BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



Anzengruber Ludwig

1839 - 1889

 



Der österreichische Volksstückdichter wurde in Wien geboren. Sein Vater starb früh und hinterließ die Seinen in bedrängten Verhältnissen. Der junge Ludwig wurde Buchhändler und begann schon damals zu schriftstellern. Als Einundzwanzigjähriger trat er als Schauspieler trat er in eine Wandertruppe ein, die damals in der Wiener Neustadt spielte.
In seinen Briefen beklagt er sich fortwährend über Geldmangel und nur all zu kurze Rollen; aber er tut es mit einem unverwüstlichen wienerischen Humor, wofür folgender Brief ein Zeugnis ist. Anzengruber blieb sechs Jahre lang Schauspieler; dann erwarb er sich eine Stellung in der Wiener Polizeidirektion. Mehr als ein dutzend Volksstücke hatte er bereits geschrieben und eingereicht, ehe eins angenommen wurde. Nun war er seine Bedeutung auch anerkannt; er wurde Theaterdichter.



ERSTER BRIEF

Wiener Neustadt, am 30. Oktober 1860.

Lieber Freund!

Vielen dank für die freundliche Besorgung aller meiner Angelegenheiten! – Und als Ausdruck meines Dankgefühls magst Du dieses Schreiben in sehr groß Oktav betrachten. – Übermorgen ist Allerheiligen, ein Feiertag, somit ein Zusammenkunftstag für uns, so wir in Wien beide wären- da dies aber nicht der Fall ist, so wollen wir brieflich eine Zusammenkunft halten.

- Geh’ Du am Neustädter –Kanal spazieren – ich geh’ am Wienerfluß spazieren – oha – umgekehrt, geh Du am Wienerfluß ich geh’ am Neustädter –Kanal spazieren-

Du denkst Dich zu mich und ich denk’ mir zu Dir – - Die Gegend ist dann ziemlich egal – wie Figura zeigt Federzeichnung von Anzengruber Hand] --6½ (Meilen auseinander –aber sieht sich gleich). Also gut, wir gehen mit einander spazieren – zwar 6½ weit auseinander- aber wir haben’ suns vorgenommen und sind eunmal eigensinnige Kerls.
So und nun fange ich an zu erzählen:
Mit meinen Kollegen stehe ich stets auf freundschaftlichem Fuße; nun haben wir Wr. Neustädter Künstler einen Götterverein gebildet, d. h. einen Verein, der Unterhaltung und Geselligkeit unter uns befördern soll und in welchem jeder von uns den Namen eines Gottes führt: Zeus, Merkur sc. Sc. ( NB, mit und ohne Recht)

Jupiter ( Graube) hat eine Keule solchergestalt [ Federzeichnung] mit ehemals goldenem, jetzt silbernem Knopfe, mit dieser Keule schlägt Pluto ( Lindenberg) alle sterblichen, die Götter werden wollen, tot, wenn sie zuvor Gründe angeben, die sie veranlassen, das Leben verlassen zu wollen.

Ich will Dir meine kreirung zum Gotte schildern.

Ich trat eines Freitags ( alle Freitag, da wir an diesem Tage nichts zu tun haben ist unsere Versammlung) in den Fischhof, so heißt unser Gasthaus und werde mit wahrhaft kannibalischem Geschrei empfangen.
Dann führte mich Merkur ( Gürtler ) aus der Gaststube und pochte an die Thür, Jupiter ruft „Herein“! und wir traten ein.

„ Wer stört mich in meiner Götterruh“ ? fragte Jupiter, und Merkur rapportiert: „ Auf meiner Ruckras’ hob i an Sterblichen dargrabbelt, der gern ein Gott wer’n möchte. ( Merkur spricht nämlich reines Winerisch.)
Also machte ich mich ziternd und zagend den Himmlischen und sagte meine Gründe, warum ich sterben möchte, her.

1. Möchte’ ich sterben aus Langerweile, weil’ s hier in der Neustadt s o langweilig ist, wenn ich nicht schon aus dem Grunde g’storbe’n bin und Gespenst geworden bin, weil ich den ganzen tag umgeh’.
2. Möchte’ ich sterben, weil ich über kurz oder lang ohnedies des viel schmerzlicheren Hungertodes sterben müßt’, da ich ein Stück Schriftsteller bin und die Schriftsteller es wohl nach ihrem Tode zu einem Denkmal, aber vor selben zu keinem ordentlichen Gastmahle bringen.
3. Will ich sterben aus purer Kollegialität, denn wenn alle meine Kollegen hin sind, was mach ich noch allanig.

Hierauf wurde ich zum Gotte geschlagen und erhielt merwürdigerweise den Namen Momus. –

Jetzt muß Du wissen, dass wir eine geschriebene Zeitung, betitelt „ Die lose Goschen“ alle Freitag herausgeben, wer Beiträge liefern will, liefert sie, hat er sie aber nicht geliefert, wenn er sich einmal verpflichtet hat, zahlt er 5 Kr., 5 W.
Redakteur der Zeitung ist Merkur, dass Momus einer der Hauptmitarbeiter, kannst Du Dir denken. -
Einweilen genug von unseren Götterabenden!
Mein Stück „ Der Onkel ist angekommen“ gedieh bis zum 2. Akt, jetzt noch den 3. gedichtet, das ganze umgearbeitet, abgeschrieben und dann eingereicht – und dann zurückgeschickt!
Oder sonst was.
Meine Rollen halten mit haarsträubender Konsequenz das sechs Wortsystem ein – o je –o weh!
Übrigens spreche ich mit Irxenmayer: „Brav dazur g’ schaut“ – und so schau’ ich halt brav dazur – und zur, wenn ich nichts zu thun habe.

Gruß und Empfehlung von mir und meiner Mutter an Deine werten Eltern, Hr. Boschetti, an Onkel Haunthal, an Frl. Valeria B. ( und an alle,die ich etwa ausgefallen habe,, - nimm das buchstäblich, so hast Du fürs ganze Jahr Arbeit).

Somit grüßt Dich Dein getreuer Freund
Ludw. Anzengruber,

 



Schauspieler, eine Treppe hoch, 4 Thür, in Wiener Neustadt
-Gasse engagiert lange Nr. 218


 

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