PAUL SCHNEIDER
1897 - 1939
Man muß Gott mehr gehorchen denn den Manschen
Apostelgeschichte 5,29
Pfarrer
„Ein Märtyrertum ist niemals der Plan eines Menschen; denn der wahre
Märtyrer ist der, der ein Werkzeug Gottes geworden ist, der seinen
Willen in dem Willen Gottes verloren hat, nicht verloren sondern
gefunden hat, denn er hat die Freiheit in der Unterwerfung unter Gott
gefunden.
Der Märtyrer begehrt nichts mehr für sich nicht einmal den Ruhm des
Märtyrertums" T. S. Eliot].
Im Glauben gibt sich der Mensch wie ein Werkzeug Gott in die Hand. So
war es die Kraft seines Glaubens und die Treue, mit der er zu seinem
Ordinationsgelöbnis stand, die Paul Schneider, Pfarrer zu
Dickenschied-Womrath, geboren am 29. August 1897 in Pferdsfeld, Kreis
Kreuznach, zu einem auserwählten Zeugen werden ließen. Sein Auftrag war,
die Wahrheit des Wortes zu verkünden und nichts als die Wahrheit. Als
ihm das Widerspiel des Christentums, die Lüge als politische Macht,
entgegentrat, nannte er sie beim Namen und verwirkte dadurch sein Leben.
Er konnte das Wort nicht lehren ohne es auch zu leben. Er tat dies in
aller Schlichtheit und ließ sich auch dadurch nicht beirren, daß er sich
allein und ausgeliefert fand.
Gott hatte es so gewollt, und Sein Werkzeug, Sein Zeuge gehorchte. So
durfte er sich mit seinem von ihm nicht gewählten aber frei erduldeten
Leiden seinem gekreuzigten Erlöser zugesellen.
Es begann schon im ersten fahre des nationale sozialistischen Regimes
mit einer Strafversetzung. Bald folgte ein bedrohlicher Zusammenstoß,
als sich Pfarrer Schneider am Grabe eines Pfarrkindes gegen die
politisch – heidnischen Mythologisierung des Jenseits wehrte. Die
Furchtbarkeit der Prüfung, die ihm auferlegt werden sollte, kündigte
sich an. Schneider gehörte nicht zu denen, die in vorwegnehmender
Resignation besitzen als besäßen sie nicht. Er liebte Frau und Kinder
mit der ungebrochenen Kraft eines reichen Herzens. Niemand ermißt den
Abgrund des Leids und der Entsagung, durch den er gehen mußte, um einem
zur Vorsicht mahnenden Freund erwidern zu können: „Glauben Sie, daß ich
meine Kinder von Gott erhalten habe, um nur für ihr äußeres Fortkommen
zu sorgen?
Wurden sie mir nicht anvertraut, um sie für die Ewigkeit zu bewahren?"
Zu Pfarrer Schneider kam das Martyrium wie ein Auftrag, dem er sich
nicht entziehen konnte.
Aber in der gehorsamen Ausführung wurde der Auftrag ganz seine Tat, in
Freiheit und mit ganzer Kraft der Seele erkämpft und gewollt. Das „Pastörlein
aus dem Hunsrück", wie er sich einmal nannte, erkühnte sich, dem Staat
den Gehorsam aufzukünden. Es ging dabei immer um die Frage: guter Hirte
oder Mietling? Sollte er dem Ausweisungsbefehl folgen oder gegen diesen
Befehl zu seiner gemeinde zurückkehren?
So sehr auch die Wohlmeinenden warnten, Paul Schneider tat wie der gute
Hirte.
Das Wort; „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht
scheiden ", gilt, so meinte er,
für die Zugehörigkeit des Pfarrers zu seiner Gemeinde ganz wie für den
heiligen christlichen Ehestand.
Er wurde verhaftet, mit Ausweisungsbefehl freigelassen, er predigte
trotz Befehl von der ihm verbotenen Kanzel und wurde wiederum verhaftet.
