RUDOLF SEIFFERT
11. Juli 1908-29. Januar 1945
Gründer der
Widerstandsgruppe unter den Arbeitern der Berliner Siemens -Gruppe. Mit
anderen Mitgliedern der Gruppe wurde er von der Gestapo verhaftet und mit
Beil enthauptet.
Brandenburg,
im Zuchthaus, im Januar 1945
In der Todeszelle! Tag und Nacht sind die Hände übereinander gefesselt,
nur zu den Mahlzeiten frei. Durch das einfache Fenster weht die eiskalte
Winterluft. Der Heizkörper in der Zelle wird nur stundenweise erwärmt.
Temperatur am Tage höchstens 10 Grad Wärme. Der Körper sträubt sich mit
aller Gewalt gegen die Kälte, doch ist es zwecklos, da die innere Wärme
fehlt, der Hunger an den Därmen nagt. Ständig hungern, ständig frieren.
Nachts mit einer Decke auf dem Strohsack ist es noch schlimmer. Du
kriechst zusammen wie ein Embryo, die Decke über dem Kopf, und versuchst,
Dir mit Deinem eigenen Atem Wärme zu spenden. Wenn Du dann morgens
durchgefroren aufstehst und hoffst, daß Du Dich mit dem Kaffee etwas
erwärmen könntest, dann stellst Du fest, daß er meistens kalt ist.
Die trockene Kruste Brot ist für den hohlen Zahn, das Mittagessen sowie
das Abendbrot viel zu wenig. Der Hunger wird von Tag zu Tag größer. Auf
einem kleinen Nachttopf mußt Du die Bedürfnisse verrichten. Das ist Kultur
im Dritten Reich. Von menschlicher Behandlung keine Spur.
So vergeht ein Tag wie der andere. Du sitzt hier und wartest, Woche um
Woche, bis sie Dich holen zum Totmachen. Du bekommst keinen Bescheid, ob
Dein Gnadengesuch abgelehnt ist, wann Deine Hinrichtung ist. Nichts,
nichts. Du wartest und wartest wie auf einem Schlachthof das Vieh, das zur
Schlachtbank geführt wird. Das Schlachten von Menschen geschieht in
folender Weise:
Eines Tages, meist ist es ein Montag, geht die Zellentür auf, Dein Name
wird gerufen. Der Beamte fragt: »Haben Sie ein Testament gemacht?« Und
wenige Zeit später lebst Du nicht mehr. So rein geschäftsmäßig geht man
mit Menschenleben um. Ist das noch Kultur? Und so geht es Montag für
Montag, Woche für Woche, Monat für Monat, jeden Montag 25 Stück - ja
Stück! Das ist die Amtssprache für Menschenleben.
Ein Stamm von zweihundert zum Tode Verurteilten füllt hier das
Brandenburger Zuchthaus.
Ein dauerndes Kommen und Gehen ins Nichts. Aber alle, einer wie der
andere, aufrecht und entschlossen, gehen sie zum Schafott, denn sie
wissen, ihr Opfer war nicht umsonst. Die neue Zeit bahnt sich an.
Liebe Hilla, so mancher gute Kamerad ist vor mir aus der Zelle gegangen,
genau in der geschilderten Weise. Kameraden, an die man sich gewöhnt
hatte, Kameraden, mit denen man hätte die Welt umkrempeln können. Ja,
liebe Hilla, so warte nun auch ich, bis mein Name gerufen wird, aufrecht
und entschlossen.
So lebt denn alle wohl, die Ihr mir lieb gewesen seid.
Rudolf
Literatur: Du hast
mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider
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