Anzengruber Ludwig 
      
      1839 - 1889
       
      
      
      
      Der österreichische 
      Volksstückdichter wurde in Wien geboren. Sein Vater starb früh und 
      hinterließ die Seinen in bedrängten Verhältnissen. Der junge Ludwig wurde 
      Buchhändler und begann schon damals zu schriftstellern. Als 
      Einundzwanzigjähriger trat er als Schauspieler trat er in eine 
      Wandertruppe ein, die damals in der Wiener Neustadt spielte.
      In seinen Briefen beklagt er sich fortwährend über Geldmangel und nur all 
      zu kurze Rollen; aber er tut es mit einem unverwüstlichen wienerischen 
      Humor, wofür folgender Brief ein Zeugnis ist. Anzengruber blieb sechs 
      Jahre lang Schauspieler; dann erwarb er sich eine Stellung in der Wiener 
      Polizeidirektion. Mehr als ein dutzend Volksstücke hatte er bereits 
      geschrieben und eingereicht, ehe eins angenommen wurde. Nun war er seine 
      Bedeutung auch anerkannt; er wurde Theaterdichter.
      
      
      
      ERSTER BRIEF
      
      Wiener Neustadt, am 30. Oktober 1860.
      
      Lieber Freund!
      
      Vielen dank für die freundliche Besorgung aller meiner Angelegenheiten! – 
      Und als Ausdruck meines Dankgefühls magst Du dieses Schreiben in sehr groß 
      Oktav betrachten. – Übermorgen ist Allerheiligen, ein Feiertag, somit ein 
      Zusammenkunftstag für uns, so wir in Wien beide wären- da dies aber nicht 
      der Fall ist, so wollen wir brieflich eine Zusammenkunft halten.
      
      - Geh’ Du am Neustädter –Kanal spazieren – ich geh’ am Wienerfluß 
      spazieren – oha – umgekehrt, geh Du am Wienerfluß ich geh’ am Neustädter 
      –Kanal spazieren-
      
      Du denkst Dich zu mich und ich denk’ mir zu Dir – - Die Gegend ist dann 
      ziemlich egal – wie Figura zeigt Federzeichnung von Anzengruber Hand] --6½ 
      (Meilen auseinander –aber sieht sich gleich). Also gut, wir gehen mit 
      einander spazieren – zwar 6½ weit auseinander- aber wir haben’ suns 
      vorgenommen und sind eunmal eigensinnige Kerls.
      So und nun fange ich an zu erzählen:
      Mit meinen Kollegen stehe ich stets auf freundschaftlichem Fuße; nun haben 
      wir Wr. Neustädter Künstler einen Götterverein gebildet, d. h. einen 
      Verein, der Unterhaltung und Geselligkeit unter uns befördern soll und in 
      welchem jeder von uns den Namen eines Gottes führt: Zeus, Merkur sc. Sc. ( 
      NB, mit und ohne Recht)
      
      Jupiter ( Graube) hat eine Keule solchergestalt [ Federzeichnung] mit 
      ehemals goldenem, jetzt silbernem Knopfe, mit dieser Keule schlägt Pluto ( 
      Lindenberg) alle sterblichen, die Götter werden wollen, tot, wenn sie 
      zuvor Gründe angeben, die sie veranlassen, das Leben verlassen zu wollen.
      
      Ich will Dir meine kreirung zum Gotte schildern.
      
      Ich trat eines Freitags ( alle Freitag, da wir an diesem Tage nichts zu 
      tun haben ist unsere Versammlung) in den Fischhof, so heißt unser Gasthaus 
      und werde mit wahrhaft kannibalischem Geschrei empfangen. 
      Dann führte mich Merkur ( Gürtler ) aus der Gaststube und pochte an die 
      Thür, Jupiter ruft „Herein“! und wir traten ein.
      
      „ Wer stört mich in meiner Götterruh“ ? fragte Jupiter, und Merkur 
      rapportiert: „ Auf meiner Ruckras’ hob i an Sterblichen dargrabbelt, der 
      gern ein Gott wer’n möchte. ( Merkur spricht nämlich reines Winerisch.)
      Also machte ich mich ziternd und zagend den Himmlischen und sagte meine 
      Gründe, warum ich sterben möchte, her.
      
      1. Möchte’ ich sterben aus Langerweile, weil’ s hier in der Neustadt s o 
      langweilig ist, wenn ich nicht schon aus dem Grunde g’storbe’n bin und 
      Gespenst geworden bin, weil ich den ganzen tag umgeh’.
      2. Möchte’ ich sterben, weil ich über kurz oder lang ohnedies des viel 
      schmerzlicheren Hungertodes sterben müßt’, da ich ein Stück Schriftsteller 
      bin und die Schriftsteller es wohl nach ihrem Tode zu einem Denkmal, aber 
      vor selben zu keinem ordentlichen Gastmahle bringen.
      3. Will ich sterben aus purer Kollegialität, denn wenn alle meine Kollegen 
      hin sind, was mach ich noch allanig.
      
      Hierauf wurde ich zum Gotte geschlagen und erhielt merwürdigerweise den 
      Namen Momus. – 
      
      Jetzt muß Du wissen, dass wir eine geschriebene Zeitung, betitelt „ Die 
      lose Goschen“ alle Freitag herausgeben, wer Beiträge liefern will, liefert 
      sie, hat er sie aber nicht geliefert, wenn er sich einmal verpflichtet 
      hat, zahlt er 5 Kr., 5 W.
      Redakteur der Zeitung ist Merkur, dass Momus einer der Hauptmitarbeiter, 
      kannst Du Dir denken. - 
      Einweilen genug von unseren Götterabenden!
      Mein Stück „ Der Onkel ist angekommen“ gedieh bis zum 2. Akt, jetzt noch 
      den 3. gedichtet, das ganze umgearbeitet, abgeschrieben und dann 
      eingereicht – und dann zurückgeschickt! 
      Oder sonst was.
      Meine Rollen halten mit haarsträubender Konsequenz das sechs Wortsystem 
      ein – o je –o weh!
      Übrigens spreche ich mit Irxenmayer: „Brav dazur g’ schaut“ – und so 
      schau’ ich halt brav dazur – und zur, wenn ich nichts zu thun habe.
      
      Gruß und Empfehlung von mir und meiner Mutter an Deine werten Eltern, Hr. 
      Boschetti, an Onkel Haunthal, an Frl. Valeria B. ( und an alle,die ich 
      etwa ausgefallen habe,, - nimm das buchstäblich, so hast Du fürs ganze 
      Jahr Arbeit).
      
      Somit grüßt Dich Dein getreuer Freund
      Ludw. Anzengruber,
       
      
      
      
      Schauspieler, eine 
      Treppe hoch, 4 Thür, in Wiener Neustadt
      -Gasse engagiert lange Nr. 218