BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



Heinz Erich St.

Daten unbekannt  - 1944

Oberleutnant



Berlin, den 16. Oktober 1944 Gefängnis Moabit

Geliebte!

 



Es war mir nicht mehr vergönnt, mich persönlich von Dir zu verabschieden, so will ich es kurz schriftlich tun. Vor allem, damit Du die Gewißheit hast, daß meine letzten Gedanken auf dieser Welt nur Dir gehören. Anne-Liese, Du Gute, ich habe nur eine Bitte an Dich, Du mögest Dein Schicksal so leicht tragen wie ich meines. Ich sterbe im festen Glauben an Gott und ein Wiedersehn im Jenseits. Deshalb bitte ich Dich, Du Liebe, Du wollest auch ganz fest auf Gott vertrauen. Ich sagte Dir bei Deinem letzten Besuch, daß Gott bestimmt alles zum besten fügen wird, und das tut er denn auch, denn: „Welche ich liebhabe, die strafe und züchtige ich. So sei nun fleißig und tue Buße." Den letzten Satz, liebe Anne-Liese, wollest Du so verstehen, daß Du nicht etwa verzweifelt und traurig sein sollst, sondern dankbar für die schönen Stunden, die uns in dieser kurzen Zeit geschenkt waren — morgen wären es genau dreiundzwanzig Monate - und still meinem Andenken leben sollst. Glaube fest an Gott und bete zu Ihm nicht für mich — denn ich bin zu diesem Zeitpunkt, wenn Du dies liest, schon bei Ihm —, sondern für Dich und Deinen Sohn und alle Lieben, daß Ihr das Leid leicht tragen möchtet. In kurzer Zeit, meine geliebte, gute, treue Anne-Liese, werden wir ja wieder vereint werden, und dann werden wir noch viel glücklicher werden als bisher. Im Geist umarme ich Dich und Hans-Detlef und gebe Euch den Abschiedskuß.

Wenn Du mich auch nicht mehr siehst, so bin ich immer um Dich und denke Deine Gedanken und fühle Deine Gefühle.


Auf Wiedersehen!

Dein Hans-Erich

 


Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider


 

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