Steil Ludwig
1900 - 1945
Pfarrer
Geboren am 29. Oktober 1900. Pfarrer in der evangelischen Gemeinde
Holsterhausen (in Wanne-Eickel).
Gestorben am 17. Januar 1945 in Dachau.
Als Ludwig Steil Theologie zu studieren begann, erschloß sich ihm sein
Beruf im wahrsten Sinne des Wortes. Er schrieb als Zwanzigjähriger:
„Mein Leben steht unter der Freude. Unter der Freude, daß ich es so
leben darf. Daß mir meine Zeit gegeben ist, damit ich sie gebrauche, und
meine Kraft, damit ich sie recht anwende zu dem Studium der Menschen und
der Dinge, das mich vorbereitet zu dem Amt, auf das ich mich schon so
lange freue. Es ist der schönste Beruf, den ich mir denken kann.
Vielleicht schenkt Gott es noch in besonderem Maße, daß ich einmal Sein
Mitarbeiter sein darf. Und Mitarbeiter bin ich schon, wenn ich Sein
Werkzeug bin. Und ich bitte täglich darum, daß ich ein Theologe werden
darf, der nicht von Gott und über Gott redet und "kraft seines Amtes als
verordneter Diener der Kirche" handelt, sondern der aus dem Geist Gottes
als Sein Rufer redet und aus der Kraft Seiner Stärke handelt.
Da gibt es dann nichts Großes und nichts Kleines. - Gott bewahre mich
dauernd und gebe meinen Augen Sein Licht. Deswegen ist es so herrlich,
daß für mich Beruf und Leben, Religion und Theologie eine Einheit
bilden. Fehlte es mir an der Verbundenheit mit Gott, dann hätte ich
nicht den Mut, mein Leben in Seinen Zeugendienst zu stellen. "So Gott
will" — Er will sicherlich, denn Er freut sich über den, der zu Ihm
seine Zuflucht nimmt. "Die den Herrn lieb haben, müssen sein wie die
Sonne aufgeht in ihrer Macht." Ich habe Ihn lieb.
Mein Leben ist nicht so wie die strahlende und Leben gebende Sonne. Aber
es wird sicher so werden, denn dies Wort ist mir mehr eine Verheißung
als eine Forderung. Weil ich für Gott da und Ihm ein Diener sein möchte,
darf ich mit Freuden studieren. — Wunderbar, Gottes Licht erhellt die
Augen für alles. Mit einem Mal sehen wir Seine Fußspuren bei uns, sehen,
wie wir Grund übergenug haben zum Danken. Noch wunderbarer: Gott gibt
uns die Kraft, in unserem Gebet das Fragen nach dem Warum zu lassen und
alle Not in Seine Hand zu legen. Und dann hebt sich wohl aus all der Not
eine heraus, die schaut mich an und fordert von mir, daß ich zugreife
und helfe.
Gott schickt einen Menschen zu mir, der etwas von mir will. Dann bekomme
ich zu meiner Last, die so leicht ist, weil ich aufgegeben habe, sie
selbst zu tragen, die Last eines anderen dazu. Die drückt, die muß ich
tragen, es ist eine heilige Last.
Und da merke ich, wie Gott mich noch ausrüsten muß, wenn ich einmal
recht meinen Beruf ausfüllen soll. Da gibts viele Lasten. Und je mehr es
geben wird, um so mehr wird's mir ein Beweis sein, daß ich an meinen
Platz von Gott gestellt bin."
Die leidenschaftliche Berufshingabe des Jünglings klärt sich zu der
reifen Weisheit, die aus seinen späteren aphoristischen Aufzeichnungen
hervorleuchtet: „Meine Tränen vor Gott, vor den Menschen ein fröhliches
Angesicht." „Darin ändert sich für den Christen nichts, daß es im Leben
hinauf und hinab geht, sondern das ändert sich, daß es nicht mehr
"himmelhoch jauchzend" und "zu Tode betrübt" geht, und daß wir durch die
Gegenwart Christi gestärkt werden." „Unser Leben ist nur soviel wert,
wie es Dank ist. Gott schickt das Seufzen, damit es Danken werde."
„Viele Christen sind geimpft mit Christentum gegen Christus. Die äußeren
Formen und Gebräuche verwenden sie als Schulz gegen Christi
Forderungen."
„Das Brot des Lebens wird genau so schimmlig wie anderes Brot, wenn wir
es nicht gebrauchen." „Gottes Geschichte ist nie rückwärts gewandt. Die
neue Herrlichkeit ist immer größer als die alte." „Wenn wir einmal
leiden dürfen um Jesu willen, dann kommt es nicht darauf an, daß wir auf
dem Leidenswege etwas Besonderes für Ihn tun. Er fragt nur danach, wie
wir das Leiden tragen."
Ludwig Steil geriet frühzeitig mit dem Nationalsozialismus in Konflikt.
Er machte keinen Hehl daraus, daß er ihn für Deutschlands Verderben
hielt. Bereits im Dezember 1933 sollte eine Gemeindeversammlung durch
auswärtige SA gesprengt und der Pfarrer tätlich angegriffen werden.
Allein die Gemeinde schützte ihn. Als Mitglied des Westfälischen
Bruderrats und Mitarbeiter von Präses D. Koch war er in den Augen der
Gestapo eine besonders verdächtige Person.
1938 liefen nicht weniger als 5 Strafverfahren gegen ihn. Im Sommer 1944
hielt er in Westfalen vor vielen Hunderten Vorträge „für Angefochtene"
und wurde auf Grund dieser Vorträge am 11.. September 1944 verhaftet und
nach Dortmund in die Steinwache gebracht.
Am 5. Oktober schreibt er der Gattin: „Eben beim Essen erfreute mich die
schöne Zeichnung eines Lorbeerblattes in meiner Suppe. Ich ließ es auf
dem Rand der Suppe liegen, während ich aß, und staunte über die
Verästelung der Rippen und die vollendete Form. So erinnert uns Gott
auch in einer Umgebung, in der alles fehlt, "was lieblich ist und
wohllautet" , an die Schönheiten Seines Reiches. Es hat mir noch an
keinem Tag an Grund zum Danken gefehlt.
Wenn ich jetzt abends schon um 18 Uhr der Dunkelheit wegen mein Lager
auf dem Boden bereite, um 12 Stunden darauf zu liegen, freue ich mich
schon auf das Aufstehen; aber auch die langen Stunden des Wachseins
zwischen kurzen Strecken Schlafs sind voller Erquickung. "Denn so man
auf Dich harrt, das macht Deinen Kindern offenbar, wie süß Du seist" (Weish.
16, 21)."
Auch bei Vollalarm in die Zelle eingesperrt, berichtet er am 7. Oktober
über einen schweren Luftangriff: „Gestern abend, Freitag, ab 20 Uhr 30,
waren wir eine Stunde in der Hölle oder doch wenigstens im Feuerofen,
aber der Heiland war mit drin. Er erhörte unser Flehen. Es ist mir noch
wie ein Wunder. Nach dem Angriff, als ringsum alles brannte, konnten wir
in den Keller gehen, wo der Qualm nicht mehr so sehr beizte wie oben.
Da gab es dann mit Vielen Gespräche des Trostes und der Aufrichtung.
Gegen Mitternacht waren wir dann wieder oben, lobten Gott und gingen
unter dem Knistern der Flammen, dem Stürzen der Mauern, dem Krachen der
Zeitzünder zur Ruhe."
14. Oktober
Heute ist der 34. Tag meiner Verhaftung, und ich habe noch an jedem Tag
Grund genug gehabt zum Danken für die Wege Gottes mit Seinen Kindern.
Ich habe Stille genug. K. war da, und mich bewegte sein Bericht über den
Holsterhauser Angriff, der am Donnerstag, als Du hier warst, soviel
Unheil anrichtete. Ich will beten für alle Betroffenen.
Wenn Du zu den Leuten gehst, wirst Du ja meinen Dienst tun. Gott gebe
Dir, daß Du mit den Weinenden weinen, und doch als eine Getröstete auch
trösten darfst. Bei aller Not und der großen Zahl der Erschlagenen gilt
da doch das Wort aus den Klageliedern: „Die Güte des Herrn ist, daß wir
nicht gar aus sind. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende." Bewahrung
und Bewährung gehören zusammen. Beides kommt von Gott, wenn's auch so
aussieht, als sei das zweite unsere Sache.
Und wenn Dein und Brigittes Bild immer vor meinem inneren Auge steht,
dann ist mir um Eure und meine Wege im Frieden Gottes nicht bange.
16. Oktober
Diese schwere Zeit, die uns gerade da Trennung brachte, wo eins das
andere besonders nötig hatte, wird — das hoffe ich zu Gott — eine rechte
Segenszeit zur Folge haben. Wir können dann umgekehrt sagen wie Hiob:
„Haben wir das Böse von Gott empfangen und sollten das Gute nicht auch
annehmen?" Es kommt alles von Ihm. Er hat mich noch nie so zur Anbetung
und zum Lobpreis geführt wie seit dem 6. Oktober, wo handgreiflich das
geschah, was Du in die Worte R. A. Schröders faßtest: „Unverletzlich,
lichtverhüllt". Gerade so ist es gewesen, und das ist mir auch die
Verheißung kommender Segnungen Gottes für Dich und mich.
So groß für mich die Freude darüber war, daß Du Dein Verständnis meines
Weges auf einem Rückweg von Herne mir gesagt hattest, ehe er begann
(„Wenn sie Dich mal holen, wissen wir jedenfalls, daß die Kirche mehr
durch ihr Schweigen gesündigt hat als durch ihr Reden"), so groß ist mir
nun die Gewißheit, daß wir drei in Gottes Händen geborgen sind.
17. Oktober
Sie können uns nichts von dem nehmen, was Gott uns gegeben hat, und das
macht mich sehr still und froh. Es wäre ja unbeschreiblich schön, wenn
wir an unserem Hochzeitstag wieder beieinander sein könnten, und wir
dürfen auch kräftig darum bitten. Wenn es aber nicht sein soll, wollen
wir auch darin Gottes Regiment anerkennen und weiter auf den Tag warten,
an dem Er die Tür auftun wird. „Es wird nicht lang mehr währen, halt nur
ein wenig aus!"
26. Oktober
Mir ging diese Nacht oft der Vers durch den Sinn: „Schien auch alles zu
zerrinnen, ward doch Deiner Hilf ich innen." Was ist das überhaupt für
ein herrliches Lied: „Womit soll ich Dich wohl loben!" In den Liedern
leben wir mit denen, die schon vollendet sind, und loben mit den
himmlischen Heerscharen. Aber der Lobgesang derer, die aus Not und Elend
kommen, ist gewiß schöner als der der Engel, die nie anders als mit
einem Gottesauftrag „im finsteren Tal" gewandert sind. — Du kannst Dir
gar nicht denken, wie bevorzugt wir Christen im Gefängnis vor denen
sind, die keine Hoffnung haben. Sie sind zum Teil tapfer, aber irgendwie
doch todtraurig.
31. Oktober
Ich habe bisher Gott für jeden der fünfzig Tage Haft danken dürfen.
Heute ist Reformationsfest-Dienstag, und wenn ich daran denke, daß Gott
mir vielleicht in acht Tagen am Dienstag die Tür auftun wird, dann
klopft mein Herz vor Sehnsucht nach Dir, nach der Gemeinde, nach der
Freiheit. Und dann fange ich schon an, wieder um das Ja und die Stille
zu bitten für den Fall, daß Gott noch ein Nein sagt und den Dienst im
Kerker vielleicht in der härteren Form Dachaus noch weiter von mir und
von Dir fordert. Aber das tut der Bitte um die offene Tür keinen
Abbruch, sogar nicht der großen Vorfreude.
11. November
Heute nacht lag ich eine Stunde wach und hatte viele Fragen an Gott zu
stellen. Die waren nicht aus Anfechtung gestellt, nur in der Sehnsucht
nach Antwort.
Und mit einmal klangen die Zeilen aus einem langvergessenen Lied des
Berliner Ostens in mir auf, so daß sie mich stillten: „O, daß du
könntest glauben, du würdest Wunder sehn! Es würde dir dein Jesus
allzeit zur Seite stehn."
Abschiedsbrief an die westfälischen Pfarrer
Herne, Mitte November 1944
Lieber Freund! Da es in diesen Tagen deutlich geworden ist, daß mein Weg
zu den Brüdern nach Dachau führen wird, will ich mir die Zeit nehmen,
Ihnen ein Zeichen meines Gedenkens und meiner Fürbitte zu senden.
Als ich vor zehn Wochen in Haft genommen wurde, habe ich Gott dafür
danken dürfen, daß Anlaß und Ursache meine Verkündigung war, nämlich
Vortragsreihen für Angefochtene, die ich vorher in Herne und Wanne
gehalten hatte. Da konnte ich mit Freudigkeit zu jedem beanstandeten
Satz stehen, mit einem guten Gewissen vor Gott und Menschen. Die erste
Not war diese, daß die Arbeit in Gemeinde und Gesamtkirche im Stich
gelassen werden mußte.
