BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 






ALTENBERG PETER (1859 - 1919)






Letzter Brief an Karl Hollizer Januar 1919


 



Aus den letzten Aufzeichnungen Peter Altenbergs

Regenerationskur, Beginn 7.2. 1917: Sandalen und Fuß –Woltat- Bäder. Kopf Woltat.
Magen –Diätetik. Darm –Diätetik. Schlaf bei weitgeöffneten Fenstern! Rheum et Magnesia usta. Natur, Geist, Seele, frische Luft, Abtrocknung. Gust. Klimt starb am 6.12. 1918, im 56. Lebensjahre.
Schicksale berechnen wollen oder korrigiren ist ein Irrsinn! Wandle den dir zugemessenen Weg und verschwinde!!!!
P. A.



9.3. 1918. 59. Geburtstag, 6 Abends im Tuchlauben – Kino: Erna Morena in „ Die Geschichte der Julie Tobaldi „, mit Dr. d. und Cousine Lotte.
Habe Alles durchgeweint, was hienieden durchzuweinen ist für einen vorzeitig Verlorenen!
P. A.


Donnertsag, 24.5. 1918. Vollkommene Zerstörung. Zum Selbstmord keinen Mut, also ein Leben ertragen, das unertragbar ist!

Peter Altenberg


25.5. 1918. Mein Leben ist absolut verloren! Es handelt sich nur mehr um Wochen, die ich mich noch künstlich erhalten kann!


11.6. Rekonvalescenz, aber keine Gesundheit.
Irgendwo in der Maschine stockt es! Schade.

P.A.


12.6. Die „ Erlösungen haben aufgehört. Die Lebensmaschinerie stockt trotz alledem. Verzweiflung. Ich schreibe meine letzten Skizzen zur Aufklärung für die Anderen. Das ist meine naturgemäße und eigentlich unentrinnbare Verpflichtung! – Was ich besser, richtiger erfahren habe, muß ich weiterspenden! Gebot seines eigenen Geistes, seiner eigenen Seele.

P.A.


14.6. 1918.
Ich erwachte zum erstenmal im Leben mit „ Zahnschmerzen“. Am 9.3. 1919 werde ich 60 Jahre alt. Was ich zu sagen hatte, den Anderen, habe ich gesagt. Hoffentlich in einer annehmbaren Art!
Bi zum 9.3. 1919 muß ich also „ durchhalten, obzwar es mir eigentlich bereits fast unmöglich ist. Es beginnt heute eine neue Regenerationskur!

26.6. 1918.
Von 10 Uhr Morgens bis 2 Uhr Nachmittags plötzliche Erlösung von 6 Monate langen unermesslichen Leiden! In inniger Dankbarkeit dem gütigsten Schicksal!
P. A.


Die Nacht, 1 Uhr, 23.12.1918, vor Weihnachtsabend. Das Ende meines Dichter – und Menschenlebens. Gezwungen, den Leidensweg eines unerbittlichen Richters zu gehen. Gezwungen aus innersten Gründen, aus verhängnisvollster fatalster, dem Untergang zuführender, unentrinnbarer Bestimmung!?!
Begeisterung verzehrte alle seine wenigen Lebens – Energien, die zu dem naturgemäßen „Kampf ums Dasein“ so wie für Alle auch für ihn zweckmäßig hätte selbstverständlich verwenden werden müssen! So brach er etwas vorzeitig, vor dem 60. Geburtstag, 9 März 1919, zusammen.








Das Altenbergbuch
Herausgegeben von Egon Friedell / Verlag der Wiener Graphischen Werkstätte Leipzig /Wien

 

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