BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 





HEINZ STRELOW

1918 - 1943






Dichter. - Geboren 1918. Hingerichtet am 13. Mai 1943.



Plötzensee, am 13. Mai 1943



Mutter, meine liebe Mutter, o, es ist so schwer, Dir nun zu schreiben, das Schwerste von Allem, Mutter. Ich muss es sagen, wenn Du diesen Brief in Deinen lieben Händen hältst, dann ist für mich alles vorüber und mein Lebensweg hat geendet. Ach, wie könnte ich nur Dir das Grausige mildem.
Ich bin dem Schicksal so dankbar, daß ich Dich noch einmal habe sehen können, Dich umarmen und Dich streicheln und küssen. Es war unendlich schön.
Was ich Dir schon gesagt habe bei Deinem Hiersein, ich will es Dir wieder und wieder beteuern: Ich bin ganz ruhig und gefasst und mein Herz ist heiter und ohne Qual. Ich bin tief und unendlich dankbar dafür. Das sollst Du wissen, Mui, ich werde ein ruhiges und leichtes Ende haben. Ich habe es gelernt, mich in Geduld zu fassen und darf nun sagen: Es hat ein mildes Gesicht!
Was mich am stärksten bedrückt, ist der Gedanke an Dich! An den Kummer, den es für Dich bedeutet! Mutter, Du weißt, wie ich das Leben, die schöne Heimaterde und alles Gute und Schöne überhaupt geliebt habe! Und nun, da ich es lassen muß, so bitte ich Dich ganz tief und inständig : Liebe es! Liebe das Leben, das schöne, liebe es nun doppelt stark und für mich mit! Und weine nicht, bitte, meine liebe Mutter, weine nicht! Nimm Dein Leben in beide Hände und lebe es zu Ende. Das müssen wir. Auch ich mußte es. Ich bin voll gütiger, froher Zuversicht, nun bald Vater zu begegnen und Sven und Siegfried, meinen toten Freunden.
Grüße alle lebenden Freunde von mir, alle, die ich sehr tief geliebt habe....
Ich hoffe, der Krieg wird nun bald zu Ende sein und Ihr, Du aber ganz besonders, meine liebe Mutter, werdet dann ruhiger und besser leben können. Vor Allem, daß Du Deinen Garten dann für Dich hast! Mui, das Leben in der Natur, mit Blumen, Bäumen, Wind und Wolken - das ist das Leben, alles andere ist daneben nur gering! Aber dem Leben muß man sich beugen und immer wieder hingeben trotz Allem!
Es ist doch so schön, mit allem Leid! Ich bitte Dich und hoffe, Du wirst es ruhig und ohne Qual und Bitterkeit im Herzen zu Ende gehen, bis wir uns einst wieder alle begegnen! Es ist mein letzter, aber ganz tiefer und inniger Wunsch an Dich!
Und seid heiter, wenn Ihr über mich sprecht und an mich denkt, damit ich im Geiste noch unter und bei Dir weilen kann, ohne Dich zu verwunden und Dich in Klagen und Herzensnot zu wissen. Lebe wohl, meine liebe, gute Mutter, ich umarme Dich und küsse Deine Augen und Deine Hände! Und möge unser Herrgott Dir beistehen! Ich habe Dich sehr lieb.

Liebe Mutter! Dein Heinz

 


Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider



 

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