Aber Gott gab mir die Kraft, das alles unter dem Kreuz niederzulegen und
ein volles Ja zu sagen zu dem Weg, den Er mich in der Nachfolge Jesu
gehen hieß. So durfte ich ganz zu dem Dienst des Tragens und der Geduld
frei werden, mehr noch, ich wurde eingehüllt in einen unaussprechlichen
Frieden, an dessen Geborgenheit alle äußere Unruhe nicht herankonnte . .
.
Unvergeßlich bleiben mir die langen Nachtstunden, in denen ich wach auf
meinem Lager am Boden lag. Da stand die Zeit still, da wanderte das
fürbittiende Gedenken zur Gemeinde, zu den Mitkämpfern, an die Fronten.
Das war der uns Gefangenen aufgetragene Dienst vor dem Thron Gottes in
Seiner unaussprechlichen Herrlichkeit. — Jetzt erst ist mir aufgegangen,
in welchem Maß Gott denen, die seit langen Jahren den Weg der gefangenen
Brüder auf betendem Herzen tragen, den eigenen Weg erleichtert, wenn sie
in die gleiche Lage kommen. Es ist alles schon vorher durchgekämpft,
auch das allzu Menschliche und das Unmenschliche.
Darum fehlt es auf dieser Wüstenwanderung nie an Wasser, das aus dem
Felsen quillt, und an Menschen, die plötzlich Engelsdienste tun. „Der
Tag wird's klar machen." . . . An diesem Bericht liegt mir nur, weil er
bezeugen möchte, daß der Lobgesang noch nicht verstummt ist. Und, mein
Lieber, das ist auch der Auftrag Gottes an Sie und alle, die noch im
Dienst des Evangeliums stehen dürfen. „Wacht auf, lasset den Lobgesang
hören!" Kümmert Euch um die Einsamen unter den Brüdern, um die, die
nicht fertig werden mit der Not der ändern, weil sie selbst Gott nichts
zutrauen.
Sammelt die, die mitten in den Gerichten Gottes vernehmen, daß Er unserm
Volke gnädig sein will. Seht beim Weg der Bekennenden Kirche nicht auf
das Versagen der Menschen, sondern auf die Wunder Gottes. — Ich schließe
mit dem Vers Zinzendorfs: „Drum dürfen wir nie Abschied nehmen, als wenn
wir nicht mehr zusammenkämen." Grüßen Sie alle Brüder.
Getreulich Ihr L. Steil
Am 14. November fragt die Gattin bei der Gestapo an, ob mit Entlassung
zu rechnen sei. Sie mußte ihrem Mann den Bescheid bringen, daß sein Weg
ins Lager ginge. Darauf schreibt er am 15. November:
„Wenn wir jetzt für eine Weile äußerlich ganz getrennt werden, wollen
wir nicht vergessen, daß der kürzeste Weg zueinander am Herzen Gottes
vorbeigeht. Unverletzlich, lichtverhüllt dürfen Gottes Kinder reisen",
auch nach Dachau!"
16. November
Eins war nicht richtig in Deinem Brief. Du schreibst, Du müßtest mir
einen Schmerz bereiten. Nein, Du brachtest mir einen Befehl, der von
Gott kam. Hat nicht Jesus gesagt: „Der nehme sein Kreuz auf sich"! — Die
Nacht war trotz Störungen erquickend. „Tu als ein Kind und lege dich in
deines Vaters Arme! Bitt' Ihn und flehe, daß Er sich dein, wie Er
pflegt, erbarme! So wird Er dich durch Seinen Geist, auf Wegen, die du
jetzt nicht weißt, nach wohlbestandnem Ringen aus allen Sorgen bringen."
Wie gut haben wir es in unserer Zweisamkeit mit dem Schatz der Lieder
gehabt! Wenn ich auch ohne Bibel und Gesangbuch bleiben müßte, so hätte
ich Vorrat auf viele Jahre.
2. Dezember
Ich wünsche Dir eine Adventszeit, für die Du noch in Deinem Alter danken
kannst, so voller Sternlein in der Nacht, voller Durchhilfe und voll
kleiner Freuden. Und wenn ich dann für eine Zeit leiblich aus Deiner
Nähe verschwinde, wünsche ich Dir darüber hinaus eine adventliche
Geborgenheit wie Phil. 4. Daß die Freude bleibet. Um mich mußt Du nie
bekümmert sein, hörst Du?
Anfangs Dezember kam er mit anderen Gefangenen auf den Transport nach
Dachau. In Bochum schreibt er am 5. Dezember: Er sieht nicht so aus, als
könntest Du mich Donnerstag noch hier treffen, sondern wir werden wohl
gleich morgen weitergeleitet, irgendwie in Richtung Dachau. Du hast mich
also am Montag, ohne daß wir beide das wußten, zum vorläufig letzten Mal
durch Deinen Besuch erquickt und gestärkt. Gott hat uns bei den großen
Bombennöten des Monats November doch darin eine reiche Zeit geschenkt,
daß wir die Not zusammen tragen durften, daß wir gemeinsam auch die
Frage des Hernach für Dich und das Kind besprechen konnten. Zum ersten
Mal in den drei Monaten der Haft habe ich heute (für eine Nacht) eine
schöne Einzelzelle für mich allein. Wie verschieden waren die Zeiten in
Dortmund zu dritt und in Herne zu sechsen gerade durch die Menschen.
Heute genieße ich die Möglichkeit des Schweigens; man muß sich ja auch
zurichten für die nicht ganz leichte Fahrerei. Ich will das getrost in
Gottes Hände legen, denn Er hat mir das schwere Vierteljahr dieser
Haftanfänge zu einer gesegneten Zeit gemacht. Weil Gott Dich tröstete,
konntest Du auch trösten. Und weil Du trügest, bekamst Du auch Kraft
genug.
Einziger Brief aus dem Lager
Dachau, 9. Januar 1945
Gott segne Deinen Entschluß zur Rückkehr nach Holsterhausen. Wir hatten
zum Fest auch alle Irrfahrten hinter uns. Es war reizend, wie sich hier
Wilm und Reger, sobald es ging, für mich einsetzten mit Liebesdiensten.
Aber sie selbst waren mir der größte Trost. - Ich bin sehr getrost, uns
drei in Gottes Hand geborgen zu wissen.
Er hat Dich bisher bewahrt, und Du hältst die Stellung, solange Du
innerlich kannst. Grüße die Gemeinde - ... Wie werden Gottes Wege mit
uns weitergehen? am Ende steht immer ER selbst. Das ist Erquickung.
Schreib auch von Brigitte! Dich und sie grüßt und küßt
Dein Ludwig
K. A. Groß (Häftling 16 921) berichtet in seinen Dachauer Tagebüchern
Pfarrer Steil aus Westfalen tot! Freund Reger erzählte es mir heute in
der Dämmerung auf der Blockstraße. Vor kurzem erst eingeliefert, kam er
fieberkrank ins Revier. Reger hat ihn noch vor drei Tagen besucht. Da
lag er still in seinen Decken, voll inneren Glücks: „Ich kann mich mit
den Russen nicht verständigen", sagte er, „aber ich fühle mich doch
nicht allein. Mein Herz ruht ganz im Frieden Gottes." Das waren die
letzten Worte, die Reger von ihm hörte.
Als er den Besuch wiederholen wollte, mußte er erfahren, daß der Freund
heimgegangen sei.
Lux aeterna luceat ei!
An sein Töchterchen Brigitte
Dortmund in der Steinwache am 2. Oktober 1944
Als Einschub ins Abendgebet:
Mach Mutter stark und Vater frei,
bis wir zusammen alle drei
in Holsterhausen wieder
Dir bringen Dank und Lieder.
23. November 1944
Es ist schon eine Woche her, daß ich Euch schrieb, und heute ist es fast
zu dunkel zum Schreiben, weil die Sonne nicht kommen will. Aber anfangen
will ich den Brief doch schon und Dir danken für den Plauderbrief vom 3.
November, der mir große Freude gemacht hat. Du erzählst mir darin vom
Turnen bei Tante E. — Du mußt nicht betrübt sein, wenn etwas Neues beim
Lernen nicht gleich leicht geht. Was schwer ist, macht hernach viel
größere Freude, auch Tintenschreibon und Rechnen. Lernen ist ja kein
Spielen. Das merke ich als Dein Vater jetzt auch wieder, wo ich neu
lernen muß, als ein Gefangener ein frohes Herz zu behalten und dem
lieben Gott zu sagen: „Darum wart' ich still, dein Wort ist ohne Trug,
Du weißt den Weg für mich, das ist genug."
Leipzig, den 15. Dezember 1944 (auf dem Wege nach Dachau)
Liebe Brigitte, wir sind noch auf der langen Reise . . . Du wirst Dich
auf das Fest so freuen wie ich, denn Du kennst auch das Wort des Engels:
„Euch ist heute der Heiland geboren" und das Lied „Ei, so kommt und laßt
uns laufen". . . Wir feiern Weihnachten auch getrennt zusammen an der
Krippe.
Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider