Chamisso Adelberg
1781 – 1838
ERSTER BRIEF
Chamisso Adalbert
Adalbert von Chamisso entstammt französischem Uradel aus der Champagne, wo er
auch seine Kindheit verlebte. Er ist also von französischen Blute; aber als
Verfasser von Peter Schimihis wundersame Geschichte und so mancher volkstümlich
gewordener Gedichte dürfen wir ihn zu den Unsern rechnen.
Als sein Stammschloß Goncourt in der französischen Revolution niedergebrannt
wurde, rettete die Familie nichts als das nackte Leben nach Deutschland.
Der junge Chamisso musste durch Herstellung von Miniaturmalereien das Leben
seiner Familie fristen helfen. Mit fünfzehn Jahren wurde er vom König von
Preußen ins Pagenkorps aufgenommen, darauf trat er ins preußische Heer und wurde
mit zwanzig Jahren Leutnant in Berlin.
Es wurde ihm nicht leicht, in die deutsche Sprache einzuarbeiten, so schön er
sie später auch als Dichter sprach. In Berlin hatte er geistreiche Freunde.
Zu der vierundzwanzigen schönen und geistvollen, aber auch koketten Witwe Ceres
Duvermay, einer Landsmännin, erfühlte ihn eine leidenschaftliche Liebe. Im Jahre
1805 muß Chamisso gegen seine Landsleute ins Feld rücken. Auf der einen Seite
den Schmerz dies in diesem Punkte doch im Herzen französische fühlenden Mannes,
auf der andern Seite den Kummer über den ungeeigneten Zustands des preußischen
Heeres – das schildert der Brief des Dreiundzwanzigjährigen.
Doch blieb es ihm durch die gleichwohl schwer empfundene unrühmliche Uebergabe
der Festung Hameln, zu deren Besatzung er gehörte, erspart, die Waffen gegen
seine Nation zu führen. Die Seelenkämpfe wiederholten sich in den
Befreiungskriegen, wo sein Herz sich wieder unter beide Partein teilen musste.
Er nahm nicht teil und schrieb in dieser Zeit seinen Peter Schlemihl, der die
Züge der Unrast seines zwischen den Völkern stehenden Verfassers trägt. Später
wurde Chamisso Adjunkt am Botanischen garten zu Berlin.
19. Oktober 1805
Meine Eltern beriefen mich eben itzt meine Reise anzutreten, da ich, wie ich aus
ihren Worten ersehe, die mir für die Zukunft Bestimmte diesen Winter hätte
kennen gelernt.
Andrerfalls schreibt mir Ceres einen in Liebe schmelzenden Brief, innig und wahr
und kunstvoll. Sie sagt mir, wie sie, von sie nichtverstehenden Menschen
umgeben, für sie, für ihren Sohn sich hinweg von ihnen sehnt, wie sie den Wert
der Deutschen einsehen lernt, für ihre Ruhe sich unter sie sehnet, wie sie aber
mich noch sehen, noch sprechen will und mich in paris, wo sie mich ruft, zu
erwarten entschlossen sei, ehe sie ihr Schicksal bestimme. Dieses einzig nur ist
ihr Brief und Adolf, das ist ihr Augenblick, wo ich hinziehn muß und wohin? –
und ich kann weder in Zeit noch in Raum nichts berechnen. – Wohin? Erst hieß es,
gegen die Russen und ich freue mich doch nach vollbrachten Opfer in die
Thätigkeit versetzt zu sein, die dem Manne ziemt.
Aber nun, nun ist es vielleicht gegen das Vaterland. Ehre Pflicht! Aber ist Ehre
auch nicht Pflicht? Wär ich ein Franzose gewesen, wär ich von dieser gewichen.
Ehre? Heischt aber die Ehre noch dieses?
Hab ich anders handeln können, habe ich gesollt?
Ich weiß es nicht.
Ich habe noch diesmal die Augen zugedrückt und bin, ob Schmerz, ob es auch
Abscheu fühlend, gefolgt.
Adolf, wenn Dich die Soldaten nähmen und Dich der schwarze Genius mir
entgegenführte, und die Schicksale vielleicht entscheidend unserer Rechte.
Von Schicksalen und Losewerfen will ich Dir ein Märchen erzählen. Ich war nach
Potsdam geritten, um bei Itzig Abschied zu nehmen und sollte die Nacht
zurückreiten. Spät war’ s geworden, Politik war das Hauptgespräch gewesen.
Welche hatten gemeint, wir wären in den Krieg gezogen worden, auf dass nur
mehrere Feinde, durcheinander verraten, einer, Preußen etwa, geliefert werde.
Andere anders, spät war es geworden und die Damen mittenein vom Schlafe
überwältigt. Der Vorschlag wurde getan, der alle ermunterte, durch Karten
–Wahrsagen, zur Feier des Abschieds, mir und den Königen das Los zu werfen.
Keiner verstand die Kunst. Aus einem Tarockspiele, das herbei geschafft worden
war, lagen die sechs Karten auf dem Tische, welche wie folgt benannt worden
waren: Coerbube napoleon Pickkönig Alexander, Pickbube Franz, Carodame Friedr.
Wilhelm, der Hauswurst: ich selbst und endlich Coerdame, die man nicht beigefügt
hatte. Ich nahm die Karten in die Hand, mischte und alle schwiegen in der
Erwartung. Ich that, wie es mich der Geist lehrte.
