Kerner Justus
1786 - 1862
ERSTER BRIEF
Der schwäbische
Dichter Justinus Kerner, der Sänger der Lieder „ Wohlauf noch getrunken“
und „ Preisend mit viel schönen Reden“, hat eine glückliche Knabenzeit
verlebt.
Daß er nachher Kaufmann oder Konditor werden sollte, sagte ihm aber wenig
zu. Wie glücklich war daher der junge Kaufmannslehrling, als er,
achtzehnjährig die Universität in Tübingen beziehen dürfte, um Medizin zu
studieren! Hier trat er in einen Kreis dichtungsbegeisterter Freunde ein,
die seine eigene Liebe und Begabung zur Dichtkunst förderten, in erster
Reihe der junge Uhland. In dieser glücklichen zeit schrieb der
neuzehnjährig stud. med. Kerner, als er sich einmal seinen Küree. d. h.
seinen Mantel verbrannt hat, an seinen Schneider in Ludwigsburg den
folgenden Brief:
Tübingen, 1 Januar 1806.
Prosit s’ Neujahr!
In welche Gefahr
Durch Feuersnot,
O lieber Gott!
Ich gekommen schier,
Vernehmen Sie hier:
Ganz ruhig ich saß
Am Ofen und las
In einem Buch
Wie Gottes Fluch
Und alles Uebel
Ohne Bibel
Durch Laxiren und Spielen
Zu hellen Seiten
Als plötzlich – o !
Ganz lichterloh
Der Teufel kroch,
Mir mit glühenden Klauen
Den Küree zu rauhen.
Ich bin nicht dumm,
Dreh’ mich um,
Schüttel und rüttel
Den brennenden Kittel.
Aber ein Loch
Bleibt dennoch,
Wie sie werden sen,
Wenn sie umdrehn.
Was ist zu machen ?
Sie werden lachen.
Aber ich möchte weinen
Bei Gott und den seinen.
Jesus je,
Mein Küree!
Sie sind der Mann,
Der helfen kann,
Darum sehen Sie doch
Einen Pletz fürs Loch.
Aber nur bald;
Denn es ist kalt.
Vielleicht hat Sprösser
Oder noch besser
Die Fabrik
Noch ein Stück
Der Art feil.
Ihr Kerner in Eil!
( Sprösser ist ein Geschäft, die Fabrik die herzogliche Tuchfabrik, beides
in Ludwigsburg)
Aus Jugendbriefe berühmter Männer / Ausgewählt und eingeleitet von Dr. Joh.
Rohr
Verlag „ Die Buchgemeinde „ Berlin W 50 1924
LETZTER BRIEF
J. K. an Julie Hartmann
Weinsberg, den 21. Februar 1857
Wenn ich großen Jammer habe, so muß ich immer dabei auch an Sie denken,
weil ich Ihrer Teilnahme so ganz versichert bin und weil ich Ihnen nur
sogleich immer alles sagen möchte, was mich betrübt. Meine Emma ist wieder
aufs neue sehr krank und lag kürzlich eine halbe Stunde lang völlig im
Scheintode, ohne Herzschlag, in Todeskälte und ohne Regung.
Aus dieser kommenden Todesnacht erholte sie sich zwar wieder, aber noch
ist sie in sehr betrübenden Umständen. Erlassen Sie mir die nähere
Beschreibung. Dabei ist auch die Marie immer krank und, wie es scheint, am
Rückenmark leidend, ein Jammer, der mir das alte, zerrissene Herz vollends
abfrisst. Was mir zum Troste gereichte, war, daß mich die gute Frau Prof.
Lanz, die mich mit ihrem Mann, der sich wegen historischen Nachforschungen
in der Bibliothek zu Stuttgart aufhält, auf vierzehn Tage besuchte und mit
mir meinen Jammer teilte, während alte Freunde sich um mich nicht mehr
viel bekümmern. Die Frau ist die Tochter des verstorbenen Hofrats Prof.
Schelver 1) in Heidelberg, ihre Schwester hat Gervinus zur Frau, auf diese
Weise sollte sie ja Weisser kennen, da er, soviel ich weiß, ein intimer
Freund von Gervinus ist 1.
1) Schelver , Professor der Medizin, lebte 1778 – 1832 )
Gervinus 1805 – 1871 ist bekannter Historiker
Ihr Mann ist als gelehrter Historiker berühmt und wird mit Aufträgen
Bayerns aufs Frühjahr nach den alten Bibliotheken Spaniens abreisen, wohin
Gervinus mit seiner Frau sich auch begeben wird.
Frau Lanz wird aber in Cannstadt bleiben, sie war der Marie und mir schon
als junges Mädchen bekannt und ist ein Wesen von ganz ausgezeichnetem
Geiste und Herzensgüte, sie hat ein ganz eigenes, tiefes Verständnis der
Musik, des Seelenlebens der Menschen, und war des alten vortrefflichen
Ennemosers ganz genaue Freundin… Ich habe vergessen sie zu fragen, ob sie
denn durch Gervinus nicht auch etwas von Weisser wisse; jetzt erst, das
sie fort ist, fällt mir bei, daß Weisser ja von diesem ein guter Freund
ist. –
Mein körperliches Leiden nimmt immer mehr zu und ich konnte und kann nicht
zu meiner armen kranken Emma, und selbst die kranke Marie kann ich nicht
in ihrem eigenen Hause besuchen.
Es ist ein jammervolles Leben, das aber freilich nach allen Aussichten
doch jetzt bald ein Ende nehmen wird. Die gute Lanz sagte mir, sie habe
davon gehört, und als es geschnieen, habe sie gedacht, wie verlassen ich
sein werde, und das hat mich wahrhaft erfreut, weil sonst nur in des
Sommers Sonnenschein die Vögel in meinen garten kommen, zur Winterzeit
aber sich keiner zeigt, aber auch die besten Freunde, seit mein Winter
eintrat, nicht mehr zu mir reisen können…
Meiner Anna 1) meinem Sekretär und ehemaligen Hofrate, habe ich jetzt den
Titel eines Legationsrates und geheimen Archivars taxfrei erteilt, weil
der Titel eines Hofrates gar zu gemein wurde…. Die Helene 1) die Sie
tausendmal grüßt, erhielt von mir den Titel eines zweiten Sekretärs….
Justinus Kerner.
1) Kerners Enkelinnen, beide Töchter von Marie Riethammer
Literatur aus; Justinus Kerner
Briefwechsel mit seinen Freundenherausgegeben von seinem Sohn Theobald
Kerner
Durch Einleitung uns Anmerkungen erläutert von Dr. Ernst Müller Mit vielen
Abbildungen und facsimiles
Zweiter Band
Stuttgart und Leipzig
Deutsche Verlags –Anstalt 1897
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