Dies ganze Unglück war notwendig, um mir die Augen zu öffnen - doch
nicht nur mir, sondern uns allen, all denen, die es getroffen hat - auch
unsere Familie. Hoffentlich habt auch Ihr den Fingerzeig Gottes richtig
verstanden. Grüße alle herzlichst, besonders sei aber Du gegrüßt von
Deinem
Schurik
München, den 13. Juli 1943
Meine lieben Vater und Mutter!
Nun hat es doch nicht anders sein sollen, und nach dem Willen Gottes
soll ich heute mein irdisches Leben abschließen, um in ein anderes
einzugehen, das niemals enden wird und in dem wir uns alle wieder
treffen werden. Dies Wiedersehen sei Euer Trost und Eure Hoffnung. Für
Euch ist dieser Schlag leider schwerer als für mich, denn ich gehe
hinüber in dem Bewußtsein, meiner tiefen Überzeugung und der Wahrheit
gedient zu haben. Dies alles läßt mich mit ruhigem Gewissen der nahen
Todesstunde entgegensehen. Denkt an die Millionen von jungen Menschen,
die draußen im Felde ihr Leben lassen - ihr Los ist auch das meinige. In
wenigen Stunden werde ich im besseren Leben sein, bei meiner Mutter, und
ich werde Euch nicht vergessen, werde bei Gott um Trost und Ruhe für
Euch bitten. Und werde auf Euch warten! Eins vor allem lege ich Euch ans
Herz: Vergeßt Gott nicht !!!
Euer Schurik
Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider