GRIMM WILHELM
1786 - 1859
An Ferdinand Wolf
Berlin 8 ten November 1859
Hoch geehrtester herr,
für die zusendung Ihrer schönen, mit ebensoviel sorgfalt als gelehrsamkeit
ausgeführten schrift über die spanische volkspoesie 1), durch deren zuneigung
Sie mich geehrt haben, bitte ich Sie meinen aufrichtigen dank anzunehmen. ich
habe sie mit großem vergnügen duchgelesen und erwünschte belehrung daraus
geschöpft. die mitgetheilten lieder sind allerliebst, die märchen wichtig durch
ihre übereinstimmung mit den deutschen, die thiermärchen überraschend. ich will
noch nicht in abrede stellen daß diese aus dem voke geschöpft sind, wiewol ich
weitere bestätigung dafür wünsche, aber ihre anlage und künstliche überdachte
ausführung hat den schein absichtliche erfindung. die echten thiermärchen haben
die eigenthümliche natur der thiere zur grundlage, und daraus entwickelt sich
der inhalt: hier aber kommt das thierleben kaum in betracht. ich muß daher
bezweifeln daß sie aus alter überlieferung hervorgegangen sind.
Erlauben Sie mir noch die versicherung der größten hochschätzung und ergebenheit.
Der Ihrige Wilhelm Grimm