Ich ergriff die oberste Karte und sprach: Kommt oben; ich warf sie um: Coerbube.“
Die Aufmerksamkeit war gespannt. Die unterste Karte liegt unten und fällt: der
Hanswurst. Was soll die oberste? . Bezahlt die Zeche, umgeworfen: es war die
Coerdame. Was soll die unterste? Zieht ruhig zu Hause; es war an die ich nicht
mehr dachte. Carodame. Ich warf die zwei anderen auf den Tisch und sprach:
Theilen mit. Alle schwiegen, ich umarmte sie, stieg auf mein Pfed, zu dem sie
mich geführt hatten und spornte. Die Glocke schlug zwölf.
Gegen unsere französische Armeen, die ich küssen möchte, die raschen, tapferen
Jungen, die zu Fuße gehen, frei von Gepäck, auf nackter Erde im Froste schlafen
und rasch sind, wie nicht Corriere hie zu Land, was sind wir, wie andern?
Der König halte uns aufgefordert, zu Fuße die Campagne zu machen, und hat uns
den Betrag der Ersparnis lassen wollen; wir sind aufgestanden gegen ihn und,
malgre mes – dents, ich, der es, wie man nur etwas wünschen kann, wünschte,
befreit zu werden der quälender Last dieser Mähren und ποσσι τετοιτως (!) , und
ich muß, muß sie haben, die mir das Blut der Seele an Geld aussaugen. Tische,
Stühle, Betten und Bettstellen, ja Nachtstühle schleppen wir mit, schleppen uns
selbst unter Klagen an eine liebenswürdige Unordnung, welche mich erschreckt:
Brot, Futter fehlt, Pferde werden vermitzt. Ich habe nichts mitgenommen als
Bollwerk gegen die unedle, verhatzte, erstarrende Kälte, 3 Decken, ein leichtes
Koffer und mein Zelt anderthalb Zentner im Summa, worüber, viele Viele die Hände
über den Kopf zusammenschlagen wollen; aber dass Homeros, Buttmann und ein
Schreibzeug mitgekommen sind, weiß Du nur so von selbst.
Vor dem Ausmarsch haben sich 3 Compagnierchefs ( anderer Regiment) ersäuft,
erschossen und den Hals abgeschnitten.
Ist es schmerzhaft, so ist es doch schön und stolzerhebend und wiederum süß, die
besseren unter denen, die wir verlassen an uns geketter zu haben und bei der
Trennung durch sie festzuhängen an jedem Orte, wo wir waren.
Ich kann Dir nicht sagen, Adolf, wie dies in Berlin, das ich schon Oede schalt
und eine Wildnis mir noch Theilnahme und wahre Freundschaft
Hat erblühen lassen. Von der Sander, der Cohen und anderen habe ich mit Thränen
den Abschiedskuß empfangen, alle die ich gekannt habe, alle überall haben mir
Freundschaft bezeugt und ich habe keines Schuldners Gesicht gesehen.
Mehrere haben mir Geld angeboten. Köstliche und auch nützliche Geschenke haben
mir werthe Hände gereicht und also bin ich gezogen. Die Nacht des Abmarsch haben
mir Freunde Wein und Punsch ins Haus gebracht und wir haben sie durchschwärmt
und durchjubelt. Beim Ausmarsche mich zu begrüßen zogen Männer und Frauen und
Kinder hinaus. Dir jegliche herzuzählen, kann ich nicht.
LETZTER BRIEF
Berlin den 5. August 1838
An Andersen
Mein junge Freund, der Studierende Johannes Horkel, ist der Überbringer.
Theuerster verehrtester Freund!
Sie haben einen müden alten kranken Mann, mich, mit „ Nur ein Geiger „
hocherfreut, und ich sage Ihnen für das freundliche Geschenk meinen aufrichtigen
Dank. Das ist wieder die volle wunderherrliche Poesie der Kinderjahre –
unvergleichlich.
Das macht Ihnen Keiner nach in unserer gehegelten widerwärtigen Zeit. Sie
gehören billig zu den Lieblingsschriftstellern Deutschlands. Daß Ihr diesmal
schmächtigerer Held gewissermaßen verkümmert, ist wohl in der Anlage begründet,
aber es ist nicht eben wohlthuend und könnte zu dem Verdacht verleiten, daß Sie,
dessen alter ego, mit der Ungerechtigkeit des Schicksals zu hadern meinten.
Lasset nur uns gesund und frisch uns mit dem Erzielten vergnügt erhalten und
bewahre uns Gott vor Zerrissenheit und Schmerz, wie jetzt überall zur Schau
widerwärtig ausgehängt wird.
Ich habe gehabt. Fuimus Troes. Ich zehre froh an der Erinnerung. Daß ich noch
bisweilen spielen kann, wird Ihnen beikommendes Buch *) sagen, auch wird der
diesjährige Musenalmanach reich an Beiträgern von mir sein. Wer ist Pseudonymus
Carl Bernhard, der mir, sein Glückskind zugesandt hat? Ich möchte ihm meinen
Dank abgestattet wissen. Lassen Sie sich unter den Erzeugnissen unserer meisten
Literatur bestens empfohlen sein:
Wieland der Schmid; von K. Simrock.
Gedichte von Freiligrath.
Das neueste Gedicht von Rückert. ( zwei persichesche Heldennamen, die mir eben
nicht in die Feder kommen wollten.**)
Mein armer Kopf! Mein armes Gedächtniß! )
Es giebt sonst des Mittelguten viel, aber des Schlechten eine Sündfluth, und ich
spare die Tinte.
Leben Sie wohl; mein sehr theurer Freund, und bleiben Sie jung, gesund und
zufrieden.
Adelbert Chamisso
Gaudy ist zum zweiten Male in Italien. Ich habe einmal Freunden von Ihnen, die
Sie mir zugesandt haben ein Exemplar meiner Werke für Sie gegeben, habe Sie es
erhalten.
____________________
* Die Veranger
** Rostem und Suhrab.
Literatur; ADELBERT CHAMISSO
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