BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



KURT SCHUMACHER

1905 - 1942

 



Bildhauer

geboren am 6. Mai 1905; am 22. Dezember 1942 als Mitglied der sozialistischen Widerstandsgruppe zusammen mit seiner Frau Elisabeth Schumacher, hingerichtet,

27. November 1942


Man nahm mir einen großen, doppelseitig eng beschriebenen Bogen fort, meinen Nachlaß. Ich schrieb darin über meine trostlosen Tage hier und daß ich aus Gründen der Selbsterhaltung für mich und das Volk die Chaospolitik der Nationalsozialisten bekämpft habe und deshalb hier bin. Einen Ausweg, ein leben der Freiheit, der Menschenwürde und des Wohlstands können nur die internationalen Sozialisten schaffen in einem sozialistischen Europa.
Deshalb habe ich in ihren Reihen bis zum letzten gekämpft. Von Beruf bin ich Bildhauer, Holzschnitzer. Riemenschneider, Veit Stoß, Jörg Ratgeb waren meine großen Kollegen, vor denen ich mich voll Demut im Dunkeln beuge.
Sie starben an der huhu der Bauernrevolutionäre, im Kampf gegen Fürsten und Kirche, gegen die Reaktion. Sie konnten nicht blind mit ansehen, wie die Bauern unter der Fron zugrunde zu gehen drohten. Ihr Herz zwang sie auf die Seite der Aufständischen gegen eine Reaktion, welche die Zeit zu ihren Gunsten festhalten wollte.
Deshalb sind ihre Kunstwerke auch so unendlich schön, weil sie in der Zeit standen. Denn nur die Werke der Künstler haben Weltgeltung, sind unsterblich, die im gesellschaftlichen geschehen hohen und seinen Konflikten standen und stehen, die eine kleine Welt in einer größeren Welt darstellen.
Warum führte ich nicht ein zurückgezogenes Künstlerleben, abseits der Politik?

Weil dann eben diese Kunst nur eine kleine Geltung gehabt hätte und nicht unsterblich lebendig gewesen wäre. So sterbe ich lieber, als daß ich das belanglose Leben der Vielen, Allzuvielen gelebt hätte. Es war wenigstens ein großes Ziel.
Da außerdem das Dritte Reich nur seiner Kunst den Weg freigab, der Kunst einer politisch zum Untergang vorurteilten Sache, war es zwangsläufig für mich, meine künstlerische Freiheit im politischen Kampf gegen ein nicht lebensfähiges chaotisches System zu erkämpfen, getreu den mittelalterlichen Vorgängern.
Kann je ein Mensch das Maß an Schmerzen, Kummer, Not, Elend und Verzweiflung ermessen, das all die Armen zu erdulden haben, weil sie an eine friedliche Gemeinschaft der Völker glauben, die mit ihrer Hände Arbeit ein menschenwürdiges Dasein schaffen können, jenseits der Barbarei des Krieges mit den ungeheuren technischen und organisatorischen Mitteln der Neuzeit großen Wohlstand erreichend, der Friede bedeutet?
Ich war nicht genügend stumpfsinnig und hatte ein zu fühlendes Herz, um nicht auch mitbestrebt zu sein, das zu erringen. Deshalb bin ich hier.
„Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dadurch, daß er denken und danach handeln kann mit eigenem Wollen. Furchtbar das Los einer menschlichen Hammelherde, die zur Schlachtbank gejagt wird und weiß nicht, wofür."
Ich weiß, daß meine, unsere Weltanschauung siegt, wenn auch wir, die kleine Vorhut, fallen. Wir hätten gern dem deutschen Volk das Härteste erspart. Unsere kleine Schar hat aufrecht und tapfer gekämpft. Wir konnten nicht feige sein.





(Gefesselt, unter fast ständiger Beobachtung geschrieben )



Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 



 

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