BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 




Kerner Justus

1786 - 1862

 


ERSTER BRIEF

 


Der schwäbische Dichter Justinus Kerner, der Sänger der Lieder „ Wohlauf noch getrunken“ und „ Preisend mit viel schönen Reden“, hat eine glückliche Knabenzeit verlebt.
Daß er nachher Kaufmann oder Konditor werden sollte, sagte ihm aber wenig zu. Wie glücklich war daher der junge Kaufmannslehrling, als er, achtzehnjährig die Universität in Tübingen beziehen dürfte, um Medizin zu studieren! Hier trat er in einen Kreis dichtungsbegeisterter Freunde ein, die seine eigene Liebe und Begabung zur Dichtkunst förderten, in erster Reihe der junge Uhland. In dieser glücklichen zeit schrieb der neuzehnjährig stud. med. Kerner, als er sich einmal seinen Küree. d. h. seinen Mantel verbrannt hat, an seinen Schneider in Ludwigsburg den folgenden Brief:

Tübingen, 1 Januar 1806.


Prosit s’ Neujahr!
In welche Gefahr
Durch Feuersnot,
O lieber Gott!
Ich gekommen schier,
Vernehmen Sie hier:
Ganz ruhig ich saß
Am Ofen und las
In einem Buch
Wie Gottes Fluch
Und alles Uebel
Ohne Bibel
Durch Laxiren und Spielen
Zu hellen Seiten
Als plötzlich – o !
Ganz lichterloh
Der Teufel kroch,
Mir mit glühenden Klauen
Den Küree zu rauhen.
Ich bin nicht dumm,
Dreh’ mich um,
Schüttel und rüttel
Den brennenden Kittel.
Aber ein Loch
Bleibt dennoch,
Wie sie werden sen,
Wenn sie umdrehn.
Was ist zu machen ?
Sie werden lachen.
Aber ich möchte weinen
Bei Gott und den seinen.

Jesus je,
Mein Küree!
Sie sind der Mann,
Der helfen kann,
Darum sehen Sie doch
Einen Pletz fürs Loch.
Aber nur bald;
Denn es ist kalt.
Vielleicht hat Sprösser
Oder noch besser
Die Fabrik
Noch ein Stück
Der Art feil.

Ihr Kerner in Eil!

( Sprösser ist ein Geschäft, die Fabrik die herzogliche Tuchfabrik, beides in Ludwigsburg)
 

 


Aus Jugendbriefe berühmter Männer / Ausgewählt und eingeleitet von Dr. Joh. Rohr
Verlag „ Die Buchgemeinde „ Berlin W 50 1924


LETZTER BRIEF
J. K. an Julie Hartmann
Weinsberg, den 21. Februar 1857

Wenn ich großen Jammer habe, so muß ich immer dabei auch an Sie denken, weil ich Ihrer Teilnahme so ganz versichert bin und weil ich Ihnen nur sogleich immer alles sagen möchte, was mich betrübt. Meine Emma ist wieder aufs neue sehr krank und lag kürzlich eine halbe Stunde lang völlig im Scheintode, ohne Herzschlag, in Todeskälte und ohne Regung.
Aus dieser kommenden Todesnacht erholte sie sich zwar wieder, aber noch ist sie in sehr betrübenden Umständen. Erlassen Sie mir die nähere Beschreibung. Dabei ist auch die Marie immer krank und, wie es scheint, am Rückenmark leidend, ein Jammer, der mir das alte, zerrissene Herz vollends abfrisst. Was mir zum Troste gereichte, war, daß mich die gute Frau Prof. Lanz, die mich mit ihrem Mann, der sich wegen historischen Nachforschungen in der Bibliothek zu Stuttgart aufhält, auf vierzehn Tage besuchte und mit mir meinen Jammer teilte, während alte Freunde sich um mich nicht mehr viel bekümmern. Die Frau ist die Tochter des verstorbenen Hofrats Prof. Schelver 1) in Heidelberg, ihre Schwester hat Gervinus zur Frau, auf diese Weise sollte sie ja Weisser kennen, da er, soviel ich weiß, ein intimer Freund von Gervinus ist 1.

 


1) Schelver , Professor der Medizin, lebte 1778 – 1832 )
 Gervinus 1805 – 1871 ist bekannter Historiker


Ihr Mann ist als gelehrter Historiker berühmt und wird mit Aufträgen Bayerns aufs Frühjahr nach den alten Bibliotheken Spaniens abreisen, wohin Gervinus mit seiner Frau sich auch begeben wird.
Frau Lanz wird aber in Cannstadt bleiben, sie war der Marie und mir schon als junges Mädchen bekannt und ist ein Wesen von ganz ausgezeichnetem Geiste und Herzensgüte, sie hat ein ganz eigenes, tiefes Verständnis der Musik, des Seelenlebens der Menschen, und war des alten vortrefflichen Ennemosers ganz genaue Freundin… Ich habe vergessen sie zu fragen, ob sie denn durch Gervinus nicht auch etwas von Weisser wisse; jetzt erst, das sie fort ist, fällt mir bei, daß Weisser ja von diesem ein guter Freund ist. –
Mein körperliches Leiden nimmt immer mehr zu und ich konnte und kann nicht zu meiner armen kranken Emma, und selbst die kranke Marie kann ich nicht in ihrem eigenen Hause besuchen.
Es ist ein jammervolles Leben, das aber freilich nach allen Aussichten doch jetzt bald ein Ende nehmen wird. Die gute Lanz sagte mir, sie habe davon gehört, und als es geschnieen, habe sie gedacht, wie verlassen ich sein werde, und das hat mich wahrhaft erfreut, weil sonst nur in des Sommers Sonnenschein die Vögel in meinen garten kommen, zur Winterzeit aber sich keiner zeigt, aber auch die besten Freunde, seit mein Winter eintrat, nicht mehr zu mir reisen können…
Meiner Anna 1) meinem Sekretär und ehemaligen Hofrate, habe ich jetzt den Titel eines Legationsrates und geheimen Archivars taxfrei erteilt, weil der Titel eines Hofrates gar zu gemein wurde…. Die Helene 1) die Sie tausendmal grüßt, erhielt von mir den Titel eines zweiten Sekretärs….
Justinus Kerner.
 

 


1) Kerners Enkelinnen, beide Töchter von Marie Riethammer

 


Literatur aus; Justinus Kerner
Briefwechsel mit seinen Freundenherausgegeben von seinem Sohn Theobald Kerner
Durch Einleitung uns Anmerkungen erläutert von Dr. Ernst Müller Mit vielen Abbildungen und facsimiles
Zweiter Band
Stuttgart und Leipzig
Deutsche Verlags –Anstalt 1897


 


 

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