BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



Simoleit Herbert

1908 - 1944


 

 



Meine geliebten Eltern und Geschwister!
Bevor ich mich in die Arme des gerechten und barmherzigen Gottes werfe, will ich noch einmal hier auf Erden Euch herzlich umarmen.
Verzeiht mir den schweren Schmerz, den ich Euch antun muß, und, bitte, weint und klagt nicht um mich, denn ich gehe zum Vater, zu Gott, der meine Jugend erfreut hat ...
22 Monate war ich nun abgeschlossen von aller Welt, endlich kann ich sagen: „Laqueus contritus est et nos liberati sumus! — die Schlinge ist zerrissen und wir sind frei!"



Mein geliebtes Muttchen! Alles habe ich Dir zu verdanken, alles, was in meinem Leben groß und schön war! Nun dieser Schmerz. Ich fühle Dich heute den ganzen Tag in meiner Nähe ... O Mutti, was sind wir doch trotz vieler Not gesegnet gewesen und glücklich. Jetzt wollen wir vom Vater nehmen, was Er uns auferlegt, das Kreuz Seines geliebten Sohnes.
„Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Das will ich jetzt versuchen, denn die größte Wirksamkeit in der Welt ist das Leiden. Auf Wiedersehen dort, wo alle Tränen versiegen, auf Wiedersehen bei unserem himmlischen Vater. Maria, die unter dem Kreuze ihres Sohnes stand, steht bei mir und hilft meiner Schwachheit . . .
Meine Lieben alle! Ganz weit breite ich meine Hände über Euch alle und sende Euch aus meinem priesterlichen Amte meinen priesterlichen Segen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."
In dieser Stunde schließe ich Euch alle, unsere heilige Kirche und mein geliebtes Vaterland, in meinen Segen ein, daß Frieden und Segen und Glück überall herrsche.
Wie freute ich mich, als man mir sagte: „Jetzt gehen wir in das Haus des Herrn!" Auf Wiedersehen in Gott! Euer alle herzlich liebender Sohn und Bruder

Herbert

 

 


Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider


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