Am 24. Juli 1937 war er aus der Haft entlassen, doch zugleich aus der
Rheinprovinz ausgewiesen worden . Wie zur inneren Zurüstung für die
kommende Prüfung hatte er im Februar 1937 in Dickenschied und Womrath
Über Lukas 18, 31-43 gepredigt.
In dieser Predigt sagte er: „Daß unser gekreuzigter Herr uns mitnehmen
möchte hinaus auf die Höhe des Kreuzes, hinab in die Tiefen des Leidens,
das dürfte jedem allmählich deutlich geworden sein, der den Herr
Christus aufrichtig lieb hat ... Der Weg des Meisters ist aber der Weg
seiner Jünger und seiner Gemeinde, so wie es die Apostel hernachmals
auch gelernt und erfahren haben. Auch für die Jünger und die Gemeinde
kann es nur durch Leiden zur Herrlichkeit, durch das Kreuz zur Krone
gehen. ... Die der Kirche günstig Gesinnten sind schon baß erschrocken
über den geringen Anfang von Kampf und Leiden, in den Gott uns geführt
und meinen, es könne doch unmöglich so weiter gehen; und indem sie das
meinen, nehmen sie dann sich jedenfalls von solchem Leidensweg aus. Die
anderen aber, die Feinde der Kirche, urteilen nun vollends, daß unsere
Sache, die Sache Jesu Christi aus und verloren sei, daß von der Kirche
jetzt schon nur noch ein Haufe sich streitender Pfarrer übrig sei und
man die Kirche ruhig ihrem sich von selbst vollziehenden Ende überlassen
könne. Und beide, Freunde wie Feinde, können nicht sehen, daß der
Sterbensweg der evangelischen Kirche nun gerade der Weg Jesu, der Weg
des Kreuzes, der Weg zum Leben ist. ... So hat uns Gott in der
Kreuzesnachfolge unseres Herrn einen Weg gegeben durch Leiden zur
Herrlichkeit. Ist er nicht am Ende doch der schönste und beste Weg durch
dieses Erdenleben?
Der Weg, bei dem wir nicht im Bettelleben dieser Welt bleiben, sondern
reiche, gesegnete Kinder unseres reichen, himmlischen Vaters sein
dürfen? Der Weg, auf dem wir nicht auf die schalen, nichtigen, giftigen
Freuden dieser Welt angewiesen sind sondern die Freude am Herrn
allerwege gewinnen dürfen?" Auf dem verbotenen Heimweg zu seiner
Gemeinde bat Schneider in nächtlicher Stunde Bruder Mettel in Kirn, ihn
für wenige Stunden rasten zu lassen. „Ist es nötig, sich so in Gefahr zu
begeben?", fragt Bruder Mettel. Statt aller Antwort schlägt Pfarrer
Schneider seine Taschenbibel auf und liest: „Ich bin der gute Hirte
[dabei weist er von sich in die Höhe). Der gute Hirte läßt sein Leben
für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe
nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und
flieht.Und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber
flieht; denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht. Ich wieder
der bedeutungsvolle Fingerzeig aufwärts ) bin der gute Hirte." Bruder
Mettel vermag nur zu sagen: „Dann gehen Sie in Seinem Namen." Die
endgültige Trennung ließ nicht lange auf sich warten. Es war am Tag des
Erntedankfestes. Die Gemeinde war glücklich darüber, ihren Pfarrer wie
sonst seines Amtes walten zu seben. Der geschmückte Altar, die Predigt,
die freudigen Dankhymnen — alles war wie in früheren Jahren. Nur wenige
Getreue bemerkten, wie das Auge des Pfarrers nach dem Segen die Gemeinde
mit einem Blick umfaßte, in dem sich Liebe und Schmerz verbanden und der
sich dann, als wäre der Abschied schon vollzogen, in Entrückung verlor.
Es war noch Zeit, den Abendsegen an den Betten der Kinder zu beten. Dann
erfolgte die Verhaftung.
Gefängnisbriefe
Koblenz, 10. Oktober 1937
... Nun bin ich wieder eine Woche von Euch Lieben fort im heiligen
Kriegsdienst der Kirche Jesu Christi... Was mit mir wird, weiß ich noch
nicht. Es ist leicht möglich, daß es Konzentrationslager gibt. Dann
wollen wir uns beide auch getrost darein fügen! Jedenfalls bin ich noch
nicht irre daran geworden, daß mein Entscheiden und Handeln recht
gewesen ist. Vielleicht hast auch Du, Liebe, im Herzen die Getrostheit
über das Recht unseres Weges gewonnen.
Vielleicht wird es Dir auch schon durch Geschehnisse in der Kirche und
den Widerhall bei den Brüdern bestätigt, daß es recht war, hier dem
Gebot der Obrigkeit nicht zu weichen. Im übrigen wird ja ferner Gott
fest zu seinen Verheißungen stehen und uns tragen und helfen an Leib und
Seele nach Seiner allmächtigen Kraft. Er wird uns den Trost geben in
allem Leiden und den Segen von allem Leiden.
Die aber das Leiden heute noch vermeiden wollen, die sollen wohl
zusehen, daß sie nicht verwerflich und von Gott verworfen werden. Ich
kann es einfach nicht fassen oder verstehen, daß man von Gott Freiheit
bekommen könnte, sich um die Fürbitte für die Brüder und andere gebotene
Zeugnisse herumzudrücken. Darum sei getrost und still, auch wenn wir
weiter die einzigen sind, die in die Tiefen der Verfolgung hineinmüssen.
„Lasset euch die Hitze, die euch widerfährt, nicht befremden, als
widerführe euch etwas Sonderliches. Vielmehr freuet euch, daß ihr mit
Christus leidet!" Er kommt schon bald, und es kommt zuletzt die
Erquickungszeit vom Angesicht unseres Gottes, „da wird all ihr Gram und
Leid lauter Freud und Lachen".
17. Oktober 1937
... Oft, liebes Weib, komme ich mir wie ein rechter Rabenvater vor und
denke, warum gerade ich das alles über Euch bringen muß, und ob ich ein
Recht dazu habe, warum gerade ich mit unseren Gemeinden so exponiert
sein muß. Dann sitze ich in rechter Bußstimmung in meiner Zelle, die
dafür die richtige Umgebung ist. Aber wir können doch auch nicht anders,
als den Weg gehen, den Gott uns führt und bei allem Nachsinnen ist es
mir noch nicht gekommen, daß und wie wir es anders hätten machen können.
So müssen wir unsere Sache getrost Gott anheimstellen und es Ihm
überlassen, daß Er uns rechtfertigt, rechtfertigt im Glauben an unserem
Geiste und Gewissen in aller unserer Sünde und rechtfertigt auch vor der
Welt, wenn es Zeit ist. ... Und nun wollen wir trauen der Verheißung des
Herrn, daß, wer all die Seinen und all das Seine verläßt um Jesu willen,
es hundertfach wiederbekommen soll in dieser Welt und in jener das ewige
Leben. Der Kastanienbaum wird mir dann zu Gottes schöner weiter Welt und
die Welt zu Gottes Ewigkeit, der so viel schöneren — „als die nichts
inne haben und doch alles innehaben". Herr Jesu, gib mir solchen Sinn
beharrlich, bis ich komm dahin.
18. Oktober 1937
... Ich sitze auf meinem lustigen Sitz am Fensterbrett, genieße den
Ausblick in die Kastanienbaumkrone, die nun in wenigen Tagen gelb
geworden ist, die Blätter im Wintersterben mit letzter Kraft noch
festhaltend. Immerhin sieht man schon das feingegliederte Geäst der
Krone, die nun bald nackt und kahl l dastehen wird.
So kommt der Herbst - und Wintersturm mich über die Kirche und
Christenheit, und es wird sich zeigen, was nur Blätter gewesen sind und
was kernig und holzig ein Stück des Baumes selber geworden ist, der zwar
die Welt erfüllt nach Jesu schönem Gleichnis, aber doch auch so nackt -
und kahlgeschlagen werden kann wie ein Baum im Winter. Möchten wir uns
dann nicht ärgern an dem traurigen und störrischen Geäst, das doch für
den Sehenden und Freund auch seine Schönheit hat...
Daß Du mir so getrost schreiben konntest, hat mich so froh gemacht, und
ich glaube fest, daß Du nicht nur Sorge und Last, sondern auch Segen und
Freude und Frieden, der höher ist als alle Vernunft, durch unsern
„Leidensweg", den ich Dir aufbürde und den Du doch so gefaßt und tapfer
trägst, hast... So hilfst Du vielleicht noch mehr als ich mit, daß auch
andere sich der uns befohlenen und angebotenen Leiden um des Glaubens
willen nicht weigern, sondern Freudigkeit — nicht Lust dazu gewinnen.
Und ganz gewiß will Gott auch unsere Kinder mit einbeziehen unter den
Segen unseres Weges ...
31. Oktober 1937
... Und gelt, Liebste, das haben wir nun durch unsere verschiedenen
Trennungen auch erfahren, daß das innere Zusammengehören im Glauben vor
Gott wichtiger, ja entscheidend wichtig ist, gerade auch für Eheleute, „daß
eins das andere mit sich in den Himmel bringe".
Deine Liebe und Dein Trost und, ich darf sagen, auch Dein Glaube haben
mich froh gemacht und mir weitergeholfen auf dem Weg des Glaubens, den
ich, nein, den wir beide gehen dürfen. Entschädigt uns das nicht reich
für alles äußere Vermissen und Entbehren aneinander, das wir nun tragen
müssen?
Daß auch Du darüber nicht murren und traurig sein willst, das hat mir
Deinen letzten Brief so köstlich gemacht... Heute morgen hatte ich
wieder meinen schönen Gottesdienst mit Evangelium und Epistel und
Gebeten und Liedern.
Da denke ich dann Eurer... Das Evangelium wurde mir so groß: wie Gott,
der ein Recht hätte, da Er mit uns „rechnen" muß nach dem Gesetz, uns
mit Weib und Kind zu verkaufen, uns doch nach Seiner Gnade in Jesus
Christus losläßt in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Daß wir
nun auch unseren Mitmenschen und Schuldnern gegenüber nicht als
Schalksknechte erfunden würden!
26. Oktober 1937
... Du kannst Dir denken, wie ich mich sehne nach den Gottesdiensten
unserer Gemeinden oder auch nach dem Zuspruch des Wortes Gottes durch
einen anderen Bruder, denn „ich wollte gerne hingehen und mit ihnen
wallen zum Hause Gottes mit Frohlocken und Danken mit dem Haufen derer,
die da feiern" [Psalm 42).
Aber Gottes Geist und Segen sind ja nicht gebunden und kommen auch in
der Stille und Einsamkeit meiner Zelle auf eine sonderliche Weise zu
mir. In der Stille und Einsamkeit mit Gott und Seinem Wort hat jetzt
unsereins reichlich das, was er sonst zu wenig hat oder sich zu wenig
genommen hat. Darum dürfen wir Pfarrer in den Gefängnissen auch für uns
persönlich die Haftzeit als freundliche Führung Gottes ansehen.
31. Oktober 1937
... Wieder ist es Sonntagnachmittag. Gott macht auch hier im Gefängnis
seine Verheißung wahr, die er auf den Sabbattag gelegt hat und kommt mit
reichem Segen aus Seinem Wort und mit feiertäglichem Frieden in Zelle
und Herz und, ich glaube, auch zu den Kameraden . . . Vielleicht werden
wir die schweren Worte des Korintherbriefes noch brauchen können. Wir
sind beide Gott dankbar, daß ich die Zeit hier ein solch friedliches
Asyl mit allem darin, geschenkten Gottessegen hatte.
Das darf uns aber nicht darüber täuschen, damit wir nachher nicht
enttäuscht sind, daß meine Lage nach wie vor sehr ernst ist. Das brachte
mir ein Besuch von Herrn O., der Dich auch vernommen hat, am
Freitagabend zum Bewußtsein. Er forderte mich noch einmal auf, zu
unterschreiben, daß ich meine Ausweisung annehmen und nicht mehr ins
Rheinland zurückkehren wolle. Ich weigerte mich natürlich mit Berufung
auf die Bindung des Hirten an seine Gemeinde. Darauf sagte er: „Sie
ziehen also Konzentrationslager vor." Ich sagte, ich ziehe das nicht
vor, aber wenn ich es erdulden soll, muß ich auch das erdulden können..
. Ich weiß, daß Gott, der bisher so freundlich mit uns war, auch weiter
uns beistehen und keine Lage zu schwer werden lassen wird.
... Der Kastanienbaum am Fenster ist jetzt fast ganz kahl , nachdem die
letzten Tage ihm fast alle Blätter geraubt, aber der Himmel schaut nun
um so heller und durchscheinender herein in diesen letzten schönen
Herbsttagen, und die Vögel tummeln sich noch munter in seinen Zweigen.
So mag es auch über unserem Ehe- und Familienleben noch rauher und
kahler werden. Bisher hatten wir es unverdient gut und schön - nun hat
sich das liebe Kreuz auch bei uns auf diese Weise ungestellt. — Aber das
wird dann Gott ganz gewiß wahr machen, daß er Seine Ewigkeit, das Reich
der Himmel, das wir glauben, nur heller durch die Trübsal scheinen läßt.
Auch unsere Kinderlein, die lieben muntren Vögelein, wird er noch
fröhlich und sicher wohnen lassen auf den Zweigen unseres Glaubens,
unserer Liebe, unserer Hoffnung und unserer Gebete. „Und seine Kinder
werden auch beschirmt" .., — Laß Dir, Liebste, immer das Gebet für alles
das Wichtigste sein und laß uns immer nichts tun ohne Gebet. Wie sind
wir Christen in allen Lagen so wohl geborgen, schriebst Du mir in Deinem
ersten Brief nach hier. Ja, so oft ich ruf und bete, weicht alles hinter
sich ...
2. November 1937
... Was nun immer mit uns geschieht, Liebste, sei versichert, daß ich
auch Deinen Schmerz mittrage. Aber dessen wollen wir beide versichert
sein, daß der Herr Jesus und Gottes treues Vaterherz unser beider
Schmerz schon vorher getragen hat, daß er uns darum nicht kann versucht
werden lassen über unser Vermögen sondern schaffet, daß die Versuchung
so ein Ende gewinne, daß wir es können ertragen...
7. November 1937
...Du fragtest, was ich den ganzen Tag mache. In der Hauptsache bin ich
Schüler am göttlichen Wort und will's auch bleiben... Wieder predigt mir
der Kastanienbaum und streckt mir nun von seinen kahlen schwarzen
Zweigen so verheißungsvoll die braunen kleinen Knospen für nächstes
Frühjahr entgegen. Man sieht sie nahe vor dem Fenster und sieht sie auch
in den obersten Zweigen. Sie waren schon da, als das gelbe fallende Laub
sie noch verhüllte.
Sollten wir in Undank und Kleinglauben unter den fallenden welken
Blättern der Kirche die auch hier vorhandenen fest an Stamm und Zweige
gewachsenen Knospen übersehen wollen?
Liebes Weib, ich meine, wir wüßten davon aus eigenem Herzenserleben zu
sagen und zu glauben auch für unsere Gemeinden. ... Die Bekennende
Kirche, die es wahrhaft ist, ist der Baum mit den Knospen; die
heimlichen Gemeinden in den Gemeinden sind die Knospen der Kirche. Da,
wo man bereit ist, auf Pfarrstellen zu gehen, die keine „ Pfarrstellen"
mehr sind, die auch ohne gesicherte „staatsfreie Position" bestehen,
weil eine solche „Position" kein Glaubensposten mehr wäre, da wo alle
kirchenpolitischen Erwägungen und Überlegungen aufhören, da sieht schon
jetzt das geistige Auge die kommende Kirche und ihren Frühling. Die Welt
freilich und der ungeistliche Kirchenmann sehen den kahlen Baum seiner
Kulturbedeutung, seiner öffentlichkeitsbedeutung beraubt und urteilen,
daß es bald aus mit ihm sei und er nur noch zu Brennholz tauge, wenn ihm
die Anerkennung der Welt und des Staates versagt bleibt. Sie retten sich
in das Schlinggewächs der falschen Kirche und Staatsreligion, das sich
an dem in Wahrheit gerichtsreifenBaum dieser gottlosen, selbstherrlichen
und selbstsicheren Welt üppig emporrankt, um dann mit dem Baum dieser
vergehenden Welt zu stürzen und verbrannt zu werden.
Wir aber bleiben sitzen in den Zweigen der armen, kahlen, verachteten,
geschändeten Kirche, die uns so verheißend ihre Knospe entgegenstreckt
und wissen es, sie und sie allein trägt die Verheißung, daß die Pforten
der Hölle sie nicht überwältigen wurden. Nur in ihr kann man sicher
wohnen, „wohlgeborgen In allen Lagen"; nur in dem Glauben, der die
unverwüstliche Kraft ihres Lebens und Knospens ist, ist wahre Freiheit
und Freude, und wir wollen es ferner nur immer mehr und immer
eindeutiger halten mit diesem Glauben, aus ihm leben und nun ihm handeln
als die reich „Getrösteten", weil dieser Glaube allein der Sieg ist, der
das Gefängnis und die Todesmacht dieser Welt überwunden hat. „Und mag
die Welt vergehen mit ihrem eitlen Lohn, der Glaube bleibt bestehen, das
Kreuz bringt uns zur Krön".
Koblenz, 8. November 1937
... Man lebt hier in der Zelle ein ganz eigentümliches Leben. Die
Außenwelt ist einem fast versunken. Ob Winter oder Hummer ist, berührt
einen kaum. Auch die Ereignisse im Volks- und Weltgeschehen sind einem
ferner gerückt, wenigstens schaut man sie von einer anderen, darf ich
sagen, höheren Warte durch das innerliche Leben, das man zu führen
genötigt ist und das einen in seine eigene Seele, in Gott und in die
Ewigkeit hinein schauen läßt.
Das ist nun unser evangelisches, nicht wie bei den Katholiken
selbsterwähltes, sondern, von Gott uns verordnetes Klosterleben auf
Zeit, das uns als solches gut und heilsam sein muß. - Unsere Briefe
können ja nichts anderes sein als kurze Besuche mit Anstandsperson, wie
das für Brautleute üblich war. Auch dieser wie jeder Brautstand geht
vorüber und führt uns zu neuer Freude.
Am Ende allen Vermissens und Wiederfindens aber steht für uns Christen
die ewige Hochzeitsfreude, da auch unsere Ehe und Liebe neue selige
Erfüllung finden wird in der Gemeinschaft Gottes und unseres Heilandes.
Wir wollen dankbar sein auch für diese „bräutliche" Aussprache, die uns
noch geschenkt ist.
14. November 1937
. . . Gott schenke Dir Kraft und Hilfe nach Seiner Verheißung: Er legt
uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. „Wie deine Tage, so deine
Kraft, und unter dir sind ewige Arme." Die tragen und halten fest.
Gelt, das Schwerste ist die Gewissenslast, daß man immer sorgt, daß
man's recht macht und vor Menschen, und vor Gott bestehen kann. Das ist
die Last, die uns Christen vor anderen aufliegt, viel schwerer als alles
äußerliche Leiden. Dies wenigstens will ich mit Dir und für Dich tragen
und manchmal liegt mir diese Last auch sehr schwer auf, und ich muß mich
im Glauben immer wieder mühsam hochkrabbeln, daß ich vertrauen kann, daß
Gott mein ganzes, unvollkommenes und sündiges Tun und Verantworten und
Bekennen in Gnaden ansieht.
In solchen Stunden wollen wir dann vertrauen, daß Er unser sündiges
Menschenwerk um des vollkommenen Opfers und Werkes Jesu willen in Seine
treue Gotteshand nimmt und heiligt und reinigt und segnet. Über unserem
ganzen Tun und Leben bleibt es wahr: Gottes Gnad' und Christi Blut macht
ja allen Schaden gut. So wollen wir aufs neue alles in Seine Hände
befehlen.
24. November 1937
Nun sind, wie es scheint, die Würfel gefallen. Lager, ob es nun
Konzentrationslager oder Schutzhaftlager heißt, ist wohl einerlei. — Was
soll ich Dir nun noch raten? Das ist von außen her so leicht und billig.
...Bedenke: „Lieber alle Kreaturen preisgeben, denn im geringsten wider
Gottes Willen tun", und traue der Verheißung zugleich: „Wer Gott
fürchtet, der hat eine sichere Zuflucht und seine Kinder werden auch
beschirmt," Gott wird Dir Kraft geben, Du Liebe, Deinen Weg zu gehen.
Kurz vor dem Transport ins Konzentrationslager Buchenwald gelingt es
Paul Schneider dank der Freundlichkeit des Kerkermeisters einige Zeilen
an seine Frau gelangen zu lassen: . . Wie wir es bisher getan haben, so
wollen wir weiter Gott allein vertrauen, in Demut und Geduld von IHM
allein alles Gute erwarten und IHN von ganzem Herzen lieben, fürchten
und ehren.
So wird Gott mit uns sein, und wir werden nicht zuschanden werden in
unserer Hoffnung. Seid getrost und treu und fürchtet Euch nicht. Ich
behalt Euch fest in meinem Herzen. In Gott sind wir ungeschieden. Hab
nochmals innig Dank für alle Liebe nach hier. Wir wollen dankbar sein
für diese schöne Vorbereitungszeit für härtere Proben. Neue Leiden
sollen uns neue Erfahrungen unseres Gottes und neue Herrlichkeiten
bringen. Christus spricht: Ich bin bei Euch alle Tage. ...
In Liebe Dein Paul.
Noch in der äußersten Qual des Lagerdaseins und im Zusammenbruch seiner
körperlichen Kräfte war Pfarrer Schneider seinen Mitgefangenen ein
Tröster und, wie viele später bekannt haben, ein Retter aus der
Verzweiflung. Auch im Lager hat er nicht aufgehört, mit der ihm eigenen
Unerschrockenheit die Wahrheit zu sagen, wann immer ein Bekenntnis am
Platze war.
Er hat Unsägliches erlitten. Seine Peiniger haben ihn fast zu Tode
gequält, bis ihn der Lagerarzt mit einer überdosierten
Strophantinspritze ermordete. Er starb am 18. Juli 1939. Ein
Mithäftling, Notar Alfred Leikam, schrieb im Rückblick auf das Erlebte:
„Die größte Anfechtung im Lager war für mich, dem alle Vorstellung
übersteigenden Unrecht, das die dortigen Menschen getroffen hat, wort-
und tatenlos gegenüber zu stehen bzw. zwangsläufig mitzumachen, um
dadurch selbst an diesen Menschen schuldig zu werden. Es gibt meines
Wissens in Deutschland nur einen Menschen, der dieser Schuld nicht
teilhaftig wurde.
Das ist Pfarrer Paul Schneider, der sich in Wort und Tat auch gegen das
Unrecht im Lager wandte und deswegen zu Tode gemartert wurde."
Superintendent Lic. Martin Albertz, Freund, Amtsbruder und Mitkämpfer,
schrieb am 19. 7. 1939 an Frau Margarete Schneider: „...Wir können
wahrlich nur von ganzem Herzen danken, daß Dein lieber Mann zu seinem
und unserem Herrn heimgerufen ist und mit den Aposteln und Märtyrern den
Herrn preist. Er ist durch Leiden zur Herrlichkeit eingegangen und betet
mit uns den an, der ihn auf Seinen Weg gerufen hat. — Es ist eine große
Gnade, die Gott der Bekennenden Kirche durch Deinen Mann geschenkt hat.
Es ist ein weithin sichtbares Zeichen aufgerichtet für uns alle. Wir
beten um die Frucht solchen Sterbens.
...Ich sage immer wieder: die Fürbitte für Bruder Schneider hat nun
aufgehört. Aber unser Dank und Lobpreis um seinetwillen soll nicht
aufhören..."
Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider