HEINRICH VON KLEIST
1777 - 1811
ERSTER BRIEF
entstammt einer märkischen
Adelsfamilie. Mit fünfzig Jahren wurde er ins Potsdamer Garde Regiment eingereit,
mit zwanzig Jahren war er Leutnant. Indessen fühlte er sich im Soldatenberufe
höchst unglücklich, und heimlich bereitete er sich aufs Universitätsstudium vor.
Mit zweiundzwanzig Jahren erhielt er seinen Abschied und begann in Frankfurt a.
D. Mathematik und Physik zu studieren. Dort lernte er die Tochter Wilhelmine des
Generals von Zenge kennen und lieben und verlobte sich mit ihr.
Ihr zuliebe tat er das, was ihm innerlich zuwider war: er nahm eine Stellung an,
und zwar im Zoll – Aksisedepartament in Berlin. Von hier aus unternahm er mit
seinem Freunde Brokes zusammen eine geheimnisvolle Reise nach Würzburg, deren
Zweck er vor jedermann verbarg. Gleich nach der Rückkehr schreibt er den
folgenden Brief an seine Braut. Die Unrast, die sein ganzes Leben erfüllt,
spricht sich in diesen Zeilen des dreiundzwanzigjährigen aus. Die Braut war ganz
so, wie er sie sich wünschte: gefügig, anschmiegsam und bildsein wie Käthchen
von Heilbronn; aber nur mit Bangen mochte sie an die Zukunft denken, , die
Kleist ihr hier entwirft. Was ihm vorschwebt, ist die Ausbildung der
Persönlichkeit, frei von jedem Beruf. Wäre Wilhelmine stark genug gewesen, sein
Los zu teilen? Wäre er stark genug gewesen, das Glück beider auf diesem Wege zu
verwirklichen? Die Ungewissheit einer Antwort auf diese Fragen führte später zum
Bruch.
Berlin, d. 13t. Novmbr, 1800
Liebe Wilhelmine, o Dein Brief hat mir eine ganz außerordentliche Freude
gewährt. Dich so anzuschmiegen an meine Wünsche, so innig einzugreifen in mein
Interesse – o es soll Dir gewiß einst belohnt werden! Grade auf diesem
Lebenswege, wo Du Alles fahren lässt, was doch sonst die Weiber reizt, Ehre,
Reichthum, Wohlleben, grade auf diesem Wege wirst Du um so gewisser etwas
Anderes finden, das doch mehr werth ist als das Alles – Liebe. Denn wo es noch
andere Genüsse giebt, da theilt sich das Herz, aber wo es nichts giebt als
Liebe, da öffnet sich ihr das ganze Wesen, da umfasst es ihr ganzes Glück, da
werden alle ihre unendlichen Genüsse erschöpf - ja, gewiß, Wilhelmine, Du sollst
einst glücklich sein.
Aber laß uns nicht bloß frohen Träumereien folgen.
– Es ist wahr, wenn ich mir
das freundliche Thal denke, das einst unsre Hütte umgrenzen wird, und mich in
dieser Hütte und Dich und die Wissenschaften, und weiter nichts – o dann sind
mir alle Ehrenstellen und alle Reichthümer verächtlich, dann ist es mir, als
könnte mich nichts glücklich machen, als die Erfüllung dieses Wunsches, und als
müsste ich unverzüglich an seine Erreichung schreiten - - Aber die Vernunft muß
doch auch mitsprechen und wir wollen einmal hören, was sie sagt. Wir wollen
einmal recht vernünftig diesen ganzen Schritt prüfen.
Ich will kein Amt nehmen. Warum will ich es nicht? – O wie viele Antworten
liegen mir auf der Seele! Ich kann nicht eingreifen in ein Interesse, das mit
meiner Vernunft nicht prüfen darf. Ich soll thun was der Staat von mir verlangt,
und doch soll ich nicht untersuchen, ob das, was er von mir verlangt, gut ist.
Zu seinen unbekannten Zwecken soll ich ein bloßes Werkzeug sein - ich kann es
nicht. Ein eigner Zweck steht mir vor Augen, nach ihm würde ich handeln müssen,
und wenn der Staat es anders will, dem Staate nicht gehorchen dürfen.
Meinen Stolz würde ich darin suchen, die Aussprüche meiner Vernunft geltend zu
machen gegen den Willen meiner Obern – nein, Wilhelmine, es geht nicht, ich
passe mich für kein Amt. Ich bin auch wirklich zu ungeschickt, um es zu führen.
Ordnung, Genauigkeit, Geduld, Unverdrossenheit, das sind Eigenschaften, die bei
einem Amte unentbehrlich sind,, und die mir doch ganz fehlen. Ich arbeite nur
für meine Bildung gern und da bin ich unüberwindlich geduldig und unverdrossen.
Aber für die Amtsbesoldung Listen zu schreiben und Rechnungen zu führen – ach,
ich würde eilen, eilen, dass sie nur fertig würden und zu meinen geliebten
Wissenschaften zurückzukehren. Ich würde die Zeit meinem Amte stehlen, um sie
meiner Bildung zu widmen – nein, Wilhelmine, es geht nicht. Ja ich bin selbst zu
ungeschickt, mir ein Amt zu erwerben. Denn zufrieden mir wirklich Kenntnisse zu
erwerben, bekümmert es mich wenig, ob Andere sie in mir wahrnehmen.
Sie zur Schau aufstellen, oder zum Kauf ausbieten, wäre mir ganz unmöglich – und
würde man denjenigen wohl begünstigen, der den Stolz hat, jede Gunst zu
entbehren, und der durch keine andere Fürsprache steigen will als durch die
Fürsprache seiner eignen Verdienste?
- Aber das Entscheidendste ist dieses, dass
selbst ein Amt, und wäre es eine Ministerstelle, mich nicht glücklich machen
kann. Mich nicht, Wilhelmine – denn Eines ist gewiß, ich bin einmal in meinem
Hause glücklich, oder niemals, nicht auf Bällen, nicht im Opernhause, nicht in
Gesellschaften, und wären es die Gesellschaften mit Fürsten, ja wäre es auch die
Gesellschaft unsres eignen Königs - - und wollte ich darum Minister werden, und
häusliches Glück zu genießen?
Wollte ich darum mich in eine Hauptstadt begraben und mich in ein Chaos von
verwickelten Verhältnissen stürzen, um still und ruhig bei meiner Frau zu leben?
Wollte ich mir darum Ehrenstellen erwerben und mich darum mit Ordensbändern
behängen, um Staat zu machen damit vor meinem Weibe und meinen Kindern?
Ich will von der Freiheit nicht reden, weil Du mir schon einmal Einwürfe dagegen
gemacht hast, ob Du wohl gleich, wie alle Weiber, das nicht recht verstehen
magst; aber die Liebe und Bildung sind zwei unerlässliche Bedingungen meines
zukünftigen Glückes – und was könnte mir in meinem Amte davon zu Theil werden,
als höchstens ein karger, sparsamer Theil von beiden?
Wollte ich an die Wissenschaften gehen, so brächte mir der Secretär einen Stoß
von Akten und wollte ich einen großen Gedanken verfolgen, so meldete mir der
Kammerdiener, daß das Vorzimmer voll Fremden stehe.
Wollte ich den Abend bei meinem Weibe zubringen, so ließe mich der König zu sich
rufen und um mir auch die Nächte zu rauben, müsste ich in die Provinzen reisen
und die Fabriken zählen. O wie würde ich den Orden und die Reichthümer und den
ganzen Bettel der großen Welt verwünschen, wie würde ich bitterlich weinen,
meine Bestimmung so unwiderbringlich verfehlt zu haben, wie würde ich mir mit
heitzer Sehnsucht trocknes Brot wünschen und mit ihm Liebe, Bildung und Freiheit
- -
Nein Wilhelmine, ich darf kein Amt wählen, weil ich das ganze Glück, das es
gewähren kann, verachte.
Aber darf ich mich auch jedem Amt entziehen? – Ach, Wilhelmine, diese
spitzsündige Frage haben mir schon so viele Menschen aufgeworfen. Man müsse
seinen Mitbürgern nützlich sein, sagen sie und darüber haben sie Recht – und
darum müsse man ein Amt nehmen, setzen sich hinzu, aber darin haben sie Unrecht.
Kann man denn nicht Gutes wirken, wenn man auch nicht eben dafür besoldet wird?
O ich darf nur an Brockes denken - ! Wie vieles Gute, Vortreffliche, thut
täglich dieser herrlicher Mensch.
- Und dann, wenn ich einmal auf Kosten der Bescheidenheit die Wahrheit reden
will – habe ich nicht auch während meiner Anwesenheit In Frankfurt unter unsern
Familien manches Gutes gestiftet - ?
Durch untadelhaften Lebenswandel den Glauben an die Tugend bei Andern stärken,
durch weise Freuden sie zur Nachahmung reizen, immer dem nächsten, der es
bedarf, helfen mit Wohlwollen und Güte- ist das nicht auch gutes wirken? Dich
mein geliebtes Mädchen, ausbilden, ist das nicht etwas Vortreffliches?
Und dann, mich selbst auf eine Stufe näher der Gottheit zu stellen - o laß mich,
laß mich! Das Ziel ist gewiß hoch genug und erhaben, da giebt es gewiß Stoff
genug zum Handeln - - und wenn ich auch auf dieser Erde nirgends meinen Platz
finden sollte, so findeich vielleicht auf meinem andern Sterne einen um so
bessern.
Aber kann ich jeden Amt ausschlagen? Das heißt, ist es möglich? – Ach,
Wilhelmine, wie gehe ich mit klopfendem Herzen an die Beantwortung dieser Frage!
Weißt Du wohl noch am letzten Abend den Erfolg unserer Berechnungen? – Aber ich
glaube doch immer noch – ich habe doch noch nicht alle Hoffnung verloren - -
-Sieh, Mädchen, ich will Dir sagen, wie ich zuerst auf den Gedanken kam, daß es
wohl möglich sein müsse. Ich dachte, Du lebst in Frankfurt, ich in Berlin, warum
könnten wir denn nicht, ohne mehr zu verlangen, zusammen leben?
Aber das Herkommen will, daß wir mit Anstand leben sollen – o über die
Unglückseeligen Vorurtheile! Wie viele Menschen genießen mit Wenigen, vielleicht
mit einem Paar Hundert Thalern das Glück der Liebe – und wir sollten es
entbehren, weil, wir von Adel sind? Da dachte ich, weg mit allen Vorurtheilen,
weg mit dem Adel, weg mit dem Stande – gute Menschen wollen wir sein und uns mit
der Freude begnügen, die die Natur uns schenkt. Lieben wollen wir uns, und
bilden und dazu gehört nicht viel Geld – aber doch etwas, doch etwas – und ist
das, was wir haben, wohl hinreichend?
Ja, das ist es eben die große Frage.
O wenn ich warten wollte, bis ich mir etwas erwerben kann, oder will, o dann
bedürften wir weiter nichts als Geduld, denn das ist mir in der Folge gewiß. -
Laß mich ganz aufrichtig sein, liebes Mädchen. Ich will von mir mit Dir reden,
als spräche ich mit mir selbst. Gesetzt, Du fändest die Rede eitel, was schadet
es? Du bist nichts anders als ich, und vor Dir will ich nicht besser erscheinen,
als vor mir selbst, auch Schwächen will ich nicht vor Dir verstecken. Also
aufrichtig und ohne allen Rückhalt.
Ich bilde mir ein, daß ich Fähigkeiten habe, seltnere Fähigkeiten, meine ich -
Ich glaube es, weil mir keine Wissenschaft zu schwer wird, weil ich rasch darin
vorrücke, weil ich manches schon aus eigener Erfindung hinzugethan habe – und am
Ende glaube ich es auch darum, weil alle Leute es mir sagen. Also kurz, ich
glaube es.
Da stünde mir nun für die Zukunft das ganze schriftstellerische Fach offen.
Darin fühle ich, daß ich sehr gern arbeiten würde. - O da ist die Aussicht auf
Erwerb äußerst vielseitig.
Ich könnte nach Paris gehen und die neueste Philosophie in dieses neugierige
Land verpflanzen – doch das siehst Du Alles so vollständig nicht ein, als ich.
Da müsstest Du meiner bloßen Versicherung glauben nd ich versichere Dir hiermit,
daß wenn Du mir nur ein Paar Jahre Jahre, höchstens sechs, Spielraum giebst, ich
dann gewiß Gelegenheit finden werde, mir Geld zu erwerben.
Aber so lange sollen wir noch getrennt sein - ? Liebe Wilhelmine, ich will auch
hierin ganz aufrichtig sein. Ich fühle, daß es mir nothwendig ist, bald ein Weib
zu haben. Dir selbst wird meine Ungeduld nicht entgangen sein – ich muß diese
unruhigen Wünsche, die mich unaufhörlich wie Schuldner mahnen, zu befriedigen
suchen. Sie stören mich in meinen Beschäftigungen – auch damit ich moralisch gut
bleibe, ist es nöthig - Sei aber ganz ruhig, ich bleibe es gewiß. Nur kämpfen
möchte ich nicht gern. Man muß sich die Tugend so leicht machen als möglich.
Wenn ich nur erst ein Weib habe, so werde ich meinem Ziele ganz ruhig und ganz
sicher entgegen gehen – aber bis dahin – o werde bald, bald, mein Weib.
Also ich wünsche es mit meiner ganzen Seele und entsage dem ganzen prächtigen
Bettel von Adel und Stand und Ehre und Reichtum, wenn ich nur Liebe bei Dir
finde. Wenn es nur möglich ist, daß wir so ohne Mangel bei einander leben können
etwa sechs Jahre lang, wo ich mir etwas zu erwerben hoffe, o dann bin ich
glücklich.
Aber ist dies möglich - ? O Du gutes, treffliches Mädchen! Ist es möglich, so
ist es nur durch Dich möglich.
Hätte mich mein Schicksal zu einem andern Mädchen geführt, das nicht so
anspruchslos und genügsam wäre, wie Du, ja dann müsste ich diesen innigsten
Wunsch unfehlbar unterdrücken. Aber auch Du willst nichts, als Liebe und
Bildung- o beides sollst Du von mir erhalten, von dem ersten mehr selbst als Du
fordern wirst, von dem andern so viel ich geben kann, aber beides mit Freuden.
Ich erwarte mit Sehnsucht Deine Berechnung. Du kannst das besser prüfen als ich.
Aber laß Dich nicht verführen von Deiner Liebe. Sei karg gegen mich, aber nicht
gegen Dich. Nein, ich schwöre Dir, ich will Dich mit dieser scheinbaren
Selbstverleugnung nicht an Edelmuth übertreffen. Setze also nicht vergeblich
Edelmuth an Edelmuth, das würde unser beiderseitiges Interesse verwirren. Laß
uns wahr sein, ohne geschraubte Tugend. Wenn ich weniger verlange, als Du, so
ist das keine Selbstverleugnung, die mir ein Opfer kostet. Ich fühle, da ß ich
wirklich wenig bedarf, und mit wahrer Freude würde ich selbst manches entbehren,
um Dich damit frohe zu machen.
Das ist mein Ernst, Wilhelmine, also laß mir diese Freude. Ueberfluß wirst Du
nicht verlangen, aber an dem Nothwendigen, darf es Dir niemals fehlen, o
niemals, denn das würde mich selbst unglücklich machen. Also sei nicht karg
gegen Dich in der Berechnung. Fordere lieber mehr als Du brauchst, als weniger.
Es steht ja doch immer in der Folge bei Dir, mir zufließen zu lassen, was Du
überig hast, und dann werde ich es gewiß immer gern von Dir annehmen. Ist es
unter diesen Bedingungen nicht möglich, daß wir uns bald vereinigen – nicht
möglich, nun denn, so müssen wir auf günstigere Zeiten hoffen, - aber dann ist
die Aussicht dunkel, o sehr dunkel – und das Schrecklichste wäre mir, Dich
betrogen zu haben, Dich die mich so innig liebte – o weg mit dem abscheulichen
Gedanken. Indessen, ich weiß doch noch ein Mittel, selbst wenn unser Vermögen
Deiner Berechnung nicht entspräche. Es ist dieses, mir durch Unterricht
wenigstens jährlich ein Paar Hundert Thaler zu erwerben.
Lächle nicht und bemühe Dich nur ja, alle Vorurtheile zu bekämpfen. Ich bin sehr
fest entschlossen, den ganzen Adel von mir abzuwerfen. Viele Männer geringfügig
angefangen und königlich ihre Laufbahn beschlossen. Shakespeare war ein
Pferdejung und jetzt ist er die Bewunderung der Nachwelt. Wenn Dir auch die eine
Art von Ehre entgeht, so wird Dir doch vielleicht einst eine , andere zu Theil
werden, die höher ist – Wilhelmine, warte zehn Jahre und Du wirst mich nicht
ohne Stolz umarmen.
Mein Plan in diesem Falle wäre dieser. Wir hielten uns irgendwo in Frankreich
auf, etwa in dem südlichen Theile, in der französischen Schweiz, in dem
schönsten Erdstriche von Europa - und zwar aus diesem Grunde, um Unterricht dort
in der deutschen Sprache zu geben.
Du weißt, wie überhäuft mit Stunden hier bei uns die Emigrirten sind; das möchte
in Frankreich noch mehr der Fall sein, weil es da weniger Deutsche giebt, und
doch von der Academie und von allen französischen Gelehrten unaufhörlich die
Erlernung der deutschen Sprache anempfohlen wird, weil man wohl einsieht, daß
jetzt von keinem Volke der Erde mehr zu lernen ist, als von den Deutschen.
Dieser Aufenthalt in Frankreich wäre mir aus 3 Gründen lieb.
Erstlich, weil es mir in dieser Entfernung leicht werden würde, ganz nach meiner
Neigung zu leben, ohne die Ratschläge guter Freunde zu hören, die mich und was
ich eigentlich begehre, ganz und gar nicht verstehen; zweitens, weil ich so ein
Paar Jahre lang ganz unbekannt leben könnte und ganz vergessen werden würde,
welches ich recht eigentlich wünschte; und drittens, welches der Hauptgrund ist,
weil ich mir da recht die französische Sprache aneignen könnte, welches zu der
entworfnen Verpflanzung der neuesten Philosophie in dieses Land, wo man von ihr
noch gar nichts weiß, nothwendig ist.
- Schreibe mir unverhohlen Deine Meinung über dieses. – Aber daß ja niemand
etwas von diesem Plane erfährt. Wenn Du nicht mein künftiges Weib wärest, so
hätte ihn vor der Ausführung kein Mensch von mir erfahren. -
Lerne nur auf jeden fall recht fleißig die französische Sprache. Wie Vater zur
Einwilligung zu bringen ist, davon ein andermal. – Ist das Alles nicht
ausführbar, so bleibt uns, bis zum Tode, Eins gewiß, nämlich meine Liebe Dir,
und Deine Liebe mir. Ich wenigstens gebe nie einem andern Mädchen meine Hand,
als Dir.
Und nun muß ich schließen. Ich kann jetzt nicht mehr so lange Briefe schreiben,
als auf der Reise, denn jetzt muß ich für Dich und mich arbeiten. Und doch habe
ich Dir noch so vieles zu sagen, z. B. über Deine Bildung. O wenn ich bei Dir
wäre, so wäre das Alles weit kürzer abgemacht. Ich wollte Dir bei meiner
Anwesenheit in Frankfurt vorschlagen, ob Du Dir nicht ein Tagebuch halten
wolltest, nämlich ob Du nicht alle Abend aufschreiben wolltest, was Du am tage
sahst,, dachts, fühltest, sc. Denke einmal darüber nach, ob das nicht gut wäre.
Wir werden uns in diesem unruhigen Leben so selten unsrer bewusst - die Gedanken
und die Empfindungen verhallen wie ein Flötenspiel im Orkane – so manche
Erfahrung geht ungenutzt verloren – das Alles kann ein Tagebuch verhüten.
Auch lernen wir dadurch Freude aus uns selbst zu entwickeln, und das möchte wohl
gut sein für Dich, da Du von außen, außer von mir wenige Freude empfangen wirst.
Das könntest Du mir dann von Zeit zu Zeit mitteilen – aber Du müsstest Dich
darum nicht weniger strenge prüfen – ich werde nicht hart sein – denke an Deine
verzeihung meines Fehltritts. – ich werde Dir auch in meinen briefe alles
mittheilen, was mir begegnet. – Adieu. Ich küsse Dein Bild
H.K.
_______________________
.Jugendbriefe
berühmter Männer / Ausgewählt und eingeleitet von Dr. Joh. Rohr / Verlag "
Die Buchgemeinde" 1924
LETZTER BRIEF
Es war ihm unmöglich länger zu leben.
...." meine Seele ist so wund, dass mir, wenn ich die Nase aus dem Fenster
stecke, das Tageslicht wehe tut....."
Sein Selbstwertgefühl hatte ihn so reizbar gemacht. Es schmerzte ihn, als " ein
ganz nichtsnutziges Glied der menschlichen Gesellschaft betrachtet zu werden."
Sein Lebensekel wurde bestärkt durch die preußische Allianz mit Napoleon, die
ihm eine Rückkehr in den Militärdienst unmöglich machten. In der unheilbar
kranken Henriette Vogel fand er einen Menschen, der bereit war, mit ihm zusammen
zu sterben. Sie verbrachten eine Nacht in Stimmings Gasthof am Wannsee; am
folgenden Mittag verließen sie das Haus. Man fand beide wenig später erschossen
am Ufer.
** Alles was Kleist im letzten Lebensjahr unternimmt, zerrinnt ihm zu nichts.
Er sinnt über den Tod. Späht nach Todesgenossen. Sein Cousine Marie verweigert
ihm das Gefolge. Aber die unheilbare Henriette Vogel ist von derselben Sehnsucht
nach Ruhe erfaßt.
Am 20. November steigen die Unglücklich - Glücklichen im " Neuen Krug" zu
Wannsee ab. Verbringen eine Nacht mit lesen und Briefeschreiben. Am nächsten
Mittag gehen sie ins Freie. In einem Gehölz - 500 Schritte vom Krug entfernt
-findet man sie erschossen.
In diesem Zimmer lag die Lektüre dieser Nacht " Don Quijotte und Klopstock Oden.
An Frau v. Müller
Der Himmel weiß, meine liebe, treffliche Freundin, was für sonderbare Gefühle,
halb wehmütig, halb ausgelassen uns bewegen, in dieser Stunde da unsere Seelen
sich, wie zwei fröhliche Luftschiffer, über die Welt erheben, noch einmal an Sie
zu schreiben.
Wir waren doch sonst, müssen Sie wissen, wohl entschlossen, bei
unseren Bekannten und Freunden keine Karten p. p .c. abzugeben. Der Grund ist
wohl, weil wir in tausend glücklichen Augenblicken an Sie gedacht, weil wir uns
tausendmal vorgestellt haben, wie Sie in Ihrer Gutmütigkeit aufgelacht
(aufgejauchzt) haben würden, wenn Sie uns in der grünen oder rothen Stube
beisammen gesehen hätten. Ja, die Welt ist eine wunderliche Einrichtung! - - Es
hat seine Richtigkeit, daß wir uns, Jettchen und ich, wie zwei trübsinnige
trübselige Menschen, die sich immer ihrer Kälte wegen angeklagt haben, von
ganzen Herzen lieb gewonnen haben, und der beste Beweis davon ist wohl, daß wir
jetzt miteinander sterben. Leben Sie wohl, unsere liebe, liebe Freundin und
seien Sie auf Erden, wie es gar wohl möglich ist, recht glücklich! Wir
unserseits wollen nichts von den Freuden dieser Welt wissen und träumen lauter
himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir, mit langen Flügeln an den
Schultern, umherwandeln werden. Adieu! Einen Kuß von mir, dem Schreiber, an
Müller; er soll zuweilen meiner gedenken, und ein rüstiger Streiter Gottes gegen
den Teufel Aberwitz bleiben, der die Welt in Banden hält. —
(Nachschrift Henriettes)
Doch wie dies alles zugegangen
Erzähl' ich euch zu andrer Zeit
Dazu bin ich zu eilig heut.
Lebt wohl denn! Ihr meine lieben Freunde, und erinnert euch in Freud' und Leid
der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten
werden.
Henriette.
(Kleists Hand)
Gegeben in der grünen Stube den 21. November 1811.
H. v. Kleist.
An Ulrike von Kleist
Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der
ganzen Welt, und somit auch, vor allen Anderen, meine theuerste Ulrike, mir dir
versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die
Kleisten enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirklich, du hast an mir
gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines
Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu
helfen war. Und nun lebe wohl; möge dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb
an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit, dem meinigen gleich: das ist der
herzlichste und innigste Wunsch, den ich für dich aufzubringen weiß.
Stimmings bei Potsdam
- am Morgen meines Todes.
Dein Heinrich.
HENRIETTE VOGEL
An Ernst Friedrich von Peguilhen
Mein sehr werter Freund! Ihrer Freundschaft, die Sie für mich bis dahin immer so
treu bewiesen, ist es vorbehalten, eine wunderbare Probe zu bestehen, denn wir
beide, nehmlich der bekannte Kleist und ich befinden uns hier bei Stimmings auf
dem Wege nach Potsdamm, in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir
erschossen da liegen, und nun der Güte eines wohlwollenden Freundes entgegen
sehn, um unsre gebrechliche Hülle, der sichern Burg der Erde zu übergeben.
Suchen Sie liebster Peguilhen diesen Abend hier einzutreffen und alles so zu
veranstalten, daß mein guter Vogel möglichst wenig dadurch erschreckt wird,
diesen Abend oder Nacht wollte Louis seinen Wagen nach Potsdamm (schikken), um
mich von dort, wo ich vorgab hinzureisen, abholen zu lassen, dies mögte ich
Ihnen zur Nachricht sagen, damit Sie die beßten Maasregeln darnach treffen
können. Grüßen Sie Ihre von mir herzlich geliebte Frau und Tochter viel
tausendmal, und sein Sie theurer Freund ueberzeugt daß Ihre und Ihrer
Angehörigen Liebe und Freundschaft mir noch im letzten Augenblick meines Lebens
die größte Freude macht.
Ihre A. Vogel.
Ein kleines versiegeltes schwarzes ledernes Felleisen, und einen versiegelten
Kasten worinn noch Nachrichten für Vogel Briefe, Geld Kleidungsstücke auch
Bücher vorhanden, werden Sie bei Stimmings finden. Für die darin befindlichen 10
Thlr Courant wünschte ich eine recht schöne blaßgraue Tasse innwendig vergoldet,
mit einer goldnen Arabeske auf weißem Grunde zum Rand, und am Oberkopf im weißen
Felde meinen Vornamen, die Façon wie sie jetzt am modernsten ist. Wenn Sie sich
dieser Commission halber am Buchhalter Meves auf der Porzellan Fabrick wendeten,
mit dem Bedeuten diese Tasse am Weihnachts-Heiligabend Louis eingepackt
zuzuschicken, doch würden Sie mein lieber Freund mit der Bestellung eilen
müssen, weil sie sonst nicht fertig werden mögte. Leben Sie wohl und glücklich.
-
Einen kleinen Schlüssel werden Sie noch eingesiegelt im Kasten finden, er gehört
zum Vorhängeschloß des einen Koffers zu Hause bei Vogel, worin noch mehrere
Briefe und andre Sachen zum besorgen liegen.
(Kleists Hand)
Ich kann wohl Ihre Freundschaft auch, mein liebster Peguilhin, für einige kleine
Gefälligkeiten in Anspruch nehmen. Ich habe nämlich vergessen, meinen Barbier
für den laufenden Monat zu bezahlen, und bitte, ihm 1 Thlr a 1/3 C zu geben, die
Sie eingewickelt in dem Kasten der Mad. Vogel finden werden. Die Vögeln sagt mir
eben, daß SIE den Kasten aufbrechen und alle Commissionen die sich darin
befinden besorgen mögten: damit Vogel nicht gleich damit behelligt würde -
Endlich bitte ich noch, das ganze, kleine, schwarzlederne Felleisen, das mir
gehört, mit Ausnahme der Sachen, die etwa zu meiner Bestattung gebraucht werden
mögten, meinem Wirth, dem Quartiermeister Müller, Mauerstraße N. 53. als einen
kleinen Dank für seine gute Aufnahme und Bewirthung zu schenken. - Leben Sie
recht wohl, mein liebster Peguilhin; meinen Abschiedsgruß und Empfehlung an Ihre
vortreffliche Frau und Tochter.
H. v. Kleist
man sagt hier den 21 t Nov.; wir wissen aber nicht ob es wahr ist.
N. S. In dem Koffer der Mad. Vogel, der in Berlin in ihrem Hause in der
Gesindestube mit messingnem Vorlegeschloß steht, und wozu der kleine versiegelte
Schlüssel, der hier im Kasten liegt, paßt - in diesem Koffer befinden sich drei
Briefe von mir, die ich Sie noch herzlichst zu besorgen bitte. Nämlich:
1. Einen Brief an die Hofräthin in Wien.
2. Einen Brief an meinen Bruder Leopold nach Stolpe, welche beide mit der Post
zu besorgen sind (der erstere kann vielleicht durch den guten Brillen Voß
spedirt werden); und
3. Einen Brief, an Fr. v. Kleist, geb. v. Gualtieri, welchen
ich dem Major v. Below, Gouverneur des Prinzen Friedrich von Hessen, auf dem
Schlosse, abzugeben bitte.
Endlich liegt
4. noch ein Brief noch ein Brief an Frau v. Kleist in den hiesigen Kasten der
Mad. Vogel, welchen ich gleichfalls und zu gleicher Zeit, an den Major v. Below,
abzugeben bitte. -
Adieu!
N. S.
Kommen Sie recht bald zu Stimmings hinaus, mein liebster Peguilhin, damit Sie
uns bestatten können. Die Kosten, was mich betrifft, werden Ihnen von Frankfurt
aus, von meiner Schwester Ulrike wieder erstattet werden. - Die Vögeln bemerkt
noch, daß zu dem Koffer mit dem messingnem Vorhängeschloß, der in Berlin, in
ihrer Gesindestube steht, und worin viele Commissionen sind, der Schlüssel hier
versiegelt in dem hölzernen Kasten liegt. - Ich glaube ich habe dies schon
einmal geschrieben, aber die Vogel besteht darauf, daß ich es noch einmal
schreibe.
H. v. Kl.
Literatur;
Dies sind nun also
die letzten Zeilen Werner Fuld Krüger Verlag Erschienen im Krüger Verlag,
einem Unternehmen des S. Fischer Verlag GmbH 2007