BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 




RUDOLF SEIFFERT

11. Juli 1908-29. Januar 1945


 


Gründer der Widerstandsgruppe unter den Arbeitern der Berliner Siemens -Gruppe. Mit anderen Mitgliedern der Gruppe wurde er von der Gestapo verhaftet und mit Beil enthauptet.



Brandenburg,

im Zuchthaus, im Januar 1945

In der Todeszelle! Tag und Nacht sind die Hände übereinander gefesselt, nur zu den Mahlzeiten frei. Durch das einfache Fenster weht die eiskalte Winterluft. Der Heizkörper in der Zelle wird nur stundenweise erwärmt. Temperatur am Tage höchstens 10 Grad Wärme. Der Körper sträubt sich mit aller Gewalt gegen die Kälte, doch ist es zwecklos, da die innere Wärme fehlt, der Hunger an den Därmen nagt. Ständig hungern, ständig frieren. Nachts mit einer Decke auf dem Strohsack ist es noch schlimmer. Du kriechst zusammen wie ein Embryo, die Decke über dem Kopf, und versuchst, Dir mit Deinem eigenen Atem Wärme zu spenden. Wenn Du dann morgens durchgefroren aufstehst und hoffst, daß Du Dich mit dem Kaffee etwas erwärmen könntest, dann stellst Du fest, daß er meistens kalt ist.
Die trockene Kruste Brot ist für den hohlen Zahn, das Mittagessen sowie das Abendbrot viel zu wenig. Der Hunger wird von Tag zu Tag größer. Auf einem kleinen Nachttopf mußt Du die Bedürfnisse verrichten. Das ist Kultur im Dritten Reich. Von menschlicher Behandlung keine Spur.

So vergeht ein Tag wie der andere. Du sitzt hier und wartest, Woche um Woche, bis sie Dich holen zum Totmachen. Du bekommst keinen Bescheid, ob Dein Gnadengesuch abgelehnt ist, wann Deine Hinrichtung ist. Nichts, nichts. Du wartest und wartest wie auf einem Schlachthof das Vieh, das zur Schlachtbank geführt wird. Das Schlachten von Menschen geschieht in folender Weise:

Eines Tages, meist ist es ein Montag, geht die Zellentür auf, Dein Name wird gerufen. Der Beamte fragt: »Haben Sie ein Testament gemacht?« Und wenige Zeit später lebst Du nicht mehr. So rein geschäftsmäßig geht man mit Menschenleben um. Ist das noch Kultur? Und so geht es Montag für Montag, Woche für Woche, Monat für Monat, jeden Montag 25 Stück - ja Stück! Das ist die Amtssprache für Menschenleben.

Ein Stamm von zweihundert zum Tode Verurteilten füllt hier das Brandenburger Zuchthaus.
Ein dauerndes Kommen und Gehen ins Nichts. Aber alle, einer wie der andere, aufrecht und entschlossen, gehen sie zum Schafott, denn sie wissen, ihr Opfer war nicht umsonst. Die neue Zeit bahnt sich an.

Liebe Hilla, so mancher gute Kamerad ist vor mir aus der Zelle gegangen, genau in der geschilderten Weise. Kameraden, an die man sich gewöhnt hatte, Kameraden, mit denen man hätte die Welt umkrempeln können. Ja, liebe Hilla, so warte nun auch ich, bis mein Name gerufen wird, aufrecht und entschlossen.

So lebt denn alle wohl, die Ihr mir lieb gewesen seid.

Rudolf


 


Literatur: Du hast mich heimgesucht bei Nacht
Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 -1945
Herausgegeben von Helmut Golwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider

 


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