BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 





 

Bürger Gottfried August
1747 - 1794


 

 


Die letzten Jahre sehen seines Lebens sehen Bürger fast nur noch in seiner Studierstube. Seine Menschenverachtung ist grenzenlos: " Großmut und Menschenliebe; man denke! Man bekommt dafür nicht ein Glas Schnaps in der Welt!" -
Drei Ehen hat er hinter sich. Seine Geldverhältnisse sind trostlos.
Im Herbst 1793 überfällt ihn eine akute Leberentzündung. Sie endet - nach den merkwürdigen medizinischen Terminologie jener Zeit - als Lungenschwindsucht. -
Ruhig erwartet der schwer bedrückte Mann den Tod.
Einen tag vor dem Ende - am 7. Juni 1794 - schreibt Caroline Böhmer ( Schlegel) : Mit Bürger, der ist völlig so arg - ich weiß es von Dietrich -..... Er hat nichts zu essen als was ihm seine Freunde schicken und ist von der übelsten Laune." -
Im Alter von 46 Jahren starb der Dichter der "Lenore" wie er es gewünscht: ohne Schrecken und Schmerz.


An Heyne

Göttingen, den 16.März 1794

Theuerste Herr Hofrath!

Ich kann und darf noch nicht wieder ausgehen; muß Euer Wohlgeb., also meine dringende Bitte schriftlich an das Herz legen, so gern ich dieß mit bessere Fülle der Motive mündlich getan hätte. Bester Mann, Sie äußerten neulich so eine so wahre Rührung, eine so herzliche Theilnahme an meinem traurigen Schicksale, daß es mir seitdem zu einem süßen Troste gereicht hat. Ich rede also unbefangen, und unbekümmert um die Wahl der Worte zu Ihnen, wie mir das volle, aufrichtige Herz gebietet....

Ich kann ohne Gehalt, besonders nach meinen letzten Fatalitäten, durchaus hier nicht länger bestehen.
Wird es mir noch länger entzogen, so muß ich gewiß und wahrhaftig meine Professorenstelle niederlegen; und ich bin noch reifer Überlegung dazu entschlossen, so fatal auch der Schritt in manchen Rücksichten ist ...... ich muß, ich muß meine Stelle verlassen, um von hier weg, auf irgendein bequemes, wohlfeiles Dorf ziehen und daselbst eingeschränkt von meinem Wenigen, wie ein armer Dorfpastor von seiner Drei bis Vierhundert Thaler Pfarre leben zu können. Hier in Göttingen kann ich ohne, ohne den Professtorstand verächtlich zu machen, eine Familie von sechs Personen auf keine Weise unter 600 Rth. jährlich durchbringen....
Ich weiß wohl, daß ich in meinen jüngeren Jahren durch mancherlei Verkettung, durch Leidenschaften und Unbesonnenheiten hingerissen, die doch die gutmütige billige Menschlichkeit gern entschuldigen dürfte, manchen unnützen Streich begangen, dagegen manches nützliche unterlassen, und mich dadurch in einen fatalen Mißkredit gesetzt habe. Aber nie haben wohl einem Menschen seine Gebrechen und Fehltritte mehr Nachteil gebracht, keinem sind sie wohl in den verzertesten Karricatur -Zeichnungen länger mit lautem Geschrei nachgetragen worden, als mir....Theuerster Mann, ich schmeichle mir, wenn Sie mich näherer Bekanntschaft würdigen wollten, Sie würden meinen Charakter, meine Gesinnungen Ihre Achtung - selbst Ihre Freundschaft nicht versagen. -

Ich muß abbrechen, weil ich unvermerkt schon so viel, und wirklich nicht zum Vortheil meiner Gesundheit dahingeschrieben habe. Aber wie vieles hätte ich nicht noch zu sagen und Rath zu fragen!
.... Sie sind mir gewiß nicht abgeneigt. Desto eher darf ich meine Beschwörung wiederholen. Lassen Sie es sich zu Herzen gehen, was Krankheit, Niedergeschlagenheit des Geistes, Kummer und Noth sind!
Ich danke gehorsamst für für die Nachricht von meinem Neveu und bin mit der unwandelbarsten Anhänglichkeit und Verehrung

Ew. Wohlgeborenen gehorchsamster Diener



Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag Berlin 1919
 


 


 

 




